"Zusammen ist man weniger allein"

Vorgestellt von Johannes Kaiser · 17.05.2005
Solche Romane sind rar, weil sich kaum noch jemand traut, sie zu schreiben: herzerwärmend-fröhlich, positiv, beglückend, ein unbeschwerter Lesegenuss. Das klingt nach Courts-Mahler, jedenfalls seicht und oberflächlich, hat aber wenig mit dem Liebeskitsch und der Lebenslüge der Lore-Heftchen gemeinsam.
Ganz im Gegenteil. Der französischen Schriftstellerin Anna Gavalda ist es gelungen, eine Vision eines gemeinsamen Lebens von Jung und Alt, von Mann und Frau, von Einzelgängern und Individualisten zu entwerfen, die realistisch genug ist, dass sie echt wirkt und so märchenhaft, dass man gerührt ist. Der Romantitel ist Programm: Zusammen ist man weniger allein. Vier Menschen treffen aufeinander, die auf den ersten Blick nicht mehr miteinander verbindet, als dass sie allesamt sehr einsam sind und sehr verstört.

Camille, eine junge, hochbegabte Malerin verweigert sich den Anforderungen ihres eigenes Talents, geht für wenige Sous putzen, hungert sich halb zu Tode, vegetiert in einer Dachkammer dahin. Philibert, hochintelligenter Spross einer alten Adelsfamilie, kennt sich zwar in Geschichte perfekt aus, ist ansonsten jedoch lebensuntauglich, verkauft in einem Museum Postkarten und zuckt stotternd vor jeder Frau zurück. Franck, als Koch ein Genie, kehrt gerne den Machohelden heraus, um so seine Sehnsucht nach Nähe zu überspielen. Zärtlich hängt er an seiner Großmutter Paulette, die todunglücklich in einem Altersheim steckt, weil ihr Gesundheitszustand ein weiteres Alleinleben im eigenen Haus unmöglich macht. Als Philibert, der mit Franck in einer Art Zweckwohngemeinschaft zusammenlebt, die kranke Camille aus ihrer Dachkammer in seine geräumige Wohnung lockt, beginnt ein ungewöhnliches Experiment des Zusammenlebens. Camille fängt wieder an zu malen und überzeugt Franck, seine Großmutter aus dem Altersheim zu holen. Sie will sich um die alte Frau kümmern.

Die Konflikte lassen nicht lange auf sich warten. Doch Anna Gavalda gelingt das Kunststück, das allmähliche gegenseitige Verstehen und Tolerieren so nachvollziehbar zu beschreiben, dass man ihr glaubt. Sie erfindet so amüsante Wortgefechte, zeigt die Verletzlichkeiten der Protagonisten so einfühlsam, dass man sie samt ihrer Macken, ihrer Menschenscheu lieben lernt. Der Roman endet in einem furiosen Happy-End á la Hollywood. Natürlich hat das Glück in der Realität oft einen bitteren Nachgeschmack, sind private Paradiese Mangelware. Doch Anna Gavalda suchte offenkundig mit einem märchenhaften Schluss den Lesern Mut zu machen, aufeinanderzuzugehen. Sie hat ein Zeichen gegen Vereinsamung und Egoismus gesetzt. Ein fröhliches Buch, eine lebensbejahende Geschichte.

Anna Gavalda: Zusammen ist man weniger allein
Übersetzung Ina Kronenberger
Carl Hanser Verlag 2005 München
551 Seiten
24,90 Euro