Zwangsprostitution, Medieninszenierungen, politisches Machtstreben

Dass aus Skandinavien hervorragende Krimiautoren kommen, ist längst kein Geheimnis mehr. Das gilt auch für die Finnin Leena Lehtolainen. Ihr jüngstes Werk ist ein routiniert erzählter, mitunter etwas langatmiger Kriminalroman, der selten in Klischeefallen tritt, nicht zu stark auf die soziale Tränendrüse drückt und auf gediegene Weise Spannung erzeugt.
Dass aus Skandinavien hervorragende Krimiautoren kommen, ist längst kein Geheimnis mehr. An die Seite der männlichen Erfolgsgaranten Henning Mankell oder Arne Dahl rückten in den letzten Jahren zunehmend Frauen wie die Schwedin Liza Marklund oder die Norwegerin Anne Holt, die den sozialkritischen Impetus des "Nordkrimis" meist an die Perspektive von lebenserfahrenen Heldinnen knüpfen. 1994 hat die Finnin Leena Lehtolainen hierzulande ihren ersten Roman vorgelegt und mit der Ermittlerin Maria Kallio eine Figur kreiert, die sich mühelos in diese skandinavische Traditionslinie einbinden lässt.

Lehtolainen-Leser konnten von Fall zu Fall erleben, wie sich Maria Kallio in der Behördenhierarchie langsam emporarbeitete, ohne dabei je von besonderem Ehrgeiz getrieben worden zu sein. In "Wer sich nicht fügen will" fungiert die zweifache Mutter als Leiterin des Gewaltdezernats im finnischen Espoo, vor den Toren Helsinkis gelegen. Ihr Alltag wird – das gehört inzwischen zu den Stereotypen des so genannten Frauenkrimis – von Überstunden und vom verzweifelten Bemühen regiert, die beruflichen Anforderungen mit denen des Familien- und Ehelebens unter einen Hut zu bringen.

Lange Zeit hat die sich stets am Rande der Erschöpfung bewegende Maria Kallio freilich nicht, über ihr Ausgepowert-Sein und einen möglichen "Tapetenwechsel" nachzudenken. Ein neuer brisanter Fall zwingt zum konzentrierten Handeln, einer, der in die Abgründe der Zwangsprostitution, der Medieninszenierungen und des politischen Machtstrebens führt. Als eine ukrainische Hure, die sich offensichtlich selbst verstümmelte, aus dem Krankenhaus verschwindet, und das Edelcallgirl Lulu Nightingale kurz vor ihrem Auftritt in einer TV-Talkrunde mit Zyanid vergiftet wird, scheinen diese Fälle erst einmal nichts miteinander zu tun zu haben.

Nach und nach gelingt es Maria Kallio und ihrer Ermittlertruppe jedoch, Verbindungen herzustellen und Licht ins Dunkel dieses Politkrimis zu bringen. Wer hat ein Interesse daran, die für die Rechte der Prostituierten kämpfende Lulu ins Jenseits zu befördern, ehe sie schockierende Machenschaften im Vorfeld der finnischen Präsidentschaftswahlen enthüllen konnte? Der scheinbar skrupellose Unternehmenssanierer Saarnio? Seine Frau Riita, eine von Eifersucht gequälte Produzentin? Oder der Klempner Hytönen, der käuflichen Sex als Lebensnotwendigkeit ansieht und überlegt, "echte finnische Männer" in seiner EFM-Partei zusammenzubringen? Oder steckt hinter allem der ehrgeizige Talkmaster Ilari Länsimies, der seine Chance gekommen sieht, in höchste Staatsämter aufzusteigen?

"Wer sich nicht fügen will" ist ein routiniert erzählter, mitunter etwas langatmiger Kriminalroman, der selten in Klischeefallen tritt, nicht zu stark auf die soziale Tränendrüse drückt und auf gediegene Weise Spannung erzeugt, nachdem Lulu nicht das einzige Opfer in diesem Sex-and-Crime-Spiel bleibt. Am überzeugendsten ist Leena Lehtolainen, wenn sie ambivalente Nebenfiguren entwirft wie Marias von Make-up-Chic geprägte Kollegin Ursula oder zeigt, wie der Alltag einer Polizistin kaum Zeit für ein erfülltes Eheleben lässt.

Und nicht zuletzt hat Leena Lehtolainen keine Scheu, ihre Heldin am Ende einer brutalen Vergewaltigung auszusetzen – eine besonders eindringliche, sehr gelungene Romanszene. Welche Auswirkungen dieser Schock auf die weitere Karriere Maria Kallios haben wird, bleibt offen. Avanciert sie zur Kripochefin, oder quittiert sie ihren Dienst, um der permanenten Hochspannung ihres Berufs zu entkommen? Als gelernter Juristin stehen ihr auch andere Optionen offen ...

Rezensiert von Rainer Moritz


Leena Lehtolainen: Wer sich nicht fügen will
Übersetzt von Gabriele Schrey-Vasara
Kindler Verlag, Reinbek 2007, 384 Seiten, 19,90 Euro