Zwei Denkerinnen im Gespräch
Die amerikanischen Professorinnen Judith Butler und Gayatri Chakravorty Spivak unterhalten sich in "Sprache, Politik, Zugehörigkeit" über Menschenrechte, die Krise des Nationalstaates und die Frage, ob man die amerikanische Hymne auf Spanisch singen darf.
Die Amerikanerin Judith Butler, Professorin im kalifornischen Berkeley, ist eine der bekanntesten Philosophinnen der Gegenwart. Ihr Buch "Gender Trouble" von 1990 ist eines der einflussreichsten Werke feministischer Theorie der letzten Jahre und längst ein Klassiker. Butler problematisierte darin in philosophisch ziemlich anspruchsvoller Weise die Unterscheidung von "sex" und "gender", also von biologischem Geschlecht einerseits und sozialen Geschlechterrollen andererseits, mit der die feministische Theorie im 20. Jahrhundert Biologie und Schicksal voneinander zu trennen suchte, und entwarf eine radikal konstruktivistische Theorie von Geschlecht als Performanz.
Die Inderin Gayatri Chakravorty Spivak ist Professorin an der Columbia University New York und eine der Begründerinnen der "postcolonial theory", also jener Denkbewegung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die den westlichen Universalismus aus Sicht der globalen Randzonen kritisiert.
Jetzt ist auf Deutsch ein Gespräch der beiden Denkerinnen erschienen, in dem sie sich über aktuelle Fragen der politischen Theorie unterhalten, über die Globalisierung und die Krise des Nationalstaates, über Menschen- und Bürgerrechte in Zeiten Guantanamos und illegaler Migrationsströme. Es ist ein schmales Bändchen, kaum achtzig Seiten lang, erschienen beim Diaphanes Verlag; es geht offensichtlich auf eine öffentliche Diskussion zurück und ist in Dialogform gehalten, wobei Judith Butlers Beitrag quantitativ überwiegt. Dies ist insofern schade, als hierzulande Spivak die deutlich unbekanntere der beiden ist und eher zu entdecken wäre. Schade und etwas verunsichernd ist auch, dass Anlass, Ort und Zeitpunkt der Debatte weder in der deutschen Version noch im englischen Original ausgewiesen werden. Anregend zu lesen sind die Überlegungen der beiden allemal.
Ausgangspunkt der Diskussion und Anlass für den englischen Titel "Who Sings the Nation-State?" ist ein Ereignis der amerikanischen Politik aus dem Jahre 2006, als illegale mexikanische Einwanderer in verschiedenen kalifornischen Städten für Bürgerrechte demonstrierten und dabei die amerikanische Nationalhymne auf Spanisch sangen, wogegen sich unter anderem Präsident Bush umgehend verwehrte. Judith Butler benutzt das Beispiel zur Analyse der widersprüchlichen Situation, dass sich Menschen, die keine Bürgerrechte besitzen, diese sozusagen performativ anzueignen versuchen, nicht nur indem sie die Nationalhymne des sie abweisenden Staates übernehmen, sondern auch indem sie sich ganz wie Bürger verhalten, die ihre Bürgerrechte der Versammlungsfreiheit und der politischen Demonstration ausüben. Butler zufolge ist dies zwar nicht eine performative Handlung in dem Sinn, dass sie die Illegalen automatisch zu Bürgern machen würde, aber doch ein Anfang, der die Lücke zwischen Recht und Rechtlosigkeit sichtbar macht und etwas zu bewegen vermag.
Spivak erläutert ihrerseits einige ihrer theoretischen Anliegen, etwa das Konzept eines "kritischen Regionalismus", der die Globalisierung deshalb bekämpft, weil diese einen Staat schwächt, der doch zumindest als abstrakte Struktur der Umverteilung notwendig sei. Welche Form diese abstrakte Struktur noch haben soll, belässt Spivak als eine offene Frage; sie wirft allerdings das interessante utopische Stichwort einer "internationalen Bürgergesellschaft" in den Raum.
Kritisch setzen sich die beiden Denkerinnen mit Hannah Arendts Theorie der Menschen- und Bürgerrechte sowie der Staatenlosigkeit auseinander, ebenso mit Giorgio Agambens Begriff des "nackten Lebens" sowie einer Reihe von weiteren Denkern und Theorien. Ganz einfach zu lesen ist das nicht überall und für eine Einführung in die jeweiligen Probleme sicherlich zu kursorisch: viele Themen werden nur kurz angetippt, andere ganz vernachlässigt. Das Buch vermittelt aber jedenfalls einige interessante Thesen und einen spannenden Einblick in derzeitige Diskussionen der kritischen, poststrukturalistischen politischen Theorien.
Rezensiert von Catherine Newmark
Judith Butler, Gayatri Chakravorty Spivak: Sprache, Politik, Zugehörigkeit
Aus dem Englischen von Michael Heitz und Sabine Schulz
Diaphanes, Zürich / Berlin 2007
80 Seiten, 8 Euro
Die Inderin Gayatri Chakravorty Spivak ist Professorin an der Columbia University New York und eine der Begründerinnen der "postcolonial theory", also jener Denkbewegung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die den westlichen Universalismus aus Sicht der globalen Randzonen kritisiert.
Jetzt ist auf Deutsch ein Gespräch der beiden Denkerinnen erschienen, in dem sie sich über aktuelle Fragen der politischen Theorie unterhalten, über die Globalisierung und die Krise des Nationalstaates, über Menschen- und Bürgerrechte in Zeiten Guantanamos und illegaler Migrationsströme. Es ist ein schmales Bändchen, kaum achtzig Seiten lang, erschienen beim Diaphanes Verlag; es geht offensichtlich auf eine öffentliche Diskussion zurück und ist in Dialogform gehalten, wobei Judith Butlers Beitrag quantitativ überwiegt. Dies ist insofern schade, als hierzulande Spivak die deutlich unbekanntere der beiden ist und eher zu entdecken wäre. Schade und etwas verunsichernd ist auch, dass Anlass, Ort und Zeitpunkt der Debatte weder in der deutschen Version noch im englischen Original ausgewiesen werden. Anregend zu lesen sind die Überlegungen der beiden allemal.
Ausgangspunkt der Diskussion und Anlass für den englischen Titel "Who Sings the Nation-State?" ist ein Ereignis der amerikanischen Politik aus dem Jahre 2006, als illegale mexikanische Einwanderer in verschiedenen kalifornischen Städten für Bürgerrechte demonstrierten und dabei die amerikanische Nationalhymne auf Spanisch sangen, wogegen sich unter anderem Präsident Bush umgehend verwehrte. Judith Butler benutzt das Beispiel zur Analyse der widersprüchlichen Situation, dass sich Menschen, die keine Bürgerrechte besitzen, diese sozusagen performativ anzueignen versuchen, nicht nur indem sie die Nationalhymne des sie abweisenden Staates übernehmen, sondern auch indem sie sich ganz wie Bürger verhalten, die ihre Bürgerrechte der Versammlungsfreiheit und der politischen Demonstration ausüben. Butler zufolge ist dies zwar nicht eine performative Handlung in dem Sinn, dass sie die Illegalen automatisch zu Bürgern machen würde, aber doch ein Anfang, der die Lücke zwischen Recht und Rechtlosigkeit sichtbar macht und etwas zu bewegen vermag.
Spivak erläutert ihrerseits einige ihrer theoretischen Anliegen, etwa das Konzept eines "kritischen Regionalismus", der die Globalisierung deshalb bekämpft, weil diese einen Staat schwächt, der doch zumindest als abstrakte Struktur der Umverteilung notwendig sei. Welche Form diese abstrakte Struktur noch haben soll, belässt Spivak als eine offene Frage; sie wirft allerdings das interessante utopische Stichwort einer "internationalen Bürgergesellschaft" in den Raum.
Kritisch setzen sich die beiden Denkerinnen mit Hannah Arendts Theorie der Menschen- und Bürgerrechte sowie der Staatenlosigkeit auseinander, ebenso mit Giorgio Agambens Begriff des "nackten Lebens" sowie einer Reihe von weiteren Denkern und Theorien. Ganz einfach zu lesen ist das nicht überall und für eine Einführung in die jeweiligen Probleme sicherlich zu kursorisch: viele Themen werden nur kurz angetippt, andere ganz vernachlässigt. Das Buch vermittelt aber jedenfalls einige interessante Thesen und einen spannenden Einblick in derzeitige Diskussionen der kritischen, poststrukturalistischen politischen Theorien.
Rezensiert von Catherine Newmark
Judith Butler, Gayatri Chakravorty Spivak: Sprache, Politik, Zugehörigkeit
Aus dem Englischen von Michael Heitz und Sabine Schulz
Diaphanes, Zürich / Berlin 2007
80 Seiten, 8 Euro