Zwei Ausflüge ins Opernmuseum

Von Uwe Friedrich · 21.09.2008
Schon im Vorfeld hatte Regisseur Peter Konwitschny das Brecht-Zitat angeführt, Kunst sei Kampf, in Konwitschnys Verständnis durchaus auch Klassenkampf. Doch mit der Inszenierung von Schönbergs "Pierrot lunaire" zeigte er mehr oder weniger gelangweilt die abgenutzten Versatzstücke des sogenannten Regietheaters vor. Das trifft auch auf den zweiten Einakter zur Eröffnung der Leipziger Spielzeit zu, auf Poulencs "La voix humaine" in der Inszenierung von Christoph Meyer.
Zu Schönbergs "Pierrot lunaire" nimmt der Regisseur Peter Konwitschny die Zuschauer mit ins Theatermuseum, und zwar in die ganz besonders muffige Abteilung. Da hängt noch eine alte Brechtgardine rum, die Darstellerin wirft schon mal eine Handgranate ins Publikum, aber keine Sorge, die ist gar nicht echt. Dann werden didaktische Texte projiziert, und zur Beförderung der Nachdenklichkeit geht auch das Saallicht an.

Gleich zu Anfang des Ausflugs kommt eine sichtlich angeschickerte Sängerdarstellerin mit Weinflasche in der Hand auf die Bühne und schäkert mit dem Publikum. Damit will Konwitschny uns offenbar zeigen, wie man die billigsten Lacher der Theatergeschichte abräumt. Schade nur, dass sich der Abend von diesem Kalauerniveau nicht mehr erholt.

Schon im Vorfeld hatte der Regisseur Bertolt Brecht zitiert mit dem Ausspruch, Kunst sei Kampf, in Konwitschnys Verständnis durchaus auch Klassenkampf. Selbstverständlich darf ein Regisseur auch mit abgegriffenen Schlagworten um sich werfen, wenn er dann aufregendes, intellektuell anregendes und vor allem sinnliches Theater auf die Bühne bringt. Für all das stand einst der Name Peter Konwitschny.

Inzwischen zeigt er aber nur noch mehr oder weniger gelangweilt die abgenutzten Versatzstücke des sogenannten Regietheaters vor, und im selben Ausmaß wie die theaterwirksamen Ideen nachlassen erhöht er die Dosis an menschheitsbeglückendem Pathos.

Gewiss, wir Menschen tun uns allerlei Übles an, wie auf dem projizierten Text nachzulesen ist. Natürlich hat niemand etwas dagegen, wenn Künstler dem Publikum die Augen dafür öffnen. Ob das aber gelingen kann, wenn die Sopranistin Young-Hee Kim um einen Duschvorhang herumhampelt, darf indessen mit guten Gründen bezweifelt werden. Immerhin findet sie einen angemessenen Rezitationstonfall für die sieben mal sieben Gedichte.

Doch die Leipziger ist viel zu groß für dieses intime Werk, und so verflüchtigen sich die Texte weitgehend unverständlich. Die sieben Solisten des Gewandhausorchesters spielen ihre Musik ganz hervorragend an der Rampe, während die Sängerin auf dem hochgefahrenen Graben agiert.

Da haben wir das herausragende Werk also auch mal wieder gehört, auf der musikalischen Ebene geht es bei Schönberg unter dem Dirigenten Johannes Harneit aufs angenehmste kulinarisch zu. Beim letzten Lied "O alter Duft aus Märchenzeit" verlässt der Pierrot die Bühne durch den Saal und geht einer fröhlicheren Zukunft im Licht entgegen.

So glücklich hat es die Frau in Francis Poulencs Einakter "La voix humaine" nicht getroffen. Sie liegt am Schluss tot vor dem weißen Sofa, das Bühnen- und Kostümbilder Ramon Ivars für die Inszenierung von Christoph Meyer auf die Vorbühne gestellt hat. Auf hochhackigen Schuhen umkreist die Sopranistin Angeles Blancas das alte Bakelittelefon, versucht ihren Liebhaber zurückzugewinnen.

Aber so wird das nichts werden, denn sie jammert ihm die ganze Zeit was vor. Nie ist zu spüren, dass diese Frau um ihren Liebhaber kämpft, dass sie ihn mit allen Mitteln emotional erpressen will. Angeles Blancas leidet mit großem und sehr schönem Klang ein wenig penetrant vor sich hin, bis sie sich endlich mit dem Telefonkabel erdrosselt.

Auch der Dirigent Josep Vicent setzt mit dem Gewandhausorchester hinter einer Gaze auf der Hauptbühne ganz auf den ausladenden Opernton. Kaum eine Spur von Poulencs eleganter Ironie, von seiner Distanz zum Leidenspathos der verlassenen Frau. Völlig ungebrochen rauscht das Erinnerungsmotiv auf, während die lakonischen Kommentare des Orchesters unter den Tisch fallen.

Zwei Einakter zur Saisoneröffnung in Leipzig, zwei Ausflüge ins Opernmuseum. In ganz verschiedene Abteilungen zwar, aber allerorten liegt der Staub finderdick auf den Exponaten.