Zum Wohl der Menschheit?

Erster Atombombentest auf dem Bikini-Atoll

Blick auf den riesigen Atompilz während des Atombombenversuchs der Amerikaner auf dem Bikini Atoll.
Während eines Atombombenversuchs auf dem Bikini Atoll 1946 stieg dieser riesige Atompilz auf. © picture alliance / dpa / Consolidated National Archives
Von Dagmar Röhrlich · 30.06.2016
Auf dem Bikini-Atoll im Pazifik testeten die USA jahrelang Atomwaffen. Die 161 Bewohner hatten ihre Insel deshalb verlassen müssen, für "kurze Zeit", wie man ihnen damals versicherte. Bis heute konnten sie nicht zurückkehren. Am 30. Juni 1946 explodierte die erste Bombe.
"This is Bikini, it is here that the military and scientific personal of Joint Task Force 1 will conduct the test with the atomic bomb ..."
Es ist Able Day, der 30. Juni 1946, der Tag des ersten Tests. An Bord der Boeing B29 "Dave's Dream" ist "Gilda": eine mit einem Foto von Rita Hayworth dekorierte Atombombe. Ihre Sprengkraft: 23.000 Tonnen TNT-Äquivalent.

9:00 Uhr, 34 Sekunden - Gilda explodiert

"The Bomber is over the target. The Bomb is away and one second to go."
9:00 Uhr, 34 Sekunden - Gilda explodiert. 158 Meter über der Lagune des Bikini-Atolls. Sie soll möglichst große Schäden an den Kriegsschiffen anrichten, die das US-Militär für den Test verankert hat.
"Sobald der Krieg zu Ende war, entdeckten wir den einzigen Punkt auf dieser Erde, der vom Krieg unberührt geblieben war und schickten ihn zur Hölle."
Urteilte der US-Komödiant Bob Hope bitter. Bikini war ein Paradies, das Worejabato, der Gott der Riffe, den Menschen geschenkt hatte. Sie lebten einfach, aber in Einklang mit der Natur. Bis zum 10. Februar 1946. Einem Sonntag. Nach der Kirche trug US-Kommandant Ben Wyatt den 161 Bikinianern eine "Bitte" vor: Als gläubige Christen seien sie wie die Kinder Israels, die Gott ins gelobte Land führe - ob sie nicht ihr Atoll für kurze Zeit zur Verfügung stellen könnten ...
"... zum Wohl der Menschheit und um alle Kriege der Welt zu beenden."
Was diese Atomtests waren, begriff niemand. Also verkündete Juda, der König der Bikinianer, am Ende der Debatte:
"Wir werden gehen, weil wir glauben, dass alles in Gottes Hand ist."

Es begann eine Odyssee der Bikinianer

Damit begann die Odyssee der Bikinianer, die sie von Insel zu Insel führen sollte. Als sie in ihrem ersten Exil auf die Rückkehr warteten, verfehlte Gilda ihr Ziel, das Kriegsschiff Nevada. Deshalb war der Effekt der Explosion längst nicht so imposant, wie erhofft. Dafür waren die 22 Tests, die in zwölf Jahren folgen sollten, umso beeindruckender. Herwig Paretzke ist Strahlenphysiker und wissenschaftlicher Berater der Bikinianer.
"Ein besonders schlimmer, der im März '54 stattgefunden hat, war die erste Wasserstoffbombe, Bravo-Test, der die Insel dann so kontaminiert hat, dass sie praktisch bis heute nur schwer wiederbesiedelt werden kann."
Die Bravo-Explosion war viel stärker als berechnet: Sie zerstörte drei Inseln, riss einen riesigen Krater ins Riff und katapultierte Abermillionen Tonnen verstrahlten Wassers und Korallenriffstaubs in die Luft. Der Fallout rieselte auf bewohnte Nachbarinseln - und auf ein japanisches Fischerboot in der Nähe.
1958 stoppten die USA die Tests aufgrund von internationalem Druck. Zehn Jahre später versprach Präsident Lyndon B. Johnson den Bewohnern die Rückkehr. Schließlich dachten US-Wissenschaftler, dass Menschen wieder sicher auf dem Atoll leben könnten. Kokosnusspalmen wurden angepflanzt, Häuser gebaut. Und 1975 zogen 100 Bikinianer ein - für drei Jahre. Die Experten hatten sich geirrt.

Bikini wird für sie wohl ein verlorenes Paradies bleiben

"Die Bikinians hatten das Glück, einen jungen amerikanischen Rechtsanwalt in Washington zu finden, der sich auf die Fahne geschrieben hat, für die Bikinians Entschädigung für grobe Fahrlässigkeit der Kontamination der Inseln vom amerikanischen Staat einzuklagen."
100 Millionen Dollar flossen schließlich in einen Fonds - Geld, das die Inseln wieder bewohnbar machen soll.
"Die jetzige Generation der Bikinians war zu 99 Prozent nie auf ihrer Insel oder nur mal kurz für ein, zwei, drei Tage zu Besuch."
Und so ist die Frage, ob sie wirklich zurückwollen. Zwar werden auch heute wieder ein paar Straßen gebaut und Häuser, denn inzwischen ist ein Teil der Radionuklide zerfallen und der reine Aufenthalt ist auf den meisten Inseln kein Problem. Doch die Kokosnüsse sind zu belastet, als dass man sie täglich essen könnte. Wo Kinder leben sollen, muss der Boden abgetragen werden, weil Plutonium darin steckt. An Bord der versenkten Schiffe gefährden Munition und Treibstoffe die Umwelt. Und der Klimawandel bedroht das Atoll, das 2010 von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt worden ist.
Und so trauern die Bikinianer in ihrer Hymne, dass sie nicht bleiben können, nicht mehr in Frieden und Harmonie leben. Bikini wird für sie wohl ein verlorenes Paradies bleiben - ein Paradies, das sich statt ihrer die Seevögel und Riffhaie erobert haben.
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