Zum Wegschmeißen zu schade

Von Hartwig Tegeler |
Horst und Angelika Matzen sind beide Ende fünfzig und leben von Hartz IV. Doch anstatt nur auf dem Sofa zu sitzen, engagieren sie sich. Das Paar aus Hamburg repariert gespendete PCs und gibt diese an Bedürftige weiter.
"Schönen guten Tag, Frau Bergmann."

Es ist vor 16 Uhr. Die Frau kommt zu früh.

"Guten Tag, Herr Matzen. - Was bringen Sie uns?"

Aber Frau Bergmann will keinen PC haben, sie will einen spenden.

"Hervorragend. - Mit XP drauf. - Und Original-XP? - Ja, genau! - Passend zu dem PC. - Ja, das gehört dazu. - Hervorragend! Dann können wir das mit rausgeben."

Der Bergmann-Computer läuft noch problemlos.

"Ist doch zum Wegschmeißen zu schade."

Freitagnachmittag. Rahlstedt, ein Stadtteil in Hamburgs Nordosten. Bei der Computer-Spende-Hamburg e. V. ist mal wieder Ausgabetermin. Aber […]

"Hallo. - Wir wollten ´n Computer abholen. - Kleinen Moment noch. - Alles klar!"

[…] erst ab 16 Uhr. Spender sind aber willkommen:

""Alles, was Sie hier sehen, im Raum - außer die Menschen -, sind (!) gespendet."

Und man kann eine Menge sehen in diesen Lagerräumen, die Horst Matzen dank dem Sponsoring einer Firma anmieten konnte. Die Stahlregale […]

"Auch die wurden uns gespendet, die wir hier sehen."

[…] quellen über. Monitorkabel, USB-Kabel, Netzwerkkabel, Farbkartuschen, REM-Bausteine, Platinen, externe Festplatten, Monitore und Computer um Computer.

"Computerspende Hamburg, Matzen, guten Tag. Hallo, Herr Wolff. Können sie bringen."

Horst Matzen, wie seine Frau Hartz-IV-Empfänger, ist für den Arbeitsmarkt, wie er melancholisch grinsend bemerkt, wohl nicht mehr brauchbar, aber er hat kein Interesse an einer Existenz auf dem Sofa oder der Parkbank. Im Jahr 2009 gründeten die Matzens die Computerspende Hamburg.

"Wir wollen aus dem Geringverdiener die Möglichkeit geben, in die Internetwelt einzu-tauchen. - Wir wissen, eine Bewerbung schreiben ist heute ganz schwierig ohne PC. Dann haben wir gesagt, Mensch, wir haben ein paar Freunde, die haben PCs übrig gehabt und dadurch ist das gekommen. - Und denn hat man uns zwei, drei PCs gebracht, und im Bekannten- und Freundeskreis hatten wir auch wir Bedürftige und haben wir gesagt, komm nimm. Und denn haben wir gesagt, Menschenskinder, was im Kleinen geht, muss doch auch im Großen gehen."

Auf den 58-jährigen Sanitärinstallateur und Computerbastler kam nun viel Arbeit zu: Die defekten oder auch angeblich defekten Computer […]

"90 Prozent der Geräte, die angeblich kaputt sein sollen, das sind alles Bedienungs-fehler."

[…] auseinander schrauben, Bauteile entnehmen und sortieren. Aus alten Rechnern neue zusammensetzen, überprüfen und dann weitergeben.

"Der Rechner soll eigentlich nur zwei Aufgaben erfüllen: Er soll die Verbindung zum Inter-net herstellen, damit die Leute sich auf dem ersten Arbeitsmarkt erkundigen können und sich auch bewerben können schriftlich mit XP."

Noch fünf Minuten bis 16 Uhr. Die, die gleich eine Computeranlage abholen werden, […]

"Elf Anlagen sollen rausgehen."

[…] warten noch draußen auf dem Industrievorhof. Sie haben sich vor Wochen angemeldet und wurden am Anfang der Woche von Angelika Matzen informiert, dass sie an diesem Freitag dran sind. Durchschnittliche Wartezeit bei der Computer-Spende Hamburg zurzeit zwei bis drei Monate.

"So, ich gucke denn mal hoch! Hallo, schönen Guten Tag. ... Wie viele sind wir denn schon?"

Im Eingangsbereich hier im Souterrain-Raum hat Horst Matzen elf Computeranlagen verteilt: 10 Windows-XP-fähige Rechner inklusive Monitor, Drucker, Tastatur und Maus.

"Das Ganze läuft folgendermaßen ab: Wie Sie sehen, wir haben hier mehrere Gruppen zusammengebaut. Sie dürfen gleich rumgehen, und Sie dürfen sich eine Gruppe, wie sie hier steht, aussuchen."

Der Raum hat sich mit rund 20 Leuten gefüllt: Hartz-IV-Empfänger, die ihren Computer ab-holen, verstärkt durch Freunde, die beratend tätig werden:

"Hier Ernie, der 500er, nimm den mit. Der ist schneller, der ist besser hier. Ernie, lass den nach! Nimm den. Hast auch einen besseren Bildschirm. Siehst du! Haupt-sache, der läuft erst mal. Das ist doch wichtig!"

Horst und Angelika Matzen geben nicht nur Computer ab; ihre Computer-Spende-Hamburg e. V. veranstaltet auch Lehrgänge, um den Vereinsmitgliedern Grundlagen des Internets zu vermitteln oder ihnen beizubringen, wie man einen PC aus-einander- und wieder zusammenbaut.

Der Mann mit der Prinz-Heinrich-Mütze schlendert an den Computern vorbei.

"Ja, dass ich mal in jedem Fall Bewerbungen und dergleichen schreiben kann. Weil eben auch Hartz IV, näh! Finanziell ist das gar nicht drin, sich was Neues anzu-schaffen."

Die Frau aus Ghana, die Bürokauffrau werden möchte […]

"Ich mache gerade eine(n) Computerkurs. Aber leider keine(n) PC zu Hause."

[…] die Frau kann heute ihren PC abholen. Horst Matzen gibt Entscheidungshilfe:

"Mit dem sind sie gut beraten. Mit gutem Gewissen kann ich Ihnen das geben. - Okay, nehme ich dann. - Sind Sie nicht schlecht dran. Dann will ich nur den Zettel abnehmen. - Ja, das freut mich so sehr!"

Nach einer knappen halben Stunde leert sich der Ausgaberaum wieder. Die neuen Besitzer haben ihre Computeranlagen eingepackt.

"Es gibt Tage, da läuft das noch ein bisschen ruhiger ab, und dann gibt es wieder Tage, wo es, wie mein Mann schon sagte, dass einige dann anfangen zu meckern. - Es sind wieder zwei, die da nicht gekommen sind. Die sich auch nicht ge-meldet haben. - Von zwölf Leuten, haben wir festgestellt, sind ungefähr so drei oder vier, die da nicht erscheinen. Und die fliegen dann auch raus, näh!"

Die, die da waren, scheinen zufrieden.

"Denn bedanke ich mich. Recht vielen Dank. - Ja, und dann sehen wir uns irgendwann denn mal wieder. - Okay. Tschüss."

Mitte Oktober dieses Jahres haben die Matzens ihre 500. Computeranlage abgegeben. Auf der Website der Computer-Spende-Hamburg ist ein Gold umrandetes Bild des Ereignisses zu sehen. Horst Matzen blickt nüchtern, aber auch ein wenig stolz in die Kamera.