Zusammenleben ohne Zoff
Ginnheimer Spargel ist kein Großstadtgemüse, sondern der Spitzname für den Frankfurter Fernmeldeturm. Zu seinen Füßen erstreckt sich die Platensiedlung, 1955 von den Amerikanern als Wohnquartier für Soldaten gebaut. Heute leben 3500 Menschen aus mehr als 30 Nationen in dem einst eingezäunten Militärquartier, die Hälfte davon Kinder und Jugendliche.
"Komm mit zu Astrid Lindgren, komm mit zu Astrid Lindgren, komm mit zu Astrid Lindgren, komm zu ihren Büchern."
Geburtstagsständchen - Schüler der Astrid-Lindgren-Schule singen der verstorbenen Kinderbuchautorin und Namensgeberin ein Lied zum Hundertsten. Vor zwölf Jahren verließen die US-Soldaten und ihre Familien die sogenannte "Housing" Platensiedlung. Fast 800 Wohnungen zwischen 80 und 120 Quadratmetern wurden auf einen Schlag frei, mit großen Grünflächen davor - ein Eldorado für kinderreiche Familien, vor allem für solche mit schmalerem Einkommen. Mittendrin die großzügigen hellgelben Würfel mit weitläufigem Hofgelände auf der Rückseite, ehemals die "American Elementary School". Mit zwölf Schülern, zwei Lehrerinnen und einer Sekretärin zog die Astrid-Lindgren-Schule hier Ende 1995 in zwei Räume ein. Schulleiterin Doris Schneider-Knopp erinnert sich:
"Direkt nach den Weihnachtsferien am ersten Schultag im Januar standen dann ungefähr 50 Eltern mit ihren Kindern vor der Türe, die alle um die Weihnachtszeit herum in die neue Siedlung eingezogen sind und nun alle ihr Kind in die neue Schule schicken wollten, und zwar ab sofort."
Zusätzliche Lehrer wurden Zug um Zug eingestellt, Räume erst hergerichtet - bis die Schülerschaft um die Jahrtausendwende auf fast 500 anwuchs, für kurze Zeit war die Astrid-Lindgren-Schule die größte Grundschule in Frankfurt am Main
An einem dunklen Winterabend 1996 zog auch Tina Meyer mit Mann und drei Kindern in die Platensiedlung, heute arbeitet sie ehrenamtlich in der Nachmittagsbetreuung des Fördervereins mit, ihre Tochter Laura geht auf die Astrid-Lindgren-Schule:
"Es war halt der 15. November, da sind wir eingezogen, und es war kein Kind auf der Straße, und es war ganz ruhig."
Was sich mit Frühjahrsbeginn schlagartig änderte: Sechs Familien mit insgesamt 21 Kindern wohnten da in dem dreistöckigen Mietshaus, im Rest des Viertels sah es nicht anders aus: Kinderreichtum, von dem Demografen und Politiker in Sonntagsreden schwärmen, der aber so geballt selbst nervengestählte Eltern in die Verzweiflung trieb, wie die Mutter mit dem frechen blonden Kurzhaarschnitt und dem Nasen-Piercing.
"Die wahnsinnig vielen Kinder, da hatte man morgens keine Ruhe, abends keine Ruhe, nachts keine Ruhe, das war so das Erschreckende für mich - wahrscheinlich bin ich zu alt für die Siedlung. Es war generell so, dass die Kinder bis abends elf, zwölf auf sind, da gibt es keinen Feierabend, die nutzen die schönen Tage aus. Jetzt haben wir die schönen Baseball- und Basketball-Felder, da geht das schon, da verlagert sich das ein bisschen auf die Wiese, aber das war am Anfang ganz schlimm, die haben alle vor der Tür gespielt, das ging bis nachts in die Puppen, und die Jugendlichen haben Partys gefeiert, und das wurde dann laut und lauter, und wenn man dann kleine Kinder hat oder einen Mann, der im Schichtdienst arbeitet, war das schon sehr anstrengend. Da habe ich auch gedacht, nix wie raus und irgendwo hin ziehen, wo weniger Unruhe ist."
Zehn Jahre später wohnt Tina Meyer immer noch in der Ginnheimer Platensiedlung. Sie hat Wurzeln geschlagen wie Susanne Hanak, die mit ihrer Familie in der Nachbar-"Housing" lebt. Den Reiz des Neuanfangs in den drei sogenannten "Amerikanersiedlungen" von Frankfurt-Ginnheim beschreibt sie so: Alle waren neu, es gab keine Alteingesessenen, die versuchten, alte Gewohnheiten zu verteidigen. Alle waren neugierig, schauten einander beim Renovieren und Einrichten zu:
"Man kam schnell in Kontakt miteinander, denn jeder hat auch den Kontakt gesucht. Es war Aufbruch, es war neues Errichten. Auch über die Spielplätze, man hat die Außenflächen viel genutzt und ich hatte den Eindruck, die Familien, die waren sehr offen."
Offen für verschiedene Sitten und Kulturen, offen für das Anderssein in jeder Hinsicht - das erfuhr auch die später zugezogene Familie Haas. Der älteste der drei Söhne leidet an Autismus, der jüngste an einer Aufmerksamkeitsstörung gepaart mit Hyperaktivität. Die Familie lebt vom geringfügigen Einkommen des Mannes und staatlichen Hilfen. 60 Prozent des Wohnungsbestandes in der Siedlung ist öffentlich gefördert und wird an zumeist kinderreiche Familien vergeben, die Arbeitslosengeld und andere Transferleistungen bekommen. "Am früheren Wohnort waren wir Deutsche unter Deutschen und fühlten uns diskriminiert", erzählt Brigitte Haas.
"Und hier, wie wir hierhergezogen sind, ist mein Großer damals auf seinem Drei-Fahrrad rum gefahren, und sämtliche Jugendliche aus seiner Altersgruppe waren begeistert von diesem Fahrrad und wollten auch mal drauf sitzen, und so fing die positive Wende hier an. Und da manch einer mit Diskriminierung und Ausgrenzen auch betroffen ist, sei es er kommt von Kenia, Marokko, Italien oder was weiß ich, wo sie überall herkommen, die verstehen mich, die grenzen einen nicht aus."
Szenenwechsel: von der Platensiedlung zehn Gehminuten nach Alt-Ginnheim, dem dörflichen Kern des 1910 eingemeindeten Frankfurter Stadtteils. Ein Weinlaub beranktes Hinterhof-Häuschen mit einem Holzvorbau - Mischung aus Hexenhaus und Dornröschenschloss mit unzähligen Zimmern: das Nachbarschaftszentrum Ginnheim. Dessen Leiterin Monika Westmeyer ist Anfang fünfzig, gelernte Tontechnikerin, studierte Sozialpädagogin, Hobby-Ausdrucksmalerin, hauptberuflich und ehrenamtlich eine der wichtigsten Strippenzieherinnen im Stadtteil. Ein paar Stunden hat die freundlich-energische Nachbarschafts-Managerin am Morgen schon telefoniert mit Ämtern und Vereinen, hat mit dem Grafiker das Jahresprogrammheft 2008 besprochen.
"Ich bin auch unheimlich gern hier. Mein Herz hängt natürlich an dem Haus, weil ich das alles selbst mit aufgebaut und eingerichtet habe, und das ist dann so ein eigenes Ding, das ist mein Baby. Und wir haben auch wirklich erst alle ehrenamtlich angefangen, das hat sich so nach und nach entwickelt auch als Team und die Kollegin, wo wir jetzt hingehen, die war von Anfang an im Team dabei und hat die Leitung hier von dem Minikindergarten übernommen. Hallo!"
Monika Westmeyer deutet auf Susanne Hanak, eine der Frauen, die das Nachbarschaftszentrum in Alt-Ginnheim mit aufbauten, sozusagen als das dörflich-soziale Rückgrat für die kinderreichen, multikulturellen Housings: Keine Krabbelstuben dort - also gründeten die Frauen im Nachbarschaftszentrum den Minikindergarten.
Susanne Hanak schaut Viktor und Klara beim Puzzeln über die Schultern. Der Zweijährige patscht jedes Mal die Händchen zusammen, wenn er eins der Holztiere richtig in die dafür vorgesehen Form gesteckt hat, spendet sich selbst den verdienten Beifall.
"Da - Super! Wir haben gesagt, gut wir machen dann so was wie ein Nachbarschaftszentrum, dann haben wir diese Räume gehabt, dann haben wir gesagt, komm wir fangen gleich an, machen eine Umfrage, was wird am meisten an Kursen gebraucht. Und wir fangen aber gleich an mit einem Minikindergarten, denn das war klar, dass diese tageweise stundenweise Betreuung, dass da ein Bedarf sein wird, und so war es auch. Es haben sich gleich ganz viele angemeldet."
Die Warteliste ist inzwischen lang. Mütter anderer Muttersprachen, die keinen Platz im Minikindergarten ergattern, müssen auf das Deutschlernen aber nicht verzichten. Die Volkshochschule bietet Kurse mit Kinderbetreuung an. Das von der Stadt Frankfurt am Main geförderte Nachbarschaftszentrum stellt Räume für beides zur Verfügung, damit Frauen und Kinder nicht quer durch die Großstadt fahren müssen.
"Früher haben wir noch eine Raumnutzungsgebühr bekommen, und das ist jetzt leider weggefallen, das heißt, es ist ja immer auch ein Rechenexempel. Wir müssen ja ständig auch vor der Stadt klarlegen, welche Einnahmen wir haben, und der Wirtschaftsfaktor spielt immer mehr eine Rolle. Gerade mit dem Deutschkurs ist es so: Dieser Kurs bringt uns gar nichts ein. Aber wir wollen halt, dass es etabliert ist, weil das von Anfang an hier eingebunden war und wir das wichtig finden, mit den Frauen gemeinsam zu arbeiten, eine Filmreihe zu entwickeln oder die ans Haus zu binden, dass wir sagen: Wir sind ein multikulturelles Zentrum für den Stadtteil und zwar für den Gesamtstadtteil","
sagt Monika Westmeyer und steigt in den Keller, um eine Kiste gespendeter Bausteine für die Volkshochschul-Kinderbetreuung zu holen. Arya, dunkle Löckchen und ansonsten ganz in rosa, greift begeistert zu. Ein Stockwerk höher im Hexenhäuschen sagt Kursleiterin Aygül Klein:
""Gut, dann beginnen wir mit den Hausaufgaben. Wer möchte anfangen. Prwin, bitte. 'Was machst du heute Abend?'"
Während die zweijährige Arya unten in den Bausteinen wühlt, trainiert ihre Mutter oben Deutsch für Fortgeschrittene. Sie sei gerade erst in die Platensiedlung eingezogen, erzählt die Zuwanderin aus dem Nordirak während der Kaffeepause in der gemütlichen Küche des Nachbarschaftszentrums.
"Wichtig ist die große Wohnung, Kinder brauchen Kinderzimmer. Und im alten Haus habe ich nur eine Schlafzimmer für vier Personen."
Besser Deutsch lernen möchte Prwin A-Manlood wie die meisten anderen Kursteilnehmerinnen hauptsächlich für ihre beiden Kinder, um sich in der Schule und beim Kinderarzt verständlich machen zu können.
"Sie wollen natürlich für ihre Kinder die best-mögliche Chance erhalten und möchten nicht, dass es an ihnen scheitert, ja, dass die Zukunft der Kinder quasi an den Eltern scheitert, was meistens leider Gottes der Fall ist. Wenn ausländische Eltern, Migrantenfamilien, mit ihren Kindern in der Schule auftauchen, sind sie gewissermaßen mit einem Vorurteil schon behaftet, sie müssen viel Leistung erbringen, um die Lehrerschaft davon zu überzeugen, dass sie ihre Kinder unterstützen. Wenn sie dann in der deutschen Sprache heimisch sind, dann sind sie überzeugender als eine Familie, die ihre Kinder unterstützt, aber der deutschen Sprache nicht mächtig ist","
so Aygül Klein, in der Türkei geboren, in Deutschland aufgewachsen, seit zwanzig Jahren Dozentin für Deutsch als Fremdsprache. Ehemalige Bewohnerin der Platensiedlung und langjährige Vorsitzende des Vereins "Ideal" - Interessengemeinschaft der ehemaligen amerikanischen Liegenschaften, Keimzelle sozusagen des Nachbarschaftszentrums Ginnheim. Doris Schneider-Knopp, Leiterin der Astrid-Lindgren-Schule, sieht das Sprachtraining so:
""Dass die Eltern bereit sind, Deutsch zu lernen, signalisiert uns auch, sie haben Interesse an ihrem Kind und auch die Schullaufbahn ihres Kindes aktiver zu begleiten. Das ist für uns ganz, ganz wichtig, denn wir haben immer wieder erlebt, wenn Eltern keine ausreichenden Deutsch-Kenntnisse haben, dann können sie ihrem Kind auch nicht das ein oder andere Mal bei den Hausaufgaben helfen und dann sind auch die Elterngespräche sehr, sehr schwierig, und das hat sich aber jetzt deutlich verbessert. Als wir vor vielleicht zwei Jahren gemerkt haben, dass doch wesentlich mehr Mütter Deutsch lernen und damit auch viel aufgeschossener sind, zu Elterngesprächen zukommen, mehr auch über die Schule, ihre Aktivitäten und auch über die Schullaufbahn ihres Kindes zu wissen."
Lehrer, Eltern und sozial Engagierte in der Frankfurter Platensiedlung müssen den Kinderreport 2007 des Kinderhilfswerks nicht studiert haben, um zu wissen, dass Kinderreichtum und Kinderarmut in Deutschland zwei Seiten einer Medaille sind, und dass Einwandererkinder besonders häufig von Armut betroffen sind. Was laut Kinderreport gleichbedeutend ist mit schlechten Bildungs- und Integrationschancen. Im öffentlich geförderten Wohnungsbestand des Quartiers gibt es Blocks, in denen gar keine deutsche Familie wohnt, weiß Tina Meyer.
"Ich finde es nicht in Ordnung, also normalerweise gehört ein gesundes Mischverhältnis rein. Ich denk einmal, in einem Haus mit sechs Parteien, da gehören mindestens zwei, drei Deutsche und von einer anderen Nation ebenfalls noch einmal zwei oder drei Familien rein. Ich denke, es müsste besser durchmischt werden. Man kriegt dann immer wieder mit, wo es Ärger gibt, wenn dann so eine geballte Ausländerschaft aufeinander sitzt, dass es dann zu Konflikten kommt. Also wir haben schon mit den Gesellschaften gesprochen, die wollen es wohl ändern, wenn die Leute ausziehen, dann gucken sie, dass sie dementsprechend die Wohnungen neu besetzen."
Gemeint ist die Wohnungsbaugesellschaft ABG Frankfurt Holding mit ihren Töchtern. Ehrenamtliche Arbeit ist schwierig in einem Viertel, in dem viele Familien finanziell mit dem Rücken an der Wand stehen, weiß Tina Meyer als Vorsitzende des Grundschul-Fördervereins. Die Astrid-Lindgren-Schule hat fast 400 Schüler, der Förderverein derzeit nur sieben Mitglieder, davon eine Lehrerin.
"Es sind 15 Euro im Jahr und haben sie einen Frankfurt-Pass, dann sind es nur 10 Euro im Jahr, und sie haben noch die Vergünstigungen. Wenn die Kinder beim Hip-Hop mitmachen, dann brauchen sie wesentlich weniger zu bezahlen, am Flohmarkt, wenn sie einen Stand wollen, brauchen sie nur die Hälfte zu bezahlen, also: Wir kommen den Eltern schon wieder entgegen, sie kriegen das Geld praktisch wieder rein, aber wir sind keine Siedlung, wo die Eltern bereit sind zu zahlen."
Orkut ist froh, dass er die Hausaufgabenbetreuung des Fördervereins nutzen kann.
"Bei mir ist fast täglich der Fernseher an, wenn wir Hausaufgaben machen, wir sind nämlich vier, meine Mutter, mein Vater, meine Schwester und ich, und da ist es schwierig, Hausaufgaben zu machen. Meine Schwester telefoniert immer mit den Freundinnen, mein Vater geht täglich ins Internet und hört manchmal so Musik und das macht dann manchmal Lärm, und dann ist das ein bisschen schwierig, und hier in der Betreuung fühlt man sich ein bisschen wohler als zu Hause."
Nicht weit von der Grundschule entfernt liegt im Erdgeschoss eines schmuddlig grau-braunen Wohnblocks das Nachbarschaftsbüro der Platensiedlung. Gegründet wurde es 2006, als das Förderprogramm "Soziale Stadt" nach fünf Jahren fristgerecht auslief. Dazu gehörten ein professioneller Quartiersmanager, die Ausbildung ehrenamtlicher Konfliktvermittler und Geburtshilfe für eine Nachbarschaftszeitung, nach den Anfangsbuchstaben von "Housing" und "Platensiedlung", "Ho-Pla-Post" genannt. Erstmals finanziert die Stadt Frankfurt am Main solch ein Projekt reduziert weiter, unter Trägerschaft des Nachbarschaftszentrums Ginnheim. Das Büro bezahlt die Wohnungsbaugesellschaft.
Am Nachmittag kommen Mitarbeiter des Sozialrathauses der Frankfurter Nordweststadt vorbei. Monika Westmeyer managt das Nachbarschaftsbüro Platensiedlung als Ableger des Nachbarschaftszentrums Ginnheim und zeigt den Jugend- und Sozialamts-Mitarbeitern das kleine Büro weiter hinten, in dem sie einmal wöchentlich Sprechstunde abhalten sollen. Besonders begeistert scheinen die städtischen Dienstleister nicht darüber zu sein, auf Weisung des Sozialdezernats eine neue Außenstelle in Betrieb nehmen zu müssen. Doch die Ginnheimer Nachbarschafts-Managerin drängelt, dass es bald losgehen soll - damit bedürftige Familien vor Ort erfahren können, was sie an materieller Unterstützung beanspruchen können, welche Erziehungs- und Lernhilfen es für ihre Kinder gibt. Sinnvolle Ergänzung zu den Sprechstunden von Wohnungsgesellschaft, Konfliktvermittlern und Polizei, findet Monika Westmeyer und sagt über das ausgelaufene Programm "Soziale Stadt":
"Im Grunde ist ja die Zielrichtung so gewesen, dass man gesagt hat, Quartiersmanagement ist für einen bestimmten Zeitraum in den Quartieren drin und sorgt dann dafür, dass nach Ende des Quartiersmanagements die Leute befähigt sind, sich selbst zu organisieren, und die Erfahrung hat gezeigt, dass es in vielen Stadtteilen so nicht geht, dass man die Leute dann sozusagen alleine lässt und sagt nun macht doch einmal und dann läuft vieles vielleicht noch ein Jahr, wenn es gut geht oder zwei, und dann geht es so allmählich in die Knie. Im Grunde genommen geht es darum, auch ein Konzept zu entwickeln, was längerfristig trägt."
Und da ist das Nachbarschaftszentrum Ginnheim dabei, Pionierarbeit zu leisten. Nicht als Sozialarbeit von oben, stellt Monika Westmeyer klar:
"Einer hatte die Idee, so eeine Kleiderkammer aufzubauen, wo man Kleider sammelt und günstig wieder weitergibt, ja, solche Sachen. Wie stellen wir das auf die Füße und wie kriegen wir das so weit, dass die Leute sagen, dieses Büro, das es da gibt, ist nicht wieder irgend eine Institution, wo man sich nicht traut reinzugehen, sondern wo man miteinander was erarbeitet."
Es beginnt zu funktionieren. Brigitte Haas, die Mutter der drei Jungen, von denen einer an Autismus, der andere an Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität leidet, überlegt, im Nachbarschaftsbüro mitzuarbeiten. Eine entfernte Bekannte, die schon dabei ist, hatte sie vom Balkon aus angesprochen.
"Und da denke ich, die Erfahrung, die ich all die Jahre gemacht habe, sei es mit Kindergarten, sei es mit Grundschule, sei es mit weiterführenden Schulen, sei es mit Förderschulen, sei es mit auffälligen Kindern sich noch zu erkämpfen die dementsprechenden Ausbildungswerke."
Erfahrungen, die Brigitte Haas gern im Nachbarschafts-Netzwerk weitergeben würde. Ginnheim - ein Frankfurter Stadtviertel in Bewegung, die Platensiedlung - ein Quartier auf Identitätssuche. Wenn die Bildzeitung schreit "Alarm unterm Spargel - in Ginnheim wohnt jetzt die Armut", weil laut Magistratsstatistik ein Viertel der Bewohner von staatlichen Hilfen lebt, dann ärgern sich die Engagierten um Monika Westmeyer kurz über diese Stigmatisierung, um schnell wieder zum Tagesgeschäft überzugehen, denn das Leben unter dem Ginnheimer Spargel, dem alles überragenden Fernmeldeturm, ist besser als sein Ruf. Marcus aus der zweiten Klasse der Astrid-Lindgren-Schule ist ohnehin überzeugt, es in der Platensiedlung komfortabler angetroffen zu haben als am vorigen Wohnort:
"Das war nicht so schön, das war ein reines Ghetto."
"Und hier?"
"Da ist es ganz schön, nette Leute."
"Was ist denn ein Ghetto?"
""Also da, wo nicht sehr nette Leute wohnen, wo es nicht sehr schön ist - also halt - alles andere als hier."
"Kompliment an die Platensiedlung", schmunzelt Tina Meyer, die vor elf Jahren herzog, vor zehn Jahren überlegte wegzuziehen, und immer noch hier lebt.
Geburtstagsständchen - Schüler der Astrid-Lindgren-Schule singen der verstorbenen Kinderbuchautorin und Namensgeberin ein Lied zum Hundertsten. Vor zwölf Jahren verließen die US-Soldaten und ihre Familien die sogenannte "Housing" Platensiedlung. Fast 800 Wohnungen zwischen 80 und 120 Quadratmetern wurden auf einen Schlag frei, mit großen Grünflächen davor - ein Eldorado für kinderreiche Familien, vor allem für solche mit schmalerem Einkommen. Mittendrin die großzügigen hellgelben Würfel mit weitläufigem Hofgelände auf der Rückseite, ehemals die "American Elementary School". Mit zwölf Schülern, zwei Lehrerinnen und einer Sekretärin zog die Astrid-Lindgren-Schule hier Ende 1995 in zwei Räume ein. Schulleiterin Doris Schneider-Knopp erinnert sich:
"Direkt nach den Weihnachtsferien am ersten Schultag im Januar standen dann ungefähr 50 Eltern mit ihren Kindern vor der Türe, die alle um die Weihnachtszeit herum in die neue Siedlung eingezogen sind und nun alle ihr Kind in die neue Schule schicken wollten, und zwar ab sofort."
Zusätzliche Lehrer wurden Zug um Zug eingestellt, Räume erst hergerichtet - bis die Schülerschaft um die Jahrtausendwende auf fast 500 anwuchs, für kurze Zeit war die Astrid-Lindgren-Schule die größte Grundschule in Frankfurt am Main
An einem dunklen Winterabend 1996 zog auch Tina Meyer mit Mann und drei Kindern in die Platensiedlung, heute arbeitet sie ehrenamtlich in der Nachmittagsbetreuung des Fördervereins mit, ihre Tochter Laura geht auf die Astrid-Lindgren-Schule:
"Es war halt der 15. November, da sind wir eingezogen, und es war kein Kind auf der Straße, und es war ganz ruhig."
Was sich mit Frühjahrsbeginn schlagartig änderte: Sechs Familien mit insgesamt 21 Kindern wohnten da in dem dreistöckigen Mietshaus, im Rest des Viertels sah es nicht anders aus: Kinderreichtum, von dem Demografen und Politiker in Sonntagsreden schwärmen, der aber so geballt selbst nervengestählte Eltern in die Verzweiflung trieb, wie die Mutter mit dem frechen blonden Kurzhaarschnitt und dem Nasen-Piercing.
"Die wahnsinnig vielen Kinder, da hatte man morgens keine Ruhe, abends keine Ruhe, nachts keine Ruhe, das war so das Erschreckende für mich - wahrscheinlich bin ich zu alt für die Siedlung. Es war generell so, dass die Kinder bis abends elf, zwölf auf sind, da gibt es keinen Feierabend, die nutzen die schönen Tage aus. Jetzt haben wir die schönen Baseball- und Basketball-Felder, da geht das schon, da verlagert sich das ein bisschen auf die Wiese, aber das war am Anfang ganz schlimm, die haben alle vor der Tür gespielt, das ging bis nachts in die Puppen, und die Jugendlichen haben Partys gefeiert, und das wurde dann laut und lauter, und wenn man dann kleine Kinder hat oder einen Mann, der im Schichtdienst arbeitet, war das schon sehr anstrengend. Da habe ich auch gedacht, nix wie raus und irgendwo hin ziehen, wo weniger Unruhe ist."
Zehn Jahre später wohnt Tina Meyer immer noch in der Ginnheimer Platensiedlung. Sie hat Wurzeln geschlagen wie Susanne Hanak, die mit ihrer Familie in der Nachbar-"Housing" lebt. Den Reiz des Neuanfangs in den drei sogenannten "Amerikanersiedlungen" von Frankfurt-Ginnheim beschreibt sie so: Alle waren neu, es gab keine Alteingesessenen, die versuchten, alte Gewohnheiten zu verteidigen. Alle waren neugierig, schauten einander beim Renovieren und Einrichten zu:
"Man kam schnell in Kontakt miteinander, denn jeder hat auch den Kontakt gesucht. Es war Aufbruch, es war neues Errichten. Auch über die Spielplätze, man hat die Außenflächen viel genutzt und ich hatte den Eindruck, die Familien, die waren sehr offen."
Offen für verschiedene Sitten und Kulturen, offen für das Anderssein in jeder Hinsicht - das erfuhr auch die später zugezogene Familie Haas. Der älteste der drei Söhne leidet an Autismus, der jüngste an einer Aufmerksamkeitsstörung gepaart mit Hyperaktivität. Die Familie lebt vom geringfügigen Einkommen des Mannes und staatlichen Hilfen. 60 Prozent des Wohnungsbestandes in der Siedlung ist öffentlich gefördert und wird an zumeist kinderreiche Familien vergeben, die Arbeitslosengeld und andere Transferleistungen bekommen. "Am früheren Wohnort waren wir Deutsche unter Deutschen und fühlten uns diskriminiert", erzählt Brigitte Haas.
"Und hier, wie wir hierhergezogen sind, ist mein Großer damals auf seinem Drei-Fahrrad rum gefahren, und sämtliche Jugendliche aus seiner Altersgruppe waren begeistert von diesem Fahrrad und wollten auch mal drauf sitzen, und so fing die positive Wende hier an. Und da manch einer mit Diskriminierung und Ausgrenzen auch betroffen ist, sei es er kommt von Kenia, Marokko, Italien oder was weiß ich, wo sie überall herkommen, die verstehen mich, die grenzen einen nicht aus."
Szenenwechsel: von der Platensiedlung zehn Gehminuten nach Alt-Ginnheim, dem dörflichen Kern des 1910 eingemeindeten Frankfurter Stadtteils. Ein Weinlaub beranktes Hinterhof-Häuschen mit einem Holzvorbau - Mischung aus Hexenhaus und Dornröschenschloss mit unzähligen Zimmern: das Nachbarschaftszentrum Ginnheim. Dessen Leiterin Monika Westmeyer ist Anfang fünfzig, gelernte Tontechnikerin, studierte Sozialpädagogin, Hobby-Ausdrucksmalerin, hauptberuflich und ehrenamtlich eine der wichtigsten Strippenzieherinnen im Stadtteil. Ein paar Stunden hat die freundlich-energische Nachbarschafts-Managerin am Morgen schon telefoniert mit Ämtern und Vereinen, hat mit dem Grafiker das Jahresprogrammheft 2008 besprochen.
"Ich bin auch unheimlich gern hier. Mein Herz hängt natürlich an dem Haus, weil ich das alles selbst mit aufgebaut und eingerichtet habe, und das ist dann so ein eigenes Ding, das ist mein Baby. Und wir haben auch wirklich erst alle ehrenamtlich angefangen, das hat sich so nach und nach entwickelt auch als Team und die Kollegin, wo wir jetzt hingehen, die war von Anfang an im Team dabei und hat die Leitung hier von dem Minikindergarten übernommen. Hallo!"
Monika Westmeyer deutet auf Susanne Hanak, eine der Frauen, die das Nachbarschaftszentrum in Alt-Ginnheim mit aufbauten, sozusagen als das dörflich-soziale Rückgrat für die kinderreichen, multikulturellen Housings: Keine Krabbelstuben dort - also gründeten die Frauen im Nachbarschaftszentrum den Minikindergarten.
Susanne Hanak schaut Viktor und Klara beim Puzzeln über die Schultern. Der Zweijährige patscht jedes Mal die Händchen zusammen, wenn er eins der Holztiere richtig in die dafür vorgesehen Form gesteckt hat, spendet sich selbst den verdienten Beifall.
"Da - Super! Wir haben gesagt, gut wir machen dann so was wie ein Nachbarschaftszentrum, dann haben wir diese Räume gehabt, dann haben wir gesagt, komm wir fangen gleich an, machen eine Umfrage, was wird am meisten an Kursen gebraucht. Und wir fangen aber gleich an mit einem Minikindergarten, denn das war klar, dass diese tageweise stundenweise Betreuung, dass da ein Bedarf sein wird, und so war es auch. Es haben sich gleich ganz viele angemeldet."
Die Warteliste ist inzwischen lang. Mütter anderer Muttersprachen, die keinen Platz im Minikindergarten ergattern, müssen auf das Deutschlernen aber nicht verzichten. Die Volkshochschule bietet Kurse mit Kinderbetreuung an. Das von der Stadt Frankfurt am Main geförderte Nachbarschaftszentrum stellt Räume für beides zur Verfügung, damit Frauen und Kinder nicht quer durch die Großstadt fahren müssen.
"Früher haben wir noch eine Raumnutzungsgebühr bekommen, und das ist jetzt leider weggefallen, das heißt, es ist ja immer auch ein Rechenexempel. Wir müssen ja ständig auch vor der Stadt klarlegen, welche Einnahmen wir haben, und der Wirtschaftsfaktor spielt immer mehr eine Rolle. Gerade mit dem Deutschkurs ist es so: Dieser Kurs bringt uns gar nichts ein. Aber wir wollen halt, dass es etabliert ist, weil das von Anfang an hier eingebunden war und wir das wichtig finden, mit den Frauen gemeinsam zu arbeiten, eine Filmreihe zu entwickeln oder die ans Haus zu binden, dass wir sagen: Wir sind ein multikulturelles Zentrum für den Stadtteil und zwar für den Gesamtstadtteil","
sagt Monika Westmeyer und steigt in den Keller, um eine Kiste gespendeter Bausteine für die Volkshochschul-Kinderbetreuung zu holen. Arya, dunkle Löckchen und ansonsten ganz in rosa, greift begeistert zu. Ein Stockwerk höher im Hexenhäuschen sagt Kursleiterin Aygül Klein:
""Gut, dann beginnen wir mit den Hausaufgaben. Wer möchte anfangen. Prwin, bitte. 'Was machst du heute Abend?'"
Während die zweijährige Arya unten in den Bausteinen wühlt, trainiert ihre Mutter oben Deutsch für Fortgeschrittene. Sie sei gerade erst in die Platensiedlung eingezogen, erzählt die Zuwanderin aus dem Nordirak während der Kaffeepause in der gemütlichen Küche des Nachbarschaftszentrums.
"Wichtig ist die große Wohnung, Kinder brauchen Kinderzimmer. Und im alten Haus habe ich nur eine Schlafzimmer für vier Personen."
Besser Deutsch lernen möchte Prwin A-Manlood wie die meisten anderen Kursteilnehmerinnen hauptsächlich für ihre beiden Kinder, um sich in der Schule und beim Kinderarzt verständlich machen zu können.
"Sie wollen natürlich für ihre Kinder die best-mögliche Chance erhalten und möchten nicht, dass es an ihnen scheitert, ja, dass die Zukunft der Kinder quasi an den Eltern scheitert, was meistens leider Gottes der Fall ist. Wenn ausländische Eltern, Migrantenfamilien, mit ihren Kindern in der Schule auftauchen, sind sie gewissermaßen mit einem Vorurteil schon behaftet, sie müssen viel Leistung erbringen, um die Lehrerschaft davon zu überzeugen, dass sie ihre Kinder unterstützen. Wenn sie dann in der deutschen Sprache heimisch sind, dann sind sie überzeugender als eine Familie, die ihre Kinder unterstützt, aber der deutschen Sprache nicht mächtig ist","
so Aygül Klein, in der Türkei geboren, in Deutschland aufgewachsen, seit zwanzig Jahren Dozentin für Deutsch als Fremdsprache. Ehemalige Bewohnerin der Platensiedlung und langjährige Vorsitzende des Vereins "Ideal" - Interessengemeinschaft der ehemaligen amerikanischen Liegenschaften, Keimzelle sozusagen des Nachbarschaftszentrums Ginnheim. Doris Schneider-Knopp, Leiterin der Astrid-Lindgren-Schule, sieht das Sprachtraining so:
""Dass die Eltern bereit sind, Deutsch zu lernen, signalisiert uns auch, sie haben Interesse an ihrem Kind und auch die Schullaufbahn ihres Kindes aktiver zu begleiten. Das ist für uns ganz, ganz wichtig, denn wir haben immer wieder erlebt, wenn Eltern keine ausreichenden Deutsch-Kenntnisse haben, dann können sie ihrem Kind auch nicht das ein oder andere Mal bei den Hausaufgaben helfen und dann sind auch die Elterngespräche sehr, sehr schwierig, und das hat sich aber jetzt deutlich verbessert. Als wir vor vielleicht zwei Jahren gemerkt haben, dass doch wesentlich mehr Mütter Deutsch lernen und damit auch viel aufgeschossener sind, zu Elterngesprächen zukommen, mehr auch über die Schule, ihre Aktivitäten und auch über die Schullaufbahn ihres Kindes zu wissen."
Lehrer, Eltern und sozial Engagierte in der Frankfurter Platensiedlung müssen den Kinderreport 2007 des Kinderhilfswerks nicht studiert haben, um zu wissen, dass Kinderreichtum und Kinderarmut in Deutschland zwei Seiten einer Medaille sind, und dass Einwandererkinder besonders häufig von Armut betroffen sind. Was laut Kinderreport gleichbedeutend ist mit schlechten Bildungs- und Integrationschancen. Im öffentlich geförderten Wohnungsbestand des Quartiers gibt es Blocks, in denen gar keine deutsche Familie wohnt, weiß Tina Meyer.
"Ich finde es nicht in Ordnung, also normalerweise gehört ein gesundes Mischverhältnis rein. Ich denk einmal, in einem Haus mit sechs Parteien, da gehören mindestens zwei, drei Deutsche und von einer anderen Nation ebenfalls noch einmal zwei oder drei Familien rein. Ich denke, es müsste besser durchmischt werden. Man kriegt dann immer wieder mit, wo es Ärger gibt, wenn dann so eine geballte Ausländerschaft aufeinander sitzt, dass es dann zu Konflikten kommt. Also wir haben schon mit den Gesellschaften gesprochen, die wollen es wohl ändern, wenn die Leute ausziehen, dann gucken sie, dass sie dementsprechend die Wohnungen neu besetzen."
Gemeint ist die Wohnungsbaugesellschaft ABG Frankfurt Holding mit ihren Töchtern. Ehrenamtliche Arbeit ist schwierig in einem Viertel, in dem viele Familien finanziell mit dem Rücken an der Wand stehen, weiß Tina Meyer als Vorsitzende des Grundschul-Fördervereins. Die Astrid-Lindgren-Schule hat fast 400 Schüler, der Förderverein derzeit nur sieben Mitglieder, davon eine Lehrerin.
"Es sind 15 Euro im Jahr und haben sie einen Frankfurt-Pass, dann sind es nur 10 Euro im Jahr, und sie haben noch die Vergünstigungen. Wenn die Kinder beim Hip-Hop mitmachen, dann brauchen sie wesentlich weniger zu bezahlen, am Flohmarkt, wenn sie einen Stand wollen, brauchen sie nur die Hälfte zu bezahlen, also: Wir kommen den Eltern schon wieder entgegen, sie kriegen das Geld praktisch wieder rein, aber wir sind keine Siedlung, wo die Eltern bereit sind zu zahlen."
Orkut ist froh, dass er die Hausaufgabenbetreuung des Fördervereins nutzen kann.
"Bei mir ist fast täglich der Fernseher an, wenn wir Hausaufgaben machen, wir sind nämlich vier, meine Mutter, mein Vater, meine Schwester und ich, und da ist es schwierig, Hausaufgaben zu machen. Meine Schwester telefoniert immer mit den Freundinnen, mein Vater geht täglich ins Internet und hört manchmal so Musik und das macht dann manchmal Lärm, und dann ist das ein bisschen schwierig, und hier in der Betreuung fühlt man sich ein bisschen wohler als zu Hause."
Nicht weit von der Grundschule entfernt liegt im Erdgeschoss eines schmuddlig grau-braunen Wohnblocks das Nachbarschaftsbüro der Platensiedlung. Gegründet wurde es 2006, als das Förderprogramm "Soziale Stadt" nach fünf Jahren fristgerecht auslief. Dazu gehörten ein professioneller Quartiersmanager, die Ausbildung ehrenamtlicher Konfliktvermittler und Geburtshilfe für eine Nachbarschaftszeitung, nach den Anfangsbuchstaben von "Housing" und "Platensiedlung", "Ho-Pla-Post" genannt. Erstmals finanziert die Stadt Frankfurt am Main solch ein Projekt reduziert weiter, unter Trägerschaft des Nachbarschaftszentrums Ginnheim. Das Büro bezahlt die Wohnungsbaugesellschaft.
Am Nachmittag kommen Mitarbeiter des Sozialrathauses der Frankfurter Nordweststadt vorbei. Monika Westmeyer managt das Nachbarschaftsbüro Platensiedlung als Ableger des Nachbarschaftszentrums Ginnheim und zeigt den Jugend- und Sozialamts-Mitarbeitern das kleine Büro weiter hinten, in dem sie einmal wöchentlich Sprechstunde abhalten sollen. Besonders begeistert scheinen die städtischen Dienstleister nicht darüber zu sein, auf Weisung des Sozialdezernats eine neue Außenstelle in Betrieb nehmen zu müssen. Doch die Ginnheimer Nachbarschafts-Managerin drängelt, dass es bald losgehen soll - damit bedürftige Familien vor Ort erfahren können, was sie an materieller Unterstützung beanspruchen können, welche Erziehungs- und Lernhilfen es für ihre Kinder gibt. Sinnvolle Ergänzung zu den Sprechstunden von Wohnungsgesellschaft, Konfliktvermittlern und Polizei, findet Monika Westmeyer und sagt über das ausgelaufene Programm "Soziale Stadt":
"Im Grunde ist ja die Zielrichtung so gewesen, dass man gesagt hat, Quartiersmanagement ist für einen bestimmten Zeitraum in den Quartieren drin und sorgt dann dafür, dass nach Ende des Quartiersmanagements die Leute befähigt sind, sich selbst zu organisieren, und die Erfahrung hat gezeigt, dass es in vielen Stadtteilen so nicht geht, dass man die Leute dann sozusagen alleine lässt und sagt nun macht doch einmal und dann läuft vieles vielleicht noch ein Jahr, wenn es gut geht oder zwei, und dann geht es so allmählich in die Knie. Im Grunde genommen geht es darum, auch ein Konzept zu entwickeln, was längerfristig trägt."
Und da ist das Nachbarschaftszentrum Ginnheim dabei, Pionierarbeit zu leisten. Nicht als Sozialarbeit von oben, stellt Monika Westmeyer klar:
"Einer hatte die Idee, so eeine Kleiderkammer aufzubauen, wo man Kleider sammelt und günstig wieder weitergibt, ja, solche Sachen. Wie stellen wir das auf die Füße und wie kriegen wir das so weit, dass die Leute sagen, dieses Büro, das es da gibt, ist nicht wieder irgend eine Institution, wo man sich nicht traut reinzugehen, sondern wo man miteinander was erarbeitet."
Es beginnt zu funktionieren. Brigitte Haas, die Mutter der drei Jungen, von denen einer an Autismus, der andere an Aufmerksamkeitsstörung und Hyperaktivität leidet, überlegt, im Nachbarschaftsbüro mitzuarbeiten. Eine entfernte Bekannte, die schon dabei ist, hatte sie vom Balkon aus angesprochen.
"Und da denke ich, die Erfahrung, die ich all die Jahre gemacht habe, sei es mit Kindergarten, sei es mit Grundschule, sei es mit weiterführenden Schulen, sei es mit Förderschulen, sei es mit auffälligen Kindern sich noch zu erkämpfen die dementsprechenden Ausbildungswerke."
Erfahrungen, die Brigitte Haas gern im Nachbarschafts-Netzwerk weitergeben würde. Ginnheim - ein Frankfurter Stadtviertel in Bewegung, die Platensiedlung - ein Quartier auf Identitätssuche. Wenn die Bildzeitung schreit "Alarm unterm Spargel - in Ginnheim wohnt jetzt die Armut", weil laut Magistratsstatistik ein Viertel der Bewohner von staatlichen Hilfen lebt, dann ärgern sich die Engagierten um Monika Westmeyer kurz über diese Stigmatisierung, um schnell wieder zum Tagesgeschäft überzugehen, denn das Leben unter dem Ginnheimer Spargel, dem alles überragenden Fernmeldeturm, ist besser als sein Ruf. Marcus aus der zweiten Klasse der Astrid-Lindgren-Schule ist ohnehin überzeugt, es in der Platensiedlung komfortabler angetroffen zu haben als am vorigen Wohnort:
"Das war nicht so schön, das war ein reines Ghetto."
"Und hier?"
"Da ist es ganz schön, nette Leute."
"Was ist denn ein Ghetto?"
""Also da, wo nicht sehr nette Leute wohnen, wo es nicht sehr schön ist - also halt - alles andere als hier."
"Kompliment an die Platensiedlung", schmunzelt Tina Meyer, die vor elf Jahren herzog, vor zehn Jahren überlegte wegzuziehen, und immer noch hier lebt.