Zurück zur Hochkultur

11.04.2013
Mario Vargas Llosas Buch ist ein Aufschrei gegen die Kulturlosigkeit, die in der Gesellschaft um sich gegriffen habe. Der peruanisch-spanische Schriftsteller sehnt sich zurück in alte Zeiten, als Kultur geholfen hat, eine Elite zu definieren.
Mario Vargas Llosas Buch ist ein Aufschrei gegen die Kulturlosigkeit, die in der Gesellschaft um sich gegriffen hat. Der peruanisch-spanische Schriftsteller sehnt sich zurück in alte Zeiten, als Kultur noch geholfen hat, eine Elite zu definieren.

"Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst": Der Untertitel des neuesten Buch des peruanisch-spanischen Schriftstellers Mario Vargas Llosas klingt in seiner pompösen Plattheit nach populärer Ratgeberliteratur.
Dabei ist populär so ziemlich das Letzte, was der 1936 geborene Autor sein will. Das heißt, er möchte keinesfalls als Hersteller von Populärliteratur gelesen werden.

Mit seinem spanischen Titel "Die Zivilisation des Spektakels" (La civilización del espectáculo", was auch als "Kultur des Spektakels" übersetzt werden kann) stellte er sich gut sichtbar auf die Schultern von Guy Debord, dem Verfasser der "Gesellschaft des Spektakels". Doch Debord, der Situationist, war ein subversiver Vordenker notwendiger Veränderungen.

Und das ist Vargas Llosa, der einstige Salonlinke, eben nicht. Er möchte, und das macht er in diesem Buch von Anfang an deutlich, lieber nicht vordenken. Er will zurück. Zurück zu den Zeiten, als Kultur noch geholfen hat, eine Elite zu definieren, die schön und hässlich, hoch und niedrig zu unterscheiden wusste. Als "das Publikum" noch über "geistige und intuitive Schutzmechanismen" verfügte und bevor die "Demokratisierung der Kultur" den "unerwünschten Effekt" zeitigte, das Kulturleben zu trivialisieren.

Ein derartiger Wunsch ist verständlich, zumal für jemanden, der seine größten Erfolge inmitten der triumphalsten Zeit der Literatur, zumal der lateinamerikanischen, gefeiert hat. Interessant wäre es, einen solchen Wunsch an den realen Gegebenheiten zu messen; und ihn zu hinterfragen. Denn dass die massenhafte Verbreitung von Werken, Nachrichten und Bildern eine kulturelle Veränderung sondergleichen bedeutet, wusste schon Walter Benjamin, wusste Adorno, weiß jeder Student der Geisteswissenschaften, allerspätestens seit Marshall McLuhans These, dass das Medium die Botschaft sei.

Der Gedanke, dass hier eine kulturelle Entwicklung stattgefunden hat, die genau angesehen zu werden verdient; dass es eine Moderne gegeben hat, die längst von der Postmoderne und der Neo-Prämoderne abgelöst wurde, und deren Produkt Vargas als Literat auch selber ist: Der taucht in dieser Tirade von einem Buch gar nicht auf. Vermutlich deshalb nicht, weil sein Autor sich einer weitgehend olympischen Draufsicht befleißigt; und von dort aus wirkt die kulturelle Landschaft vielleicht tatsächlich flach und etwa Carla Bruni, das Pop-Sternchen im Elysee-Palast, erscheint ungefähr so groß wie John Cage. Das Problem liegt da doch eindeutig in der Perspektive.

Vargas stellt keine einzige interessante Frage, er wiederholt nur das ewige Gejammer des Bildungsbürgertums, das unter Kultur immer das versteht, was man im Gymnasium lernt. Hochkultur, meint er, sei etwas Anstrengendes für eine darauf trainierte Elite. Er bedient sich einer Denkweise, die ebenso billig und seicht ist wie die Boulevardkultur, die er geißelt. Kunst, Kultur und Klasse wirft er mit der nachlässigen Geste eines Fernsehkochs in denselben Topf, lässt Dampf daraus aufsteigen und erwartet Beifall. Den man ihn hierfür keinesfalls spenden kann.

Besprochen von Katharina Döbler

Mario Vargas Llosa: Alles Boulevard
Aus dem Spanischen von Thomas Brovot
Suhrkamp, Berlin 2013
231 Seiten, 22,95 Euro
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