Zurück an die Werkbank
Während immer mehr billig produzierte Massengüter die Märkte überschwemmen, drohen handwerkliche Fähigkeiten und Traditionen verlorenzugehen. Der amerikanische Soziologe Richard Sennett lädt in seinem Buch "Handwerk" zu einer Entdeckungsreise in die Geschichte ein und fordert, die urtypischen menschlichen Fähigkeiten nicht verkümmern zu lassen.
Dass das Handwerk "goldenen Boden" hat, ist eine Binsenweisheit. Dass wir Handwerk wieder schätzen lernen müssen, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren, ist eine der zentralen Thesen des amerikanischen Soziologen Richard Sennett, die er in seinem neuen Buch "Handwerk" vertritt. Während Sennett 1998 in "Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus" dargelegt hat, welchen Anteil die Arbeit an der Ausbildung der Persönlichkeit und des Charakters hat, verfeinert er diesen Ansatz in "Handwerk". Erneut geht es Sennett – im weitesten Sinne – um Arbeit, Persönlichkeit und die gegenwärtigen sozialen, ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der modernen Industriegesellschaften. Doch wählt Sennett nunmehr einen anderen Ausgangspunkt: In "Handwerk" fragt er nach dem Zusammenspiel von Hand und Kopf und der Bedeutung, die Werkstätten für die Qualität eines Produktes haben.
Sennett definiert Handwerker als Arbeiter, die gewillt sind, gute Arbeit zu leisten. Das Resultat ihrer Arbeit ist ihnen nicht egal, sondern sie wollen Qualität liefern. Dieser Ansatz eröffnet ihm die Möglichkeit, sich neben Schreinern und Töpfern auch Krankenschwestern, Chirurgen, Architekten und Programmierern zuzuwenden. In seiner Kulturgeschichte des Handwerks macht Sennett darauf aufmerksam, dass sich Fertigkeiten der Hand durch Übung verfeinern lassen, was er mit Hinweisen auf Tennisspieler und Musiker belegt. Zugleich aber ist Greifen als Fähigkeit, einen Gegenstand mit der Hand festzuhalten, eine wichtige Voraussetzung dafür, ihn bearbeiten zu können.
Der Handwerker gebraucht Hand und Kopf. Verbindet sich ein Name mit seinen Produkten und zeichnen sie sich durch Originalität aus, dann betreten wir nach Sennett das Reich der Kunst. Welche Bedeutung für die Qualität des Produktes die Werkstatt spielt, verdeutlicht er am Beispiel von Stradivari. Der berühmte Geigenbauer nahm das Geheimnis seiner Geigen mit ins Grab. Heute ist es zwar möglich, alle von Stradivari verwendeten Materialien zu nutzen und eine Geige nach seinen Plänen nachzubauen, aber jeder Musiker würde den Unterschied hören. Es ist unmöglich, so Sennett, trotz aller technischen Möglichkeiten, die Hand und den Kopf Stradivaris zu simulieren und die Atmosphäre nachzuahmen, die in seiner Werkstatt herrschte.
Seine historischen Beobachtungen schließt Sennett immer wieder mit gegenwärtigen kurz, sodass sich aus der Gegenüberstellung überraschende Einblicke eröffnen. So verweist er auf Cellini, um an dessen weltberühmten goldenen Salzfass zu zeigen, wie sich ein Gebrauchsgegenstand durch handwerkliche Fähigkeiten veredeln lässt. Zugleich verwendet Sennett dieses Beispiel, um darauf aufmerksam zu machen, welche handwerklichen Fähigkeiten seit dem Maschinenzeitalter verloren gegangen sind. Das Ethos der Arbeit ist in Gefahr. Spielt Qualität nur noch eine geringe Rolle und andere Parameter werden wichtiger, dann steht vieles auf dem Spiel, was Sennett durch Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit sehr anschaulich belegt.
Richard Sennett teilt mit Theodor W. Adorno das Interesse an den Kulturphänomenen der Zeit. Doch während Adornos hermetischer Stil den Zugang zu seinen höchst interessanten Studien eher verstellt, lädt Sennetts "offener" Stil dazu ein, ihm zuzuhören. Es gibt keine Sprachbarriere bei Sennett – er will von Studenten, interessierten Laien und Fachkollegen gelesen und verstanden werden. Häufig integriert er erzählerische Elemente in seinen Text und gern spitzt er in seinen Thesen zu, um Sachverhalte anschaulich werden zu lassen. Das macht Sennetts große Kunst aus: Statt abstrakter Argumentationen wird bei ihm Wissenschaft sinnlich erfahrbar. Man sieht förmlich den Meister Stradivari und hört ihn in seiner Handwerksstube fluchen, in der es nach Firnis riecht. Wissenschaft wird so zu einer Entdeckungsreise und zum Abenteuer. Beglückt und reich an Eindrücken kehrt der Leser von dieser Fahrt zurück.
Rezensiert von Michael Opitz
Richard Sennett: Handwerk
Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff
Berlin Verlag. Berlin 2008
432 Seiten, 22 Euro
Sennett definiert Handwerker als Arbeiter, die gewillt sind, gute Arbeit zu leisten. Das Resultat ihrer Arbeit ist ihnen nicht egal, sondern sie wollen Qualität liefern. Dieser Ansatz eröffnet ihm die Möglichkeit, sich neben Schreinern und Töpfern auch Krankenschwestern, Chirurgen, Architekten und Programmierern zuzuwenden. In seiner Kulturgeschichte des Handwerks macht Sennett darauf aufmerksam, dass sich Fertigkeiten der Hand durch Übung verfeinern lassen, was er mit Hinweisen auf Tennisspieler und Musiker belegt. Zugleich aber ist Greifen als Fähigkeit, einen Gegenstand mit der Hand festzuhalten, eine wichtige Voraussetzung dafür, ihn bearbeiten zu können.
Der Handwerker gebraucht Hand und Kopf. Verbindet sich ein Name mit seinen Produkten und zeichnen sie sich durch Originalität aus, dann betreten wir nach Sennett das Reich der Kunst. Welche Bedeutung für die Qualität des Produktes die Werkstatt spielt, verdeutlicht er am Beispiel von Stradivari. Der berühmte Geigenbauer nahm das Geheimnis seiner Geigen mit ins Grab. Heute ist es zwar möglich, alle von Stradivari verwendeten Materialien zu nutzen und eine Geige nach seinen Plänen nachzubauen, aber jeder Musiker würde den Unterschied hören. Es ist unmöglich, so Sennett, trotz aller technischen Möglichkeiten, die Hand und den Kopf Stradivaris zu simulieren und die Atmosphäre nachzuahmen, die in seiner Werkstatt herrschte.
Seine historischen Beobachtungen schließt Sennett immer wieder mit gegenwärtigen kurz, sodass sich aus der Gegenüberstellung überraschende Einblicke eröffnen. So verweist er auf Cellini, um an dessen weltberühmten goldenen Salzfass zu zeigen, wie sich ein Gebrauchsgegenstand durch handwerkliche Fähigkeiten veredeln lässt. Zugleich verwendet Sennett dieses Beispiel, um darauf aufmerksam zu machen, welche handwerklichen Fähigkeiten seit dem Maschinenzeitalter verloren gegangen sind. Das Ethos der Arbeit ist in Gefahr. Spielt Qualität nur noch eine geringe Rolle und andere Parameter werden wichtiger, dann steht vieles auf dem Spiel, was Sennett durch Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit sehr anschaulich belegt.
Richard Sennett teilt mit Theodor W. Adorno das Interesse an den Kulturphänomenen der Zeit. Doch während Adornos hermetischer Stil den Zugang zu seinen höchst interessanten Studien eher verstellt, lädt Sennetts "offener" Stil dazu ein, ihm zuzuhören. Es gibt keine Sprachbarriere bei Sennett – er will von Studenten, interessierten Laien und Fachkollegen gelesen und verstanden werden. Häufig integriert er erzählerische Elemente in seinen Text und gern spitzt er in seinen Thesen zu, um Sachverhalte anschaulich werden zu lassen. Das macht Sennetts große Kunst aus: Statt abstrakter Argumentationen wird bei ihm Wissenschaft sinnlich erfahrbar. Man sieht förmlich den Meister Stradivari und hört ihn in seiner Handwerksstube fluchen, in der es nach Firnis riecht. Wissenschaft wird so zu einer Entdeckungsreise und zum Abenteuer. Beglückt und reich an Eindrücken kehrt der Leser von dieser Fahrt zurück.
Rezensiert von Michael Opitz
Richard Sennett: Handwerk
Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff
Berlin Verlag. Berlin 2008
432 Seiten, 22 Euro