Zuverlässig und zulässig

Von Regina Kusch · 12.08.2013
Es war eine Sensation, mit der die Berliner Kriminalpolizei am 12. August 1988 aufwartete: Erstmalig in Deutschland konnte ein Mörder anhand eines genetischen Fingerabdrucks überführt werden. Lange hatte es gegen die Methode ethische Bedenken gegeben.
Am 29. Februar 1988 hatte das Berliner Ehepaar Mrosek eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Ihre Tochter Claudia war verschwunden. Schon bald ging die Polizei davon aus, dass die junge Bankangestellte Opfer einer Straftat geworden war. Zahlreiche Hinweise führten zu Hannsjoachim Rosenthal. Er war erst kurz zuvor aus zehnjähriger Jugendhaft entlassen worden, die er wegen Raubmordes an einer Wirtin abgesessen hatte. An mehreren Bankautomaten hatte er mit der Scheckkarte der Vermissten Geld abgehoben. Karl Flohr leitete damals die 1. Berliner Mordkommission.

"Wir haben eine Menge Fotos, auf denen er videografiert wurde von den Überwachungskameras. Aber es reichte nicht aus. Wir konnten ihm jetzt also nur beweisen, dass es die Karte der Claudia Mrosek war. Wir konnten ihm aber nicht beweisen, dass er sie umgebracht hat. Und wir haben dann einen Haftbefehl bekommen wegen Computerbetruges."

Zwei Wochen später fand man in einer abgelegenen Laubenkolonie die Leiche der jungen Frau, die vergewaltigt und erdrosselt worden war. Die Polizei entdeckte zwar Spermaspuren, die allerdings, da sie älter als 36 Stunden waren, dem Verdächtigen mit herkömmlichen Analysemethoden nicht sicher zugeordnet werden konnten. Deshalb beschlossen die Mordermittler einen DNA-Test anzuwenden, ein Verfahren aus England, das bis dahin in Deutschland sowohl ermittlungstechnisches als auch juristisches Neuland war. Die Staatsanwaltschaft orderte eine Blutprobe des Verdächtigen mit dem Hinweis:

"In England ist eine Methode des sogenannten genetischen Fingerabdrucks entwickelt worden. Danach kann körpereigenes Material eines Menschen, das Träger der Erbmasse ist (z. B. Haarwurzel, Blut, Sperma) diesen Menschen mit absoluter Sicherheit zugeordnet werden. Die Spermaspuren sind mit einem Untersuchungsauftrag der Staatsanwaltschaft dem englischen Labor (Cellmark) übersendet worden."

Dort verglichen Wissenschaftler das Erbmaterial der eingeschickten Blut- und Spermaproben und erstellten einen mikrobiologischen Steckbrief in Form eines Balkenmusters, das ähnlich aussieht wie die Strichcodes auf Preisschildern für Scannerkassen in Supermärkten. Die Spuren vom Tatort waren mit der Blutprobe des Verdächtigen identisch. Am 12. August 1988 konfrontierten die Kriminalkommissare Hannsjoachim Rosenthal mit dem Testergebnis. Karl Flohr:

"Nachdem die Beweislage jetzt so war, dass er der Verursacher der Spermaspuren war, haben wir beantragt, dass der Haftbefehl erweitert wurde auf Mord. Der ist weiß geworden wie 'ne Wand. Wutentbrannt hat er den Haftbefehl vor den Augen des Richters zerrissen und auf den Fußboden geworfen."

Noch am selben Tag gestand Rosenthal die Tat. Sofort informierte die Berliner Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit, dass erstmalig in Deutschland ein Mörder mithilfe eines genetischen Fingerabdrucks überführt worden sei. Da ein Geständnis vorlag, hatte das Landgericht Berlin 1988 im Prozess gegen Rosenthal auf das genetische Gutachten aus England verzichten können. Er wurde wegen Mordes zu einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.

Juristen stritten derweil über die rechtliche Zulässigkeit des Verfahrens als Beweismittel. Hans Christian Ströbele, heute Bundestagsabgeordneter der Grünen, damals Rosenthals Anwalt, bezeichnete die DNA-Analyse als Eingriff in die Privatsphäre eines Menschen. Die Einrichtung einer DNA-Datenbank, wie sie das Bundeskriminalamt zur Verbrechensbekämpfung plante, berge die Gefahr, einen Gläsernen Menschen zu schaffen. Eine Bundestags-Enquete-Kommission zu "Chancen und Risiken der Gentechnologie" hatte dagegen bereits 1987 einen Bericht vorgelegt, in dem es hieß:

"Als unbedenklich erscheint die Verwendung von Testmethoden, die genau nur die verfahrensrelevanten Tatsachen, also etwa die Herkunft von Tatspuren, feststellen … Niemand kann ein schützenswertes Interesse geltend machen, nicht als Täter einer Straftat identifiziert zu werden."

1990 beendete der Bundesgerichtshof den Streit, indem er die heute in der Kriminaltechnik gar nicht mehr wegzudenkende Methode als zulässiges Beweismittel erklärte. Seit 1998 betreibt das BKA eine DNA-Analyse-Datei, in der gespeicherte DNA-Profile mit Tatortspuren abgeglichen werden.