Zur Opfer-Floskel "Darunter auch Frauen und Kinder"

Auch Männern gebührt Trauer!

Die kleine Figur eines Engels liegt am 22.12.2016 auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin auf einer Grabkerze.
Trauernde haben nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz in Berlin Grabkerze aufgestellt. © picture alliance / Rainer Jensen/dpa
Von Knut Berner · 22.11.2017
"Darunter auch Frauen und Kinder" heißt es meist, wenn über Opfer von Krieg, Terror oder Naturkatastrophen berichtet wird. Warum gelten männliche Gewaltopfer als weniger beklagenswert, fragt Knut Berner – und plädiert für einen Abschied von veralteten Heldenfantasien.
Alle Menschen sind sterblich und vor dem Tod tatsächlich gleich. Auch die Trauer kennt weder Alter noch Geschlecht. Obwohl er sein Leben gelebt hat, kann der Abschied vom 85-jährigen Großvater schmerzvoller sein als der von einer entfernten Tante, die vielleicht nur halb so alt geworden ist.
Mit Blick auf mediale Berichterstattungen über Naturkatastrophen, Kriege und Attentate fällt allerdings auf, dass Opfer unterschiedlich bewertet werden. Das zeigt die Redewendung "Darunter auch Frauen und Kinder". Implizit wird dadurch zum Ausdruck gebracht, dass es nicht so schlimm und nicht der Rede wert ist, wenn Männer beschädigt werden oder ihr Leben lassen müssen. Mit dem Schweigen über die toten Männer wird eine alte Kriegsideologie geadelt. Ihr zufolge zeichnet sich Männlichkeit dadurch aus, mit Begeisterung oder aus Pflichtgefühl das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, für das Vaterland oder die Familie zu kämpfen und notfalls zu sterben. Die Legende vom gefallenen Helden lebt fort.

Wir brauchen einen weiteren Gewaltbegriff

Der Verdacht liegt nahe, das tradierte Image vom harten und tatkräftigen Akteur trage dazu bei, dass es statistisch gesehen weit mehr männliche als weibliche Gewalttäter gibt. Wer nicht selber verletzbar sein will, soll und darf, neigt offenbar stärker dazu, andere körperlich zu schädigen. Und so wird in den Medien, wenn es um Täter geht, von "Gefährdern", "Schläfern" und "Terroristen" gesprochen. Selten erwähnt werden RAF-Attentäterinnen und sogenannte "Schwarze Witwen". Ferner erscheint es als Ausnahme, dass im gegenwärtigen NSU-Prozess einer Frau extreme Gewalttaten zur Last gelegt werden.

Kaum Hilfseinrichtungen für männliche Gewaltopfer

Statistiken nehmen allerdings einseitig körperliche Gewalt in den Blick und stärken dadurch die These, dass Gewaltanwendung wesentlich Männersache ist. Das hat Folgen für die Erinnerungskultur und die institutionalisierte Hilfe. Es gibt angesichts trauriger Aktualität völlig zu Recht einen "Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen".
Jedoch sucht man vergebens ein Pendant für Gewalt gegen Männer. Und den mehr als 400 Frauenhäusern stehen in Deutschland gerade einmal drei vergleichbare Einrichtungen für Männer zur Seite.

Abschied von Heldenfantasien

Ein erweiterter Gewaltbegriff müsste die schwer messbaren subtilen Mechanismen wie etwa sprachliche Verletzungen, Psychoterror, Demütigungen oder Kindesvernachlässigung berücksichtigen. Diese Varianten werden auch von Frauen praktiziert. Selbst wenn sie nicht zu Misshandlungen des Körpers führen, können sie doch die personale Integrität massiv beschädigen und dazu beitragen, dass die physische Gewaltbereitschaft der davon betroffenen männlichen Kinder und Erwachsenen weiter befördert wird.
Der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern wird erfreulicherweise immer mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Dazu passt aber nicht, wenn im Blick auf Verletzung, Sterben und Tod herkömmliche Stereotype tradiert werden. Männer sind genauso wenig wie Frauen und Kinder für das Handwerk des Krieges bestimmt. Und sie sind auch nicht die akzeptableren Opfer bei Gewalttaten, Schicksalsschlägen und Naturkatastrophen.
Um Männer genauso zu trauern wie um Frauen und Kinder, setzt den gesamtgesellschaftlichen Abschied von der Heldenfantasie voraus – nicht zuletzt in den Medien und Institutionen wie der Polizei oder dem Militär. Gleichberechtigung im Verletzungs- und Todesfall bedeutet, dass niemand durch Nichterwähnung diskriminiert wird.

Knut Berner, geboren 1964 in Wuppertal, studierte evangelische Theologie in Bonn und Heidelberg. Anschließend wurde er zum Pfarrer ausgebildet, promovierte und habilitierte sich an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist stellvertretender Leiter des Evangelischen Studienwerks Villigst und lehrt als Professor Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum.

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