Zur Lage im Iran

Das Taktieren mit der Bombe

29:41 Minuten
Ein Fußgängerin geht in der iranischen Hauptstadt Teheran an einem Wahlplakat des Präsidentschaftskandidaten Ebrahim Raisi vorbei.
Kandidat der Mullahs: Ebrahim Raisi gilt als klarer Favorit und Nachfolger vom derzeitig amtierenden Präsident Hassan Ruhani. © AFP / Atta Kenare
Moderation: Patrick Garber · 05.06.2021
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Der Iran verhandelt und treibt gleichzeitig sein Atomprogramm energisch voran. Bei der baldigen Präsidentenwahl dürfte in Teheran ein Hardliner ans Ruder kommen. Was bedeutet das für den Nahen Osten und was kann Diplomatie ausrichten?
16-mal mehr Uran hat der Iran bisher angereichert, als das internationale Atomabkommen erlaubt. Die Bombe rückt für das Regime in Teheran in Reichweite. Dass der Iran tatsächlich Atommacht werden will, hält der Politikwissenschaftler Cornelius Adebahr, der ein Kenner des Landes ist, für möglich, aber eher nicht wahrscheinlich.
Denn bisher sei die Islamische Republik vor dem letzten Schritt auf dem Weg zur Bombe zurückgeschreckt. Die Führung in Teheran würde sich unglaubwürdig machen, wenn sie entgegen langjähriger Beteuerungen doch Atomwaffen bauen würde. Damit, so Adebahr, würde der Iran international zum Paria werden. Das sei nicht im Interesse der regierenden Mullahs.

Angereichertes Uran als "Verhandlungsmasse

Viel wahrscheinlicher sei, dass der Iran seine wachsenden nuklearen Fähigkeiten als "Verhandlungsmasse" nutzen wolle. Denn derzeit versuchen Diplomaten in Wien, das Atomabkommen wiederzubeleben, aus dem die USA 2018 ausgestiegen sind. Hier könne der Iran als nukleares "Schwellenland", also als Staat, der die Bombe noch nicht hat, sie aber rasch bauen könnte, stärker auftreten.
Als Hauptziel der iranischen Führung sieht Adebahr ein Ende der Sanktionen gegen das Land, die der Wirtschaft schwer schaden. Grundsätzlich sei das möglich, wenn Teheran sein Atomprogramm entsprechend den internationalen Vereinbarungen zurückfährt. Zumal die USA unter Joe Biden zu einem Neuanfang bereit sind. Aber die Details eines Deals seien äußerst schwierig.

Irans nächster Präsident ein Hardliner?

Ob es in Wien zu einem Abschluss kommt, bevor im Iran am 18. Juni ein neuer Präsident gewählt wird, ist für Adebahr sehr fraglich. Diese Wahl werde wahrscheinlich der ultrakonservative Geistliche Ebrahim Raisi gewinnen. Er und die ihn unterstützenden Hardliner würden einen Verhandlungserfolg sicher lieber für sich reklamieren, als ihn dem noch amtierenden, moderateren Präsidenten Ruhani zu gönnen.
Diese Wahl sieht Cornelius Adebahr als Zäsur für den Iran. Nicht wegen des voraussichtlichen Siegers. Raisi sei ein "Urgestein der Islamischen Republik", der für einen schärferen innenpolitischen Kurs stehe, aber am System sicher nichts verändern werde. Entscheidend werde vielmehr die absehbar historisch niedrige Wahlbeteiligung sein, was die Entfremdung zwischen Regime und Bevölkerung vertiefe. Zumal Raisi wohl keine Rezepte gegen die Wirtschaftskrise habe.

Die alten Konfliktlinien gelten vielleicht nicht mehr

Für die Region Naher Osten gebe es aber neue Spielräume, meint Adebahr, gleich wie die Wahl im Iran ausgehe. Denn die alten Konfliktlinien würden "in Zukunft nicht unbedingt mehr gelten". Langjährige Erzfeinde wie Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate reden wieder miteinander. Auch Israel verbessert seit einiger Zeit seine Beziehungen zu arabischen Ländern. "Wir müssen, was den Ausblick betrifft, viel mehr für möglich halten" als in der Vergangenheit, sagt Adebahr.
Hier könne sich Deutschland mit seinen traditionell guten Kontakten zum Iran einbringen, meint der Politikwissenschaftler, um den Dialog zwischen Teheran und den arabischen Staaten voranzubringen. Themen gebe es genug: Vom Kampf gegen die Pandemie über Umweltfragen bis zur Sicherheit der Meere – und damit der Ölexporte.
(pag)

Cornelius Adebahr ist Politikberater und Analyst. Seit 2006 ist er am Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik tätig, zwischen 2011 und 2016 lebte er in Teheran und Washington. Er ist der Autor von "Europe and Iran: The Nuclear Deal and Beyond" (2017) und "Inside Iran: Alte Nation, Neue Macht?" (2018).


Das ganze Interview im Wortlaut:

Deutschlandfunk Kultur: Das Atomprogramm des Iran gibt mal wieder Grund zur Sorge. 16-mal mehr Uran hat die Islamische Republik inzwischen angereichert, als ihr laut dem Atomabkommen erlaubt ist. In knapp zwei Wochen wird im Iran ein neuer Präsident gewählt. Das Ergebnis dieser Wahl dürfte große Auswirkungen auf den ganzen Nahen Osten haben.
Die Internationale Atomenergiebehörde ist beunruhigt wegen der gerade erwähnten Zahlen, aber auch, weil der Iran sich immer weniger in die nuklearen Karten schauen lässt. Baut das Regime in Teheran an der Atombombe oder bereitet das zumindest vor?
Cornelius Adebahr: Das ist eine Frage, die die Weltgemeinschaft schon seit 20 Jahren beschäftigt und die Sorge darum, was genau in Teheran passiert. Zuletzt hat das Atomabkommen von 2015 dafür gesorgt, dass es ausreichend Beschränkungen gibt, dass es Kontrollen gibt, die dafür sorgen, dass man erstens weiß, was in den Nuklearanlagen passiert, und zweitens über diese Beschränkungen auch verhindern kann, dass Iran das Material ansammelt, was für eine Bombe ausreichen würde.
Das Abkommen wurde von den USA gekündigt. Seitdem ziehen sich auch die Iraner nach und nach zurück. An dieser Stelle stehen wir gerade, dass es darum geht, dieses Atomabkommen wieder einzusetzen, Beschränkungen für den Iran wieder aufzuerlegen, damit die Weltgemeinschaft mehr Gewissheit hat.
Deutschlandfunk Kultur: Ein zentraler Punkt dabei ist zurzeit die Anreicherung von Uran. Erlaubt werden knapp über vier Prozent. Inzwischen reichern sie das Uran bis zu 60 Prozent an. Damit ist es zwar noch nicht waffenfähig, aber schon ziemlich nah dran. Wozu das, wenn nicht, um den Bau einer Bombe zumindest vorzubereiten?

Auf dem Weg zur Bombe?

Adebahr: Das ist tatsächlich die eine Möglichkeit. Bislang hat Iran aber vor diesem Schritt zurückgeschreckt. Man geht davon aus, dass Iran das vielleicht auch schon hätte in der Vergangenheit machen können. Deshalb gibt es vielleicht die zweite Möglichkeit, dass Iran hier Verhandlungsmasse aufbaut.
Die Schritte, die Iran in den vergangenen Jahren seit dem Ausstieg der USA gegangen ist, waren sehr bedacht, immer kommuniziert und von Anfang an so angelegt, dass sie auch zurücknehmbar sind. So verhält sich das auch mit den 60 Prozent. Das war ein Schritt, der angekündigt war als Konsequenz für das Ausbleiben von Sanktionserleichterungen. Deshalb wird gerade sehr intensiv verhandelt, wie man das wieder rückgängig machen kann.
Aber insofern: Das kann auch alles eine Taktik des iranischen Regimes sein, um in genau diesen Verhandlungen ihre Ziele zu erreichen.
Deutschlandfunk Kultur: Diese Verhandlungen über eine mögliche Wiederbelebung des Atomabkommens finden derzeit in Wien statt. Iran will dort erreichen, dass die internationalen Sanktionen gegen das Land aufgehoben werden, die die iranische Wirtschaft schwer treffen. Die USA wollen, dass der Iran sich wieder an die Auflagen des Atomabkommens hält. Klingt eigentlich nicht unmöglich. Woran hakt es?

Wer macht den ersten Schritt

Adebahr: Ganz grundsätzlich hakt es wohl immer auch noch in den präzisen Schritten, die beide Seiten machen müssen. Diese ursprüngliche Frage, wer den ersten Schritt gehen müsse, ob die USA erst wieder die Sanktionen erleichtern müssen oder ob Iran erst in das Atomabkommen zurückkommen müsse, das war ein bisschen eine Sandkasten-Frage. Da hat man zumindest wohl die Einigung erreicht, dass beide Seiten ein Programm vorlegen, das eine schrittweise Rückkehr ermöglicht.
Aber diese einzelnen Schritte – es gibt mehrere Tausend Sanktionen seitens der USA, es gibt die großen Fortschritte das Irans, was sein Atomprogramm betrifft, die Anreicherung, die Lagerung, die Nutzung modernerer Zentrifugen –, das ist alles im Prinzip rückgängig zu machen, so wie die USA ihre Sanktionen zurücknehmen könnten. Aber es ist politisch und teilweise auch technisch schwer. Über genau diese Fragen wird derzeit verhandelt.
Deutschlandfunk Kultur: Ich habe gelesen, dass die USA anstreben, noch weitere Punkte aufzunehmen, die im ursprünglichen Abkommen nicht waren: Zum einen das politische Verhalten Irans in der Region, sprich die Unterstützung für schiitische Milizen vom Libanon bis in den Jemen, zum anderen das iranische Raketenprogramm. Geht es auch darum?
Adebahr: Das ist sicher einer der Punkte. Das sind beides Aspekte, die auch zu Zeiten der ursprünglichen Atomverhandlungen nicht unbekannt waren. Man hat sie damals aber bewusst ausgeklammert, weil eine Einigung nicht in Aussicht schien. Die Überlegung war, dass man in dem Bereich, wo eine Einigung möglich ist, nämlich im Nuklearbereich, dieses Abkommen schließt und auf der erfolgreichen Umsetzung versucht, die weiteren Bereiche zu regeln. Das ist ein Gedanke, der auch schon länger da ist.
Durch den Ausstieg der USA kam es eben nicht zu dieser erfolgreichen Umsetzung des Abkommens. Deshalb sind diese Fragen – Raketenprogramm, die Rolle Irans in der Region – weiterhin offen und umso schwerer zu behandeln. Damit man sie aber gemeinsam erörtern kann, braucht es die Grundeinigung in der Nuklearfrage. Also, die Reihenfolge hier müsste sein: Erst einigt man sich auf den Wiedereinstieg in das Nuklearabkommen, beide Seiten, Iran und die USA. Dann kann man über regionale oder Raketenfragen reden.
Deutschlandfunk Kultur: Die Raketenfrage ist nicht ganz trivial. Denn da geht es darum, dass die Trägersysteme für mögliche Atomwaffen wahrscheinlich schon vorhanden sind. Besonders Israel hat auf diesen Punkt immer wieder gepocht: "Wir haben keine Sicherheit, solange der Iran Raketen hat, die unser Territorium erreichen können."

Raketen, die Atomsprengköpfe tragen können

Adebahr: Das ist richtig. Man muss davon ausgehen, dass die Raketen, die Iran gebaut hat, womöglich eine atomare Last tragen könnten. Umso wichtiger ist dann, zu verhindern, dass Iran diese atomare Last überhaupt aufbauen kann, also den nuklearen Sprengkopf. Da sind wir wieder bei dem Abkommen von 2015, das genau das verhindern wollte und was auch den Druck weggenommen hätte, der auch beispielsweise auf Israel lastet, was sich hier stark bedroht sieht.
Israel ist nun selbst eine Atommacht. Nach allem, was man weiß, verfügt Israel über Atomwaffen und ein Raketenschild, der auch im jüngsten Konflikt mit Gaza zum Tragen gekommen ist. Israel ist in diesem Sinne nicht schutzlos, aber ist natürlich für sich selbst auf seine eigene Sicherheit bedacht.
Das ist beispielsweise eine große Frage in solchen Regionalverhandlungen: Würde Israel mit am Tisch sitzen, wenn es zum Beispiel um Raketen geht? Saudi-Arabien baut auch an Raketen, also der regionale Rivale Irans auf der anderen Seite des Persischen Golfs. Kann man vielleicht erst mal rund um den Persischen Golf eine Einigung in solchen Fragen erreichen, bevor man die ganz große Frage, nämlich die Einbindung Israels, löst?
Deutschlandfunk Kultur: Ansprechpartner für die Wiener Verhandlungen zur Wiederbelebung des Atomabkommens auf iranischer Seite ist noch die Regierung von Präsident Hassan Ruhani. Der befürwortet eigentlich das Atomabkommen. Doch seine Amtszeit läuft in Kürze aus. Am 18. Juni wird im Iran ein neuer Präsident gewählt und Ruhani kann nicht noch einmal kandidieren. Ist dann ein Abschluss der Verhandlungen in diesen zwei Wochen bis zur Wahl überhaupt noch zu schaffen?
Adebahr: Die Beobachter dieser Verhandlungen haben lange Zeit erwartet, dass es vor den Wahlen zu einem Abschluss kommt. Das ist auch nicht ausgeschlossen. Die Frage ist, vor allen Dingen auch aus der innenpolitischen Sicht des Irans: Wie geht die Führung des Landes mit diesen Verhandlungen um? Will sie einen Erfolg noch vor den Wahlen, beispielsweise um den Menschen im Land zu zeigen, es geht voran, es gibt Fortschritt, eine Sanktionserleichterung steht bevor?
Oder zieht sie es vor, dass es zu einem möglichen Abschluss erst nach den Wahlen kommt, wenn dann wahrscheinlich ein konservativerer Präsident im Amt ist, dass der gewissermaßen einen ersten Erfolg vorweisen und sagen kann: "Schaut her, mein Vorgänger, der als moderat gilt, hat es nicht geschafft. Ich schaffe es, eine Einigung mit den USA zu erzielen."
Da muss man sehr stark die innenpolitische und taktische Lage im Iran in Betracht ziehen.
Deutschlandfunk Kultur: Schauen wir darum etwas genauer auf diese Präsidentenwahl. Wird das eine Zäsur für den Iran?

Die Präsidentenwahl als Zäsur

Adebahr: Es dürfte insofern eine Zäsur werden, dass man nach allem, was man weiß, davon ausgehen muss, dass sich sehr wenige Menschen an dieser Wahl beteiligen werden. Wahlen im Iran sind nicht das, was wir als Wahlen in normalen Demokratien in Europa oder in den USA sehen. Wahlen im Iran sind eben auch immer ein Ausdruck des herrschenden Systems, wie es sich selbst legitimiert, nämlich vor allem durch eine hohe Wahlbeteiligung.
In der Vergangenheit war der Führung der Islamischen Republik auch immer wichtig, dass viele Menschen zur Wahl gehen – egal, wer dann am Ende gewinnt. Jetzt wird nach allem, was man weiß, ein sehr konservativer Kandidat gewinnen, aber wahrscheinlich mit einer sehr geringen Wahlbeteiligung. Das heißt, das ist ein deutlicher Ausdruck dessen, dass die Menschen im Land dieses Regime nicht mehr unterstützen. Das ist die eigentliche Zäsur.
Deutschlandfunk Kultur: In den letzten Tagen gab es mehrere seltsame Unglücke im Iran. Am Mittwoch ist das größte Schiff der iranischen Marine nach einem Brand im Persischen Golf gesunken. Nur einen Tag später hat sich in einer Raffinerie bei Teheran ein Großfeuer ereignet. Könnte das etwas mit den anstehenden Wahlen zu tun haben?

Cyberkrieg zwischen Iran und Israel

Adebahr: Ich denke, es hat weniger mit den Wahlen als mit den Verhandlungen in Wien bzw. der Rivalität vor allem zwischen Israel und Iran zu tun. Israel und Iran führen seit Längerem einen Stellvertreterkrieg auf syrischem Territorium. Iran ist der große Unterstützer neben Russland des syrischen Herrschers Assad. Er ist auch mit eigenen Beratern und teilweise mit eigenen Truppen bzw. Milizen vor Ort und stößt dort regelmäßig mit Israel zusammen.
Gleichzeitig gibt es einen Cyberkrieg zwischen Iran und Israel, wo gegenseitig Einrichtungen angegriffen werden – Infrastruktur, Häfen, Wasserversorgung und Ähnliches. Zuletzt eben auch, sehr deutlich zu sehen an solchen Angriffen wie auf einen iranischen Atomforscher, der im eigenen Land getötet wurde, gibt es wohl auch Sabotageakte gegenüber einer iranischen Nukleareinrichtung, wo Zentrifugen beschädigt wurden.
Ob diese zwei jüngsten Ereignisse auch in dieses Muster gehören, das ist noch nicht abzuschätzen. Aber zumindest liegt der Verdacht nahe, dass es hier um weitere Maßnahmen geht, um vielleicht die Regierung im Land bloßzustellen und um zu sagen: "Ihr seid gar nicht unangreifbar. Wir können euch überall an jedem Punkt und mit jeder Einrichtung – ein Schiff, eine Anlage, eine Hafenanlage, eine Öleinrichtung – treffen."
Deutschlandfunk Kultur: Wie wichtig ist eigentlich das Amt des Präsidenten im Iran? Der erste Mann im Staat – Frauen dürfen nicht kandidieren – ist er ja nicht.

Letzte Instanz: Ajatollah Chamenei

Adebahr: Nein. Der erste Mann im Staat ist der sogenannte Oberste Führer Ali Chamenei. Das ist der Nachfolger des Staatsgründers Chomeini, der jetzt selber schon seit über 30 Jahren in diesem Amt sitzt und die letzte Instanz in allen Fragen ist. Es passiert kaum etwas in der Islamischen Republik, was am Ende nicht auch irgendwie den Segen von Ali Chamenei hat.
Das ist gewissermaßen auch die Konstante. In diesen 30 Jahren gab es verschiedene Präsidenten, moderatere, Reformer, vor allen Dingen aber auch konservative. Das heißt, die Grundlinien werden ganz oben an der Spitze festgelegt in einer Auseinandersetzung oder in einer Diskussion mit verschiedenen Elementen im Regime, der Sicherheitsapparat, der Klerus und andere.
Gleichzeitig gibt es diese demokratisch legitimierte Struktur: Es gibt ein Parlament. Es gibt einen Präsidenten. Es gibt eine gewisse politische Debatte über Themen, die aber am Ende nicht wirklich entscheidend sind oder nicht entscheiden können – so muss ich sagen -, sondern die Entscheidungen des Obersten Führers vorbereiten. Eine Parlamentsdebatte kann immer dazu dienen, dass der Oberste Führer weiß: In welche Richtungen tendieren die verschiedenen Fraktionen. Mit welcher Entscheidung kann ich am Ende den größtmöglichen Konsens herstellen? Die eigentliche Macht des Präsidenten ist arg begrenzt.
Deutschlandfunk Kultur: Nun ist dieser oberste geistliche und weltliche Führer Ajatollah Ali Chamenei schon über 80 Jahre alt und er soll auch gesundheitliche Probleme haben. Früher oder später wird sich also die Frage der Nachfolge stellen. Spielt das jetzt schon eine Rolle bei dieser Präsidentenwahl?

Wer wird Nachfolger des Ajatollah?

Adebahr: Das spielt tatsächlich eine Rolle. Die Gerüchte über den Gesundheitszustand des Obersten Führers sind lang anhaltend. Aber er ist offensichtlich auch zäh und lebt eben weiter. Aber natürlich wird diese Präsidentenwahl auch im Lichte einer möglichen Nachfolge gesehen. Das gilt vor allen Dingen für den im Moment aussichtsreichen Kandidaten, den Justizchef Raisi. Der hatte selber vor vier Jahren schon mal gegen Ruhani kandidiert und deutlich verloren.
Das war aber nicht weiter schlimm, denn es war vermutlich erst mal nur ein Warmlaufen für diesen Kandidaten. Er ist danach Chef oder Leiter einer großen Stiftung geworden und mittlerweile eben Justizchef. Er gilt als der haushohe Favorit in der aktuellen Wahl und wird auch als ein möglicher Nachfolger von Chamenei gesehen.
Interessantes Detail: Chamenei war selber Präsident 1989, bevor er dann Oberster Führer wurde. Insofern wäre das für Raisi gewissermaßen ein ähnliches Muster, dass er aus dem Präsidentenamt, dann womöglich Oberster Führer im Todesfalle Chameneis würde.
Deutschlandfunk Kultur: Sortieren wir mal ein bisschen die verschiedenen Strömungen auseinander. Man sagt hier, dass der bisherige Präsident Hassan Ruhani, der nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten darf, ein "Moderater" sei oder ein "Reformer" oder ein "Pragmatiker". Was bedeutet so was im Iran?
Adebahr: Es bedeutet vor allen Dingen, dass diese Gruppe oder mehrere Gruppen Reformer, Moderate, Technokraten, dass sie das System der Islamischen Republik unterstützen. Sie wollen es, zumindest die Reformer wollten es, von innen heraus etwas verändern. Sie wollen aber an dieser Grundstruktur eine Theokratie, des Prinzips des Obersten Führers, nichts ändern. Das ist deren Hauptmerkmal, das sie auch von den eher konservativeren Hardlinern der Kleriker nicht wesentlich unterscheidet. Es gibt Unterschiede in der Innenpolitik. Es gibt Betonungen auf mehr bürgerliche Freiheiten. Aber das Grundprinzip aller dieser Kräfte ist, dass sie die Islamische Republik als solche anerkennen und an ihr festhalten wollen.
Insofern haben diese moderaten Präsidenten wie Ruhani oder auch ein wirklicher Reformpräsident wie Chatami Ende der 90er-Jahre nicht wirklich die Islamische Republik verändern können, weil es eben diese Beharrungskräfte im System selbst gibt – in den Strukturen, im Sicherheitsapparat, in den religiösen Strukturen -, die sich am Ende trotz aller Reformversuche, die ein Präsident beginnen kann, durchgesetzt haben.
Deutschlandfunk Kultur: Zumal unter dem "Reformer", wie er auch genannt wurde, Hassan Ruhani, in seiner Amtszeit durchaus Protest blutig niedergeschlagen wurden.

Ruhani ist kein Reformer

Adebahr: Das ist richtig. Ich glaube, als "Reformer" würde man Ruhani heute sicher nicht mehr bezeichnen. Er ist angetreten als ein Moderater. Selbst diese Moderation, die er beispielsweise international versprochen hatte, er hatte 2013 Wahlkampf damit gemacht, dass er die Verständigung im Atomkonflikt zur Aufhebung der Sanktionen suchen würde und dass er innenpolitische Reformen angehen würde.
Das eine hat er zumindest dahingehend geschafft, dass er das Atomabkommen verhandelt hat und es 2015 abgeschlossen wurde. Aber er hat sich in der regionalen Szene nicht als besonders moderat erwiesen, was vielleicht auch nicht an ihm allein liegt, weil er nicht diese Entscheidung über Syrieneinsatz, Jemenkonflikt oder das Raketenprogramm trifft. Das sind Entscheidungen, die beim Sicherheitsapparat, bei den Revolutionsgarden liegen.
Das ist auch ein Teil der Bremse, die gegenüber moderaten Kräften besteht, dass sie überhaupt nur innenpolitische Fragen, Wirtschafts- oder Sozialpolitik bedienen können. Insofern ist er tatsächlich wirklich kein Reformer. Was immer er vorgeschlagen hatte, hat keinen Widerhall gefunden.
Deutschlandfunk Kultur: Für Ruhanis Nachfolge hatten sich ursprünglich fast 600 Kandidaten beworben. Tatsächlich zur Wahl stehen jetzt noch sieben. Alle anderen hat der Wächterrat aussortiert. Das ist ein Gremium, das die religiöse und ideologische Zuverlässigkeit der Bewerber prüft. Haben die Iranerinnen und Iraner denn überhaupt noch eine große Wahl, nachdem das Kandidatenfeld so rigoros gesiebt worden ist?

Das Volk hat kaum eine Wahl

Adebahr: Sie haben kaum eine Wahl, zumal die verbleibenden sieben Kandidaten im Wesentlichen dem Lager der Konservativen, der Hardliner entstammen und Kandidaten, die tatsächlich einen etwas anderen, reformorientierten, moderateren Kurs gefahren hätten, gar nicht zugelassen wurden. Das ist eines der großen Probleme dieser Art von Demokratie, dass sie eben so gesteuert und so ausgesiebt ist. Am Ende gab es tatsächlich auch aus konservativen Kreisen Proteste gegen diese Wahlliste von nur sieben Personen, weil das den Menschen auch jegliches Interesse nimmt, an dieser Wahl teilzunehmen.
Wir hatten schon drüber gesprochen: Das System baut auf diese Unterstützung in der Wahlbeteiligung. So scheint es, dass mit dieser arg zugeschnittenen Liste vielleicht das Regime sich selber ins eigene Fleisch schneidet, weil es eben letztlich die Menschen nicht motiviert, überhaupt zur Wahl zu gehen.
Deutschlandfunk Kultur: Alles scheint auf Ebrahim Raisi zuzulaufen. Was ist das für ein Mann?
Adebahr: Das ist ein Urgestein der Islamischen Republik, ein Kleriker und vor allen Dingen bekannt im Land, weil er als Richter in den 80er-Jahren an den Entscheidungen für Hinrichtungen von politischen Gefangenen beteiligt war. Über tausend politische Gegner der Islamischen Republik wurden da in Schnellverfahren abgeurteilt und hingerichtet. Das ist etwas, was ihn auszeichnet in einem negativen Sinne.
Es ist gleichzeitig auch etwas, was ihn dieser Islamischen Republik so verbunden macht. Denn mit diesem "Ballast", möchte ich mal sagen, ist klar, dass er keine Wende, keine Reformen anstoßen wird. Er ist diesem System voll verhaftet, während man bei Ruhani immer nochmal vermutet hatte, dass er hier eine moderate Wende einleiten könnte. Er hat manchmal vom Referendum gesprochen, von einer Änderung der Struktur. So kann sich der Apparat, das System bei Raisi sicher sein, dass es hier keine Versuche à la Glasnost und Perestroika wie damals in der Sowjetunion geben wird.
Deutschlandfunk Kultur: Raisi ist ein Geistlicher, ein Rechtsgelehrter, wie auch der aktuelle Präsident Hassan Ruhani. Die Mullahs bleiben weiterhin die stärkste politische Kraft im Iran?
Adebahr: Iran ist ein Staat, der auf der religiösen Herrschaft des Obersten Führers aufbaut. Insofern sind Geistliche und Kleriker in allen Bereichen vertreten. Der Wächterrat, den Sie angesprochen hatten, setzt sich zur Hälfte aus Geistlichen und aus Juristen zusammen. Aber das sind Elemente, die die religiöse Herrschaft im Iran eben zementieren.
Deshalb: Ja. Auch mit einem weiteren geistlichen Präsidenten wird sich diese Strömung festsetzen.
Deutschlandfunk Kultur: Es gab, bevor der Wächterrat seine stark gesiebte Liste vorgelegt hat, etliche Kandidaten, Namen, die kursierten, von Menschen im Generalsrang, vor allem Vertreter der Revolutionsgarden, also des mächtigen Sonderflügels des iranischen Militärs. Manche Beobachter sahen die Revolutionsgarden gar in einer Favoritenrolle, weil sie auch in der Wirtschaft eine große Rolle spielen. Haben die Geistlichen dem nun einen Riegel vorgeschoben? Hat es da einen Machtkampf vielleicht gegeben?

Die Rolle der Revolutionsgarden

Adebahr: Ein Riegel ist das sicher noch nicht. Es ist auf jeden Fall eine Tendenz. Es wird schon länger darüber spekuliert, dass die eigentlichen zentralen Elemente im iranischen System mehr und mehr den Revolutionsgarden angehören. Die sind nicht nur eine Elitetruppe der Armee, sondern sie sind auch im politischen Bereich tätig, wie die Kandidaten das deutlich machen.
Es ist aber auch ein Wirtschaftsfaktor. Es gibt Unternehmen der Revolutionsgarden vor allem im Bereich Infrastruktur. Die Revolutionsgarden kontrollieren die Häfen und die Flughäfen. Das heißt, der ganze Schmuggel, der in das Land kommt, findet unter den Augen und mit Nutzen der Revolutionsgarden statt.
Das heißt, die sind ein echter Machtfaktor. Ich will nicht von einem Machtkampf sprechen, eher von der bewussten Entscheidung von Chamenei und anderen an der Spitze, dass man jetzt nicht noch einen durch die Revolutionsgarden geprägten Präsidenten braucht. Man braucht einen Konservativen, aber lieben einen Kleriker, denn sonst wäre vielleicht der Machtzuwachs der Revolutionsgarden zu groß. Also, das ist gewissermaßen das Kalkül dahinter und insofern eine Richtungsentscheidung.
Deutschlandfunk Kultur: Der Iran hat enorme Probleme: Dauerwirtschaftskrise, hohe Arbeitslosigkeit, Inflation, Korruption, wenig Perspektiven vor allem für die jungen Menschen im Land. Das Coronavirus wütet schlimm. Haben die Konservativen, hat jemand wie Ebrahim Raisi denn Rezepte gegen diese Misere?

Keine Rezepte gegen Irans Probleme

Adebahr: Davon können wir leider nicht ausgehen. Denn wenn es diese Rezepte gäbe, dann wären sie auch unter der aktuellen Führung zum Tragen gekommen. Einen Regierungswechsel dürfen wir uns nicht so vorstellen, wie das hierzulande wohl wäre. Die Kräfte, die unter Ruhani am Werk waren, die beispielsweise die Coronakrise versucht haben zu bekämpfen, dieselben Kräfte wären auch unter einem Präsident Raisi am Werk.
Es geht hier um Strukturen beispielsweise zwischen der nationalen Ebene und den Provinzen. Es geht darum: Wer kontrolliert die Gesundheitsverwaltung? Wer baut Testkapazitäten auf? Grundlegende Entscheidungen im Iran, wie beispielsweise, dass Hilfslieferungen aus dem Westen abgelehnt wurden oder dass eben mit westlichen Vakzinen, mit westlichen Impfstoffen die Bevölkerung nicht versorgt werden soll, die haben nichts mit einer einzelnen Regierung zu tun, sondern die hat das System getroffen. Und das wird sich nur durch die Wahl von Raisi nicht ändern.
Deutschlandfunk Kultur: Was würde die Wahl von Ebrahim Raisi für das Atomprogramm bedeuten? Wäre das Nuklearabkommen dann endgültig tot?
Adebahr: Nein, das, glaube ich, darf man nicht denken. Denn diese Entscheidungen über die Teilnahme oder den Wiedereinstieg Irans in das Atomabkommen werden an oberster Stelle getroffen, also, letztlich auch von dem Obersten Führer. Hier scheint es so, dass Iran diesen Wiedereinstieg gehen würde, dass es sich wieder den Kontrollen und den Beschränkungen des Atomabkommens unterwerfen würde, wenn dafür die Sanktionen aufgehoben werden, wenn sie wirksam aufgehoben werden. Das ist ja auch eine Kritik, eine iranische Kritik an dem Abkommen von 2015, dass die USA zwar die Sanktionen auf dem Papier aufgehoben haben, aber in der Wirklichkeit bei den Unternehmen das nicht durchgeschlagen ist, weil sie sich eben trotzdem nicht getraut haben zu investieren. Und dann kam der Regierungswechsel in den USA von Obama zu Trump. Damit war dieses Atomabkommen schon in seiner Ausführung stark eingeschränkt.
Also noch mal: Wirksame Aufhebung der Sanktionen jetzt ist durchaus Interesse Irans, der iranischen Führung. Wie gesagt: Wenn das ein konservativer Präsident kurz nach seinem Amtsantritt vielleicht verkünden kann, dann wäre das sogar ein erster Erfolg. Das muss man mit einbeziehen, dass die iranische Führung auf diese Weise versucht, Nutzen zu ziehen aus dem Atomabkommen.
Deutschlandfunk Kultur: Nun sieht ja vielleicht der eine oder andere Hardliner in Teheran in Sachen Atomwaffen den Weg von Nordkorea als Vorbild. Also: internationale Sanktionen aushalten, ohne Rücksicht auf die eigene Bevölkerung bis man die Bombe hat oder zumindest in der Lage ist, sie zeitnah zu bauen. Denn das nordkoreanische Beispiel zeigt ja, dass – wenn so ein Staat erst einmal die Bombe hat oder nah dran ist – dann als internationaler Verhandlungspartner ein ganz anderes Gewicht hat, ernster genommen wird.

Von Nordkorea lernen?

Adebahr: Es ist sicher richtig, dass auch die iranische Führung Beispiele wie Nordkorea studiert, daraus ihre eigenen Lehren zieht. Das andere Beispiel ist Libyen, wo ein Staat seine Atomwaffen oder sein Massenvernichtungsprogramm, er hatte keine Atomwaffen, sondern sein Massenvernichtungsprogramm aufgegeben hat und anschließend das Regime gestürzt wurde. Das sind auf jeden Fall Beispiele, die in Teheran diskutiert werden, welchen Weg man gehen sollte.
Bisher müssen wir davon ausgehen, dass die iranische Führung nicht diesen Schritt gehen will. Sie will nicht enden wie Nordkorea. Das ist auch immer nur eine Momentaufnahme, wie gut es der Führung in Nordkorea gerade geht. Ich glaube, die iranische Führung weiß auch, dass die Bevölkerung des Iran anders ist und auch vor allem die Situation Irans in der Region eine andere ist als die Nordkoreas, also dass man das nicht 1:1 übertragen kann.
Das Kalkül der Iraner scheint zu sein, mit der Perspektive einer möglichen Atomwaffe eher Verhandlungspotenzial aufzubauen, das nennt man einen sogenannten Schwellenstaat, einen Staat, der an der Schwelle zu einer Atombombe steht, dass sie diesen Status erreichen wollen und pflegen wollen, sodass die Nachbarstaaten immer in gewisser Weise in der Angst leben müssen, Iran könnte eine Atombombe bauen, dass sie es aber letztlich nicht tun, weil sie dann eben als internationaler Paria abgestempelt würden.
Sie haben auch immer behauptet und gesagt, sie wollen keine Atombombe. Dann würden sie sich selber ja widersprechen. Gerade die letzten Monate und Jahre mit dem Ausstieg der Amerikaner haben gezeigt, dass den Iranern sehr stark an ihrem internationalen Bild gelegen ist, dass sie eben die Amerikaner, die den Ausstieg als erste vollzogen haben, als das ursächliche Problem darstellen und ihre eigene Position immer noch im Lichte des Atomabkommens sehen. Dieses internationale Bild, dieser Status, dieses Standing ist den Iranern sehr wichtig. Das würde eine Atombombe zunichtemachen.
Deutschlandfunk Kultur: Kann man schon absehen, was ein Regierungswechsel in Teheran für die Region Naher Osten allgemein bedeuten wird? Es gab ja zuletzt vorsichtige Annäherungsversuche des Erzrivalen Saudi-Arabien an Teheran. Ist damit Schluss, wenn ein Hardliner wie Raisi Präsident wird?

"Handausstrecken gegenüber Saudi-Arabien"

Adebahr: Auch davon würde ich nicht ausgehen. Das Handausstrecken Irans gegenüber Saudi-Arabien hat zwar unter Ruhani angefangen, es gab Vorschläge seitens der Iraner. Und jetzt ist eben auch Saudi-Arabien darauf eingegangen. Aber das sind Initiativen, auf die auch der Präsident Ruhani mit dem Sicherheitsapparat, mit dem Obersten Führer abstimmen musste und sich dort den Segen holen musste. Insofern könnten solche regionalen Gespräche weitergehen. Sie würden eben weitergehen mit einer konservativeren Regierung. Sie würden weitergehen mit einem Iran, der sich womöglich eben durch das Wiederbeleben des Atomabkommens gestärkt fühlt, ein Iran, der wieder Öl exportieren kann in die Weltmärkte. Also, es würde schwieriger werden, was das Mächtegleichgewicht oder das Mächtekraftverhältnis in der Region betrifft, nicht so sehr, weil es politisch eine andere Färbung, eine konservative Färbung in Teheran hätte.
Deutschlandfunk Kultur: Was würde das für Israel bedeuten, ein Regierungswechsel in Teheran plus ein wieder erstarkter Iran?
Adebahr: Es würde bedeuten, dass Israel weiterhin darauf setzt, sich selbst zu verteidigen, sich selbst zu schützen. Es würde ein schwieriger Punkt, zu sehen, wie Israel, was ja selber vor einem möglichen innenpolitischen Wechsel steht, wie sie mit dem Wiedereinstieg der Amerikaner und den einhergehenden Sanktionserleichterungen umgehen. Die Grundidee aber, dass es beispielsweise die Gespräche zwischen Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten und Iran geben müsste, dem kann sich Israel jetzt weniger verschließen, weil ja Israel selber gerade mit den Vereinigten Arabischen Emiraten Beziehungen aufgenommen hat, weil es hier eine neue Verständigung mit der arabischen Welt gesucht hat.
Ich denke, wir müssen, was den Ausblick betrifft, viel mehr für möglich halten, als es in der Vergangenheit war. Man hat in der Vergangenheit sehr klare Linien gezogen: Israel ist verfeindet mit den arabischen Staaten. Die USA stehen eng an der Seite Saudi-Arabiens. Iran ist der große Feind für alle beteiligten Regionalstaaten. Das sind sozusagen klare Linien, die in Zukunft nicht unbedingt mehr gelten. Die USA sind weniger stark an Saudi-Arabien gebunden, auch gerade unter dem neuen Präsidenten. Israel, wie gesagt, hat den Ausgleich mit arabischen Staaten gesucht. Und erste Gespräche jetzt mit Iran und Arabischen Staaten deuten darauf hin, dass es hier vielleicht zukünftig weniger große Differenzen gibt.
Deutschlandfunk Kultur: Kurz noch ein Wort zu Deutschland: Deutschland hat ja unter den Ländern des Westens traditionell relativ gute Beziehungen zum Iran. Wie sollte die deutsche Diplomatie sich aufstellen in dieser neuen Gemengelage, die Sie gerade skizziert haben?

Was Deutschland tun kann

Adebahr: Ich denke, es ist wichtig, mögliche Gelegenheiten zu suchen, die zu mehr Dialog führen, also, Dialog über nicht nur Sicherheitsfragen, sondern beispielsweise – Sie hatten die Pandemie angesprochen – über humanitäre Hilfe. Hier hat es auch Beispiele gegeben, dass sich arabische Staaten und Iran während der Pandemie gegenseitig geholfen haben. Umweltfragen sind ein großes Thema, Wasserknappheit in der Region oder eben auch rund um den Persischen Golf, maritime Sicherheit. Der Export von Öl ist im Interesse aller Staaten. Also, es gibt genügend Themen, in die sich Deutschland auch einbringen könnte – immer mit Blick darauf, hier regionale Staaten zusammenzubringen.
Die Rolle in den Atomverhandlungen, die Deutschland spielt, spielt es ja im Wesentlichen an der Seite der Europäer. Und hier gilt es für die Deutschen, tatsächlich im europäischen Konzert aufzutreten, um zusammen mit Frankreich und Großbritannien diese Verhandlungen zu einem Abschluss zu bringen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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