Zwangseinweisung ist "niemals eine Dauerlösung"

Thomas Saschenbrecker im Gespräch mit Nana Brink · 08.08.2013
Der Rechtsanwalt Thomas Saschenbrecker hat den Gerichten im Fall Mollath Schlamperei vorgeworfen. Allgemein überließen die Richter "oft und gerne" den Sachverständigen die alleinige Verantwortung bei der Zwangseinweisung in die Psychiatrie.
Nana Brink: Wie schrieb eine Zeitung so treffend: "Er besitzt einen Blumentopf, aber weder Pass noch Wohnung." Seit Dienstagnachmittag ist Gustl Mollath, der wohl berühmteste Psychiatriepatient Deutschlands, ein freier Mann – nach über sieben Jahren Zwangsunterbringung. Das Strafverfahren gegen ihn soll nun neu aufgerollt werden, es ging ja um Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung, und eine neue Haftstrafe allerdings droht Mollath nicht mehr, auch eine erneute Einweisung in die Psychiatrie liegt eher im Bereich des theoretisch Möglichen. Dessen ungeachtet, der Fall Mollath lässt wohl kaum jemanden kalt, und er nährt auch die Angst, dass mit einem etwas passiert, das man nicht mehr steuern kann.

Thomas Saschenbrecker ist Anwalt und hat sich auf Themen wie Zwangseinweisung und Entmündigung spezialisiert. Schönen guten Morgen, Herr Saschenbrecker.

Thomas Saschenbrecker: Guten Morgen.

Brink: Ist denn die Angst vor einer Zwangseinweisung berechtigt?

Saschenbrecker: Die Angst ist allenfalls teilweise berechtigt. Normalerweise hat der Gesetzgeber recht hohe Hürden für eine Zwangseinweisung, eine hinreichende richterliche Überprüfung auch vorgesehen. Allerdings gibt es natürlich auch Konstellationen, wo man tatsächlich mal neben sich steht und wo man in einer eigenen Krise ist, und in solchen Situationen, wo man unter Umständen auch vom sozialen Umfeld, vom stabilen sozialen Umfeld isoliert ist, da bestehen durchaus Gefahren, dass man natürlich in eine Mühle auch gerät, aus der man schlecht wieder herauskommt.

Brink: Können Sie diese Mühle noch ein bisschen genauer beschreiben? Die ist ja für jemanden, der nicht in dieser Thematik drinsteckt, schwer zu fassen.

Saschenbrecker: Na ja, wenn Sie tatsächlich sich in einer solchen Krise befinden, dann bestehen natürlich durchaus die Gefahren, dass das irgendein Psychiater über die plötzliche und vorschnelle Diagnose erstellt, die dann dazu führt, dass unter Umständen auch der Richter diese Diagnose vorbehaltlos – ungeprüft sozusagen – übernimmt. Ähnlich wie im Fall Mollath, wo jemand, der tatsächlich als psychisch krank gilt, dass man da gar nicht mehr den Sachverhalt im Einzelnen erforscht, gar nicht mehr fragt, was ist denn da wahr und was ist unwahr von dem, was der Patient oder derjenige behauptet, der eben von einer solchen möglichen Maßnahme betroffen ist, und dann eben vorschnell auch sagt, das ist sowieso alles Spinnerei, das ist krankheitsbedingt. Und dann gerät man tatsächlich in solch eine Mühle, dass der Richter dann unter Umständen vorschnell eben solche Unterbringung verfügt.

Und wenn Sie dann nicht über hinreichende juristischen Mittel … gleich am Anfang diese juristischen Mittel ergreifen, dann unter Umständen besteht schon große Gefahr auch, dass Sie eben auf Dauer untergebracht werden oder zumindest teilweise untergebracht werden und dann mehr und mehr ihr tatsächliches sonst noch intaktes soziales Umfeld wie Arbeitsplatz, Wohnung und so weiter verlieren.

Brink: Wenn denn diese juristischen Entscheidungen, die Sie gerade eben beschrieben haben, also ein Richter, der dann eben einfach entscheidet, nicht ausreichend überprüft … und wer überprüft sie denn dann, wenn ja?

Saschenbrecker: Ja, gut, wenn tatsächlich mal eine richterliche Maßnahme ergangen ist, haben Sie natürlich Überprüfungsmöglichkeiten durch Rechtsmittel, Beschwerden, aber solche Möglichkeiten, die sind dann tatsächlich schleppend. Da sind Sie erst mal in der Psychiatrie, da sind Sie erst mal in diesem isolierten Umfeld, wo unter Umständen auch gar nicht mehr jeder zu Ihnen kann, und wo Sie auch selbst nicht mehr diese Rechtsmittel so einfach ergreifen können. Und dann wird durch eine höhere Instanz, beispielsweise durchs Landgericht, natürlich durchaus diese Maßnahme noch mal überprüft, aber natürlich, Sie sind erst mal schon in dieser Mühle drin, und da rauszukommen, ist schon erheblich schwieriger.

Brink: Sie machen einem aber jetzt schon Angst. Also jemand, der in einer Krise ist, der ist ja normalerweise dann vielleicht auch nicht in der Lage, solche nüchternen …

Saschenbrecker: Ich sage ja, es müssen viele Faktoren zusammen kommen. Solange Sie ein stabiles Umfeld haben, sich normalerweise wehren können und Ihnen nicht alles egal ist, wird so was auch nicht so einfach passieren. Da, muss man klar sagen, ist unser Rechtssystem schon auf was ausgerichtet, hier hinreichend zu trennen. Aber Sie müssen auch sehen, Sie können auch in Situationen geraten, zum Beispiel Verlust eines nahen Angehörigen und so weiter, wo Ihnen vorübergehend mal alles egal ist, wo Sie sich auch so ein bisschen, wie man so schön sagt, "hängen lassen", und in solchen Situationen ist natürlich durchaus dann die Gefahr, dass jetzt irgendwie das juristische und medizinische Umfeld auf Sie Zugriff nimmt und letztlich sagt, da muss irgendwas passieren, der muss unter Umständen auch weggesperrt werden zu seinem eigenen Schutz.

"Den gesunden Menschenverstand einsetzen"
Brink: Ja, der Fall Mollath wird ja nun neu aufgerollt, das heißt – und das sollte man an dieser Stelle vielleicht auch mal betonen –, es wird neu darüber verhandelt, ob die Einweisung in die Psychiatrie berechtigt war oder nicht. Wie sehen Sie das? Ist da juristisch geschlampt worden?

Saschenbrecker: Das hätte man von Anfang an tun sollen, das ist eben die Verantwortung, die die Richter oft und gerne auf andere verlagern, auf den Sachverständigen, indem sie einfach sagen, ja, ich bin kein Psychiater, ich bin kein Sachverständiger – hier gilt es ganz einfach mal auch für die Richter, den gesunden Menschenverstand einzusetzen und ganz einfach auch mal zu sagen, egal, ob jetzt irgendein Psychiater sagt, der gilt als psychisch krank unter Umständen, hier eigene Sachverhaltsermittlungen anzustellen, zu fragen, ist es wahr, was dieser Mensch sagt, ist es auch hinreichend, hat es hinreichend Grundlage oder ist es tatsächlich nur Fantasterei? Und nicht jede Sachverhaltsermittlung da nur dem Sachverständigen oder also dem Mediziner zu überlassen. Denn das ist eigentlich nicht Aufgabe des Mediziners, sondern des Richters.

Brink: Also Sie sagen ganz klar, da ist juristisch geschlampt worden?

Saschenbrecker: Ja, mit Sicherheit.

Brink: Nun gibt es ja auch eine Kehrseite, wir haben es ja schon besprochen, wenn jemand nicht in der Lage ist, vielleicht eine Entscheidung zu treffen, ein Richter trifft dann eine Entscheidung, er wird weggesperrt. Die Kehrseite dieser Geschichte kann man ja sehen, zum Beispiel wenn man über die Suchtproblematik spricht, weil jeder ist ja letztendlich auch für sich ja selbst verantwortlich. Auch dann für sein eigenes Elend, wenn wir so weit gehen?

Saschenbrecker: Da hat aber die Justiz sowieso, genau so wie die Medizin, wenig Eingriffsmöglichkeiten. Wenn Sie tatsächlich unter einer Suchterkrankung leiden, dann geht das ohne ihr eigenes Einverständnis und ohne Ihr Zutun sowieso nicht. Sie können keine sinnvolle Therapie machen auf Dauer, ohne dass der Patient auch ein Mindestmaß zumindest an Kooperation zeigt. Das heißt, da ist mit Zwang beziehungsweise mit ganz einfach Wegsperren ohnehin wenig getan. Da haben Sie vielleicht zwei, drei Monate überbrückt letztlich, aber die Suchtproblematik ist dadurch nicht aufgehoben. Die Sucht bleibt, sagen manche Mediziner, sogar lebenslang letztlich, das heißt, Sie müssen bei den Betroffenen selbst eigentlich eine Umkehr bewerkstelligen. Da kann unter Umständen so eine Zwangsmaßnahme ein erster Ansatz für eine Umkehr sein, aber niemals natürlich eine Dauerlösung.

Brink: Thomas Saschenbrecker, Anwalt, hat sich auf Themen wie Zwangseinweisung und Entmündigung spezialisiert, und wir sprachen mit ihm über den Fall Mollath. Schönen Dank, Herr Saschenbrecker, für das Gespräch.

Saschenbrecker: Danke schön, Wiederhören.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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