Zuviel Obst macht krank

Eine neue Ernährungskrankheit macht in gesundheitsbewussten Zirkeln die Runde: Die Fructose-Malabsorption. Was ist das und wie ernst müssen wir das nehmen?
Hintergrund: In der Tat haben viele Menschen mit der Resorption von Fruchtzucker im Darm Probleme. Das Phänomen ist ähnlich wie die Lactosemalabsorption, also die gestörte Aufnahme von Milchzucker im Darm. Die Symptome sind in beiden Fällen die gleichen: Blähungen, Durchfälle, dünne, breiige Stühle. Das hängt damit zusammen, dass der Darm die Zuckerarten nicht aufnehmen kann. Nun werden sie von der Darmflora vergoren, was zur Gasbildung führt und zugleich den Flüssigkeitshaushalt des Darmes stört, was zu Durchfällen führt.
Während die Absorption des Milchzuckers bei rund zehn Prozent der Deutschen gestört ist (bei Zuwanderern aus dem Süden liegt die Rate deutlich höher), vermutet man bei der Fructosemalabsorption, dass etwa ein Drittel der hiesigen Bevölkerung davon betroffen ist. Der Nachweis erfolgt über den H2-Atemtest.

Dann wäre das ja ein weitaus größeres Problem als die Lactose?
Nicht ganz. Denn es gibt zwischen diesen beiden Malaisen einen gravierenden Unterschied: Fructose wird in Gegenwart einer gleich großen Menge an Traubenzucker (Glucose) problemlos vom Darm aufgenommen. Denn Traubenzucker aktiviert jenen Transporter im Darm, der sich auch der Fructose annimmt. Deshalb vertragen die Betroffenen normalen Haushaltszucker ohne Schwierigkeiten, da dieser zu gleichen Teilen aus Trauben- und Fruchtzucker besteht. Gleiches gilt auch für viele Früchte, die einen ausgewogenen Gehalt an Trauben- und Fruchtzucker aufweisen.

Das heißt ich kann weiterhin guten Gewissens in meinen Apfel beißen?
Genau das Flaggschiff gesunder Kost ist das Problem: der Apfel. Er hat einen deutlichen Überschuss an Fructose und enthält noch dazu den ähnlich wirkenden Sorbit. Viele Menschen reagieren darauf mit den Beschwerden. Bei Kindern führt Apfelsaft deshalb häufig zu Durchfällen. Da Äpfel ein wichtiges Streckmittel in vielen Fruchtfüllungen sind und da Fructose in wachsendem Ausmaß zahlreichen Produkten zugesetzt wird (angefangen von Lebkuchen und Desserts über Jogurt und Marmeladen bis hin zu Pausenriegeln und Zwieback), hat der Verbraucher reichlich Möglichkeiten, sich unwissentlich Fructose einzuverleiben.

Fructose: Verwendungsbeispiele
- Marmeladen, Desserts, Backfüllungen: Intensiviert den Fruchtgeschmack von Obstprodukten und verlängert ihre Haltbarkeit
- Süße Backwaren: Feuchthaltemittel, "Soft-Biss”
- Eiscreme: verbessert die Formbarkeit
- Snacks: fördert die Expansion
- Müsliriegel: erhöht Bissfestigkeit
- Limonaden und andere Süßgetränke: Süßungsmittel, da süßer als Zucker (sog. HFCS)
- LowCarb-Produkte (d.h. Produkte mit niedrigem Kohlenhydratgehat): Der glykämische Index von Fructose liegt niedriger als von Glucose
- TK-Desserts: erlaubt Kontrolle des Gefrierpunkts
Entnommen aus: Pollmer U, Niehaus M: Food Design: Panschen erlaubt. Hirzel, Stuttgart 2007

Aber wiegen die Vorteile eines Apfels nicht die Nachteile von ein paar Blähungen auf?
Leider nein. Die Folgen einer Ernährung mit Kohlenhydraten, die vom Verdauungstrakt nicht aufgespalten und resorbiert werden können, sind fast immer dieselben – ganz gleich, ob es sich um Stärke aus Weizenvollkorn, Lactose oder Fructose handelt: Sie liefern den Mikroorganismen im Enddarm ein gefundenes Fressen. Nicht resorbierte Kohlenhydrate ziehen Hefen aller Art an, die sie in Gase, d.h. Blähungen umsetzen. Im Laufe der Zeit wandern die fraglichen Mikroorganismen immer weiter in Richtung der "Futterquelle”. Am Übergang vom Dünn- zum Dickdarm werden sie von der Ileozökalklappe zunächst daran gehindert, bis in den Dünndarm vorzudringen. Aber die unvermeidliche Gasbildung sorgt dafür, dass die Blähungen in die "falsche Richtung” abgehen. Gelangt dabei Speisebrei mitsamt seinen Mikroben in den Dünndarm, können diese sich dort ansiedeln und vermehren. Die Folge ist das so genannte Overgrowth-Syndrom. Auf lange Sicht sind rheumatische Beschwerden und andere Autoimmunerkrankungen fast unvermeidlich.

Was tun?
Wer Äpfel oder Apfelsaft (bzw. Birne) nicht verträgt, sollte entweder die Finger davon lassen oder etwas Traubenzucker zumischen. Gleiches gilt natürlich für die Lebensmittelwirtschaft, die sich über die Probleme, die von einem beliebigen Einsatz der Fructose ausgehen können, offenbar noch nicht im Klaren ist. Dabei würde es genügen, wenn sie Fruchtzucker, wo immer möglich, mit genausoviel Traubenzucker kombinieren würde.

Literatur
Ledochowski M et al: Fruktosemalabsorption. Journal für Ernährungsmedizin 2000; 2(3): 10-14
Ledochowski M et al: Fructose- and sorbitol-reduced diet improves mood and gastrointestinal disturbances in fructose malabsorbers. Scandinavian Journal of Gastroenterology 2000; 35: 1048-1052
Born P et al: Carbohydrate malabsorption in clinical routine: a prospective observational study. Hepatogastroenterology 2006; 53: 673-677
Shepherd SJ, Gibson PR: Fructose malabsorption and symptoms of irritable bowel syndrome: guidelines for effective dietary management. Journal of the American Dietetic Association 2006; 106: 1631-1639