Menschen, die einfach nicht aufhören können
09:15 Minuten
Manche Menschen müssen alles zählen, brauchen eine Symmetrie oder waschen sich ständig die Hände. Wir alle haben irgendwelche Zwangsstörungen. Aber ab wann wird es für einen selbst und das Umfeld zu einer Belastung oder sogar gefährlich?
Medizinisch betrachtet ist die Zwangsstörung eine der häufigsten psychischen Erkrankungen. Ein bis drei Prozent sollen betroffen sein, aber die Zahlen variieren. Experten gehen davon aus, dass die Dunkelziffer sehr viel höher ist – auch weil Betroffene ihre Erkrankung oft geheim halten. Katharina Kühn hat recherchiert: Was ist der Grund dafür, dass man damit nicht rausrückt?
Oft würden Menschen oder ihr Umfeld gar nicht erkennen, dass jemand unter Zwangserkrankungen leidet, sagt Katharina Kühn. Daher würden Betroffene auch selten darüber sprechen. "Wer weiß denn schon, wann viel Hände waschen zu viel ist? Zehnmal, das klingt, finde ich, ziemlich normal, zwanzigmal, kommt jetzt in Coronazeiten ab und an vor. Ab wann braucht man Hilfe? Ab dreißigmal, ab fünfzigmal?"
Oft würden Menschen oder ihr Umfeld gar nicht erkennen, dass jemand unter Zwangserkrankungen leidet, sagt Katharina Kühn. Daher würden Betroffene auch selten darüber sprechen. "Wer weiß denn schon, wann viel Hände waschen zu viel ist? Zehnmal, das klingt, finde ich, ziemlich normal, zwanzigmal, kommt jetzt in Coronazeiten ab und an vor. Ab wann braucht man Hilfe? Ab dreißigmal, ab fünfzigmal?"
Autor Peter Wittkamp hat in dem Buch "Für mich soll es Neurosen regnen. Mein Leben mit Zwangsstörungen" auf sein zwanghaftes Händewaschen aufmerksam gemacht. Er wusch sich bis zu fünfzigmal am Tag die Hände.
Zwangsgedanken sind normal
Aber ab wann ist ein Reinligkeitsfimmel tatsächlich eine Zwangsstörung? An einer bestimmten Zahl könne man das jedenfalls nicht festmachen. Jeder kenne doch die Situation, dass man noch einmal zurück in die Wohnung geht und schaut, ob der Herd auch wirklich ausgeschaltet ist, sagt Katharina Kühn.
Studien belegen, dass alle Menschen irgendwann einmal Zwangsgedanken haben würden, sagt die Psychologische Psychotherapeutin Daniela Simon. Es komme aber auf die Bedeutung an, den wir solchen Überlegungen beimessen würden. Wenn man beispielsweise auf dem Balkon steht und denkt, jetzt könnte ich hier eigentlich auch runterspringen. Man weiß zwar, dass man das nicht macht. Aber über solche Gedanken spreche niemand, so Daniela Simon:
"Ein Mensch, der unter Zwangsstörung leidet, der würde jetzt denken: ´Oh Gott, da ist doch irgendetwas nicht in Ordnung.` Oder das Messer liegt in der Küche und ich koche mit der Frau, dann denke ich, jetzt könnte ich die erstechen. Das ist ein Gedanke, der macht unheimliche Angst. Durch diese Intensität der Emotionen kommt dann natürlich auch der Leidensdruck. Das ist eines der diagnostischen Kriterien zu sagen: Es gibt durchaus Menschen, die putzen total viel, aber die leiden nicht darunter und das ist okay."
Solche Gedanken, könnten dann aber für Menschen zum realen Problem führen, wenn sie alles in ihrem Leben kontrollieren wollen.
Corona verschlechtert die Situation
Gerade die Pandemie stellt nun betroffene Menschen vor besondere Herausforderungen. So gibt es Befürchtungen, dass mit Corona mehr Menschen eine Zwangsstörung entwickeln oder sich Symptome verstärken, sagt Katharina Kühn. Allerdings spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, eine Zwangserkrankung zu entwickeln: etwa genetische Veranlagungen oder die emotionale und hormonelle Verfassung.
Auch könnten äußere Impulse – sogenannte Trigger – ein zwanghaftes Verhalten auslösen. Daniela Simon sieht mögliche Auswirkungen auch schon in ihrer Praxis:
"Ich erinnere mich an eine Patientin in der Praxis, die sagte: ´Zu Beginn, gerade in der ersten Welle, es gibt kein Desinfektionsmittel mehr zu kaufen. Ich bin so in Not.` Der hat es richtig zugesetzt, dass andere auf ihre Ressourcen zurückgegriffen haben. Dass sie Schwierigkeiten hatte, Einmalhandschuhe und Desinfektionsmittel zu bekommen. Das andere ist natürlich, dass sich die Zwänge, gerade wenn wir jetzt von den Kontaminationsängsten reden, auf Corona verlagert haben und sich die Situation noch mehr verschlechtert hat."
Menschen, die vor Corona Angst vor einer Infektion mit HIV oder Hepatitis hatten, hätten jetzt Angst, sich mit Corona anzustecken.
(jde)
(jde)