Zurück in den Osten

Eine verlorengeglaubte Generation kehrt zurück

08:25 Minuten
Carolin Schönwald steht im Kinder-Kunst-Zentrum vor Zeichnungen von Schülern.
Zurück in die Provinz: Carolin Schönwald engagiert sich für ihre alte und neue Heimatstadt Müncheberg. © picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Von Ina Jackson · 22.07.2019
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Nach 1989 sind in Brandenburg viele Städte verödet. Junge Leute gingen weg, Betriebe wurden stillgelegt, Geschäfte schlossen. In Müncheberg versucht man nun aktiv Zuzügler anzulocken – die Rückkehrerin Carolin Schönwald gehört zum Projektteam.
"Wir gehen jetzt mal in die Innenstadt", sagt Carolin Schönwald. "Also wenn man sportlich ist, ist alles fußläufig, Müncheberg hat ja circa sechseinhalbtausend Einwohner, mit Ortsteilen. Da vorne war ein Fleischer, hier war ein Bäcker, ein Netto."
So wie in Müncheberg sieht es in vielen ländlichen Regionen im Osten der Republik aus. Die Geschäfte stehen leer, die Orte sind verwaist.
"Der Marktplatz ist leider auch relativ ungenutzt, hier stehen also wirklich nur sporadisch mal ein Fischhändler, mal ein Bäckerauto, aber ansonsten, dass hier verschiedene regionale Erzeuger auch Sachen anbieten, findet nicht statt", erzählt Carolin Schönwald, unsere Stadtführerin.
Sie kennt Müncheberg wie ihre Westentasche. Sie ist hier geboren und aufgewachsen. Von ihren 32 Lebensjahren hat sie vier in Berlin verbracht und dort Sozialarbeit und Theaterpädagogik studiert. Danach ist sie zurückgekommen nach Müncheberg. Seitdem bemüht sie sich, mit der Initiative "hierzulande(n)" wieder Leben in diese abgehängte Region zu bringen

"In Müncheberg haben wir doppelt so viele Menschen über 75 Jahren als unter 15. Um eben gesellschaftliche Aufgaben meistern zu können, um ein stabiles Gemeinwesen zu haben, eine starke Bevölkerung, die auch Steuern zahlt, mit denen man ja die ganzen Aufgaben einer Kommune bewältigen muss, brauchen wir unbedingt Menschen der mittleren Generation zwischen 30 und 55 Jahren."
Das sollte zu machen sein, möchte man meinen. Denn aufs Land zu ziehen, gilt derzeit bei vielen Großstädtern als schick – oder es wird notwendig, weil die Mieten in den Ballungsräumen explodieren und keine andere Wahl bleibt.

Die neuen Mitbürger bekommen ihr Fett weg

"Guck mal, Schatz, was wir hier erworben haben! So viel Land! Ein Eigenheim!"- "Ja". – "Dieser ganze Garten, das ist jetzt alles unseres." – "Und was das Beste: Es kommt mit Zaun. Keine Nachbarn mehr, die durch die Fenster gucken können." – "Endlich Ruhe, endlich Ruhe."
Wie wenig der Wunsch nach Ruhe und heiler Welt sich mit den Erwartungen vor Ort deckt, bringt Carolin in überspitzter Form mit Laiendarstellern in einer Veranstaltung namens "Bürgerbühne" auf den Punkt. Zur Einstimmung in eine Diskussionsveranstaltung bekommen heute die neuen Mitbürger ihr Fett weg, die begeistert aufs Land ziehen, sich aber keinen Deut für das Dorfleben interessieren.
"Die steigen morgens um sieben in den Zug", sagt Felix Brückmann, "arbeiten acht Stunden, zehn Stunden, kommen abends an, gehen nach Hause und nehmen am Ortsgeschehen überhaupt gar nicht teil."
Felix Brückmann ist ebenfalls in der Initiative "hierzulande(n)" aktiv. Klar, es braucht mehr Leute - aber eben am liebsten solche, die bereit sind sich zu integrieren.
"Für die, die zum ersten Mal hier sind", erklärt Carolin Schönwald. "Das Format Bürgerbühne läuft hier so: Jeder kann etwas sagen, Fragen stellen, Kommentare. Also die Frage ist: Wir werden Zuzug brauchen und auch den haben. Und was brauchen wir dafür auch für Strukturen? Jetzt wollte erst Julia, dann Jürgen und dann Thomas. Julia!
"Wenn es sozusagen gewünscht ist, dass junge Familien rausziehen", sagt Julia, "Leute mit Gestaltungslust und Ideen und auch der Fähigkeit, Projekte umzusetzen, dann ist es aus meiner Sicht sinnvoll, sich zu fragen: Was für Leute wollen wir denn hier haben? Was würde uns nützen?"

Die idealen Neuen sind die Alten

Klare Sache: Leute, die sich engagieren. Die dem Fußballverein und der Feuerwehr beitreten, die die Dorffeste besuchen, einem Bier mit den Nachbarn nicht abgeneigt sind und keine Parallelwelt aufbauen. Ein hohes Anforderungsprofil für Menschen, die möglicherweise wegen steigender Mieten aus der Großstadt vertrieben werden oder das kleine Glück im Grünen suchen. Deshalb ziehen Carolin und Co den Schluss: Die idealen Neuen sind die Alten. Also die, die irgendwann einmal weggegangen sind und wissen, wie der Hase läuft, wenn er dem Fuchs gute Nacht sagen will.
"Die haben die Welt gesehen, in der Regel", sagt Carolin Schönwald. "Meistens haben die in großen Städten gewohnt, die bringen die Vielfalt mit, Ideen, Innovationen. Wenn man mal eine andere Stadt kennengelernt hat, eine andere Mentalität, vielleicht auch im Ausland, viele junge Leute gehen ja auch ins Ausland, dann kommt man einfach anders wieder. Und hinzu kommt, dass die gut ausgebildet sind. Das sind Fachkräfte, wir haben einen großen Fachkräftemangel. Die haben auch Geld verdient. Wenn viele lange im Süden arbeiten waren und da einfach besser verdient haben, haben sie jetzt die Möglichkeit, das auch hier zu investieren, zum Beispiel in Häuser. Und das regt die Wirtschaft an."
Doch um Rückkehrer anzulocken, muss einiges passieren. Die Region muss in vielerlei Hinsicht attraktiver werden. Denn sicher ist: In Brandenburg liegen die Löhne und Einkommen 21 Prozent unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Die Infrastruktur ist bescheiden und vieles an gesellschaftlichem Leben eingeschlafen. Und auch der Anschluss an die moderne digitale Welt fehlt.
"Wenn wir hier überall einen vernünftigen Internetanschluss hätten", sagt Carolin Schönwald, "dann könnten viele Leute, auch Grafiker, es finden ja viele Jobs in der digitalen Welt statt und machen ein Pendeln auch überflüssig. Und das auch unbedingt ein politisches Ziel sein… und das ist auch so ein bisschen Lobbyarbeit, die wir hier machen."

Anlaufstelle für Rückkehrer und Treffpunkt für Alteingesessene

Die Ladenräume in Müncheberg, wo die Initiative "hierzulande(n)" ihren Sitz hat, soll Anlaufstelle für Rückkehrer sein, aber auch ein Treffpunkt für alteingesessene Müncheberger. Mit Co-Working Space, Volksküche und Platz für alle möglichen Ideen versuchen Carolin und ihre Mitstreiter, das gemeinschaftliche Leben, das zu DDR Zeiten sehr rege war, wieder anzustoßen.
"Das ist unsere blaue Couch, und da nehmen die Rückkehrer Platz", so Carolin Schönwald. "Das ist ein richtiges Konzept, was dahintersteckt."
Die gebrauchte Couch, ein eher unscheinbares Möbelstück aus den 70er Jahren, wird mal hierhin, mal dorthin transportiert.
Carolin: "Schönen guten Abend! Wir begrüßen heute auf unserer Rückkehrercouch Lando Wegner, Fabian Brauns und Ron. Hallo, hallo. Fabian, wann bist du weg, und wann bist du zurück und warum bist du zurück?"
Fabian: "Tatsächlich am letzten Tag meines Zivildienstes mit meiner damaligen Freundin direkt nach Berlin. Nicht ganz so weit weg 1999 und zurück 2015, dann ja mit Frau und Kind, glücklicherweise konnten wir das elterliche Wohnhaus übernehmen."
Rückkehrer erzählen von sich und ihren Erfahrungen, um anderen Mut zu machen, den Schritt zurück an die Orte ihrer Kindheit auch zu wagen.
Lando: "Als Dachdecker in Nordrhein-Westfalen, in Weetze, das ist holländische Grenze, ja. Man lebt da drüben und man macht alles und arbeitet und tut und alles ist schön. Aber da fehlt halt immer irgendwas. Und das wollte ich nicht mehr."

Ein Plausch auf der Rückkehrer-Couch

Beliebte Gelegenheiten, die Rückkehrer-Couch aufzubauen, sind Vereinspartys zu Feiertagen wie Weihnachten oder Ostern, wenn viele Weggezogene auf Besuch bei ihren Familien sind und alte Bekannte treffen möchten.
Carolin: "Ron, du warst am längsten weg, nicht am weitesten, auch in Berlin, viele Brandenburger zieht es ja nach Berlin."
Ron: "Ja, war dann bis Anfang 2017 in Berlin. Und mich hat es eigentlich zurückgezogen aufgrund meiner ganzen Weltanschauung. Ich wollte halt einfach so ein bisschen zurück zu den Wurzeln, zurück zur Natur vor allem auch, ein bisschen was wandeln, raus aus diesem ganzen Konsum, höher-schneller-weiter."
Ron ist ein Rückkehrer, wie ihn sich Carolin und Co erträumen. "Ich bin eigentlich allein zurück so" erzählt er. "Ich hab halt ein Mehrfamilienhaus gekauft, mittlerweile sind da Freunde von mir eingezogen und ziehen auch noch weitere ein. Wir haben halt auch Land gekauft, wo wir Gemeinschaftsgartenprojekte machen, mit dem Dorf zusammen legen wir im Ort zum Beispiel Blühwiesen an, um was für den Naturschutz zu tun, für die Insekten und die Bienen. Wenn wir da nicht irgendwo nachrücken und selber auch ein bisschen Initiative ergreifen für unser Dorf, für unsere Heimat, dann braucht man sich eben auch nicht wundern, wenn das irgendwann alles immer mehr verkümmert."
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