Zum Tod von Paul-Heinz Dittrich

Meister der radikalen und harten Musik

Jens Schubbe im Gespräch mit Carsten Beyer · 29.12.2020
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Paul-Heinz Dittrich galt als einer der wichtigsten Komponisten der damaligen DDR. Jetzt ist er im Alter von 90 Jahren gestorben. Der Dramaturg Jens Schubbe erinnert an einen Mann, der trotz aller Widrigkeiten seinen Weg gegangen ist.
Carsten Beyer: Als Meister der Käfig-Musik hat ihn die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" kürzlich bezeichnet, den Berliner Komponisten Paul-Heinz Dittrich. Ein Schüler von Paul Dessau und Weggefährte von Zeitgenossen wie Helmut Lachenmann oder Krzysztof Penderecki. Dieser Artikel, der ist zum 90. Geburtstag von Paul-Heinz Dittrich erschienen Anfang Dezember, und heute nun erreichte uns die Nachricht vom Tode des Komponisten. Darüber spreche ich mit einem Mann, der Paul-Heinz Dittrich gut gekannt hat, der auch mit ihm zusammengearbeitet hat: Jens Schubbe, Dramaturg an der Philharmonie in Dresden.
Herr Schubbe, Sie waren früher am Konzerthaus in Berlin ein enger Vertrauter von Paul-Heinz Dittrich, haben ihn und sein Werk also gut gekannt. Was hat seine Musik Ihrer Meinung nach ausgezeichnet?
Schubbe: Paul-Heinz Dittrich war einer der ganz wichtigen Komponisten aus dem Osten des jetzt geeinten Landes. Wenn man sein Lebens- und Schaffenswerk überblickt, fällt eines auf: Er ist sich über Jahrzehnte hinweg treu geblieben, ist ganz konsequent seinen Weg gegangen – und dieser Weg war ganz gewiss ein steiniger. Es ist jemand, der eine hochexpressive Musik geschrieben hat, die auch hochkomplex sein konnte, vielschichtig und immer von einem unbedingten Ethos des Komponierens getragen war, von Anfang bis Ende.

Ein Meister der Moderne

Beyer: Sie haben gesagt: ein steiniger Weg. Er war ja einer der wichtigsten Vertreter der zeitgenössischen Musik in der DDR, und das war ja nicht so ganz einfach, denn dieses Genre wurde von der Staatsführung und auch den Kulturfunktionären dort nicht unbedingt goutiert. Wie hat er es trotzdem geschafft, mit seiner Musik weiterzumachen?
Schubbe: Auch das ist eine komplexe Geschichte. Ganz wichtig ist dabei zu sehen, dass Dittrich Schüler von Rudolf Wagner-Régeny war, der ihm gewissermaßen die Augen und vor allem die Ohren geöffnet hat für die avancierte Musik der Zeit. Und sein Komponieren stand – das waren so die frühen 1960er-Jahre – seitdem im Zeichen dieser Art Moderne. Das hat man damals hörend noch kaum wahrnehmen können, das änderte sich so in der Zeit um 1970. Da mehrten sich die Aufführungen, vor allem auch im Westen.

Ein Komponist mit Literaturbezug

Es sind die Wittener Tage für neue Kammermusik zu nennen, wo relativ viele Werke von Paul-Heinz Dittrich aufgeführt und uraufgeführt wurden. Dieser Erfolg machte es auch möglich, in seiner Heimat, im Osten, Aufführungen zustande zu bringen. In den frühen 70er-Jahren, als die Kulturpolitik etwas liberaler war, konnte er sich gemeinsam mit einigen anderen Komponisten in etwa der gleichen Generation – also Georg Katzer, Friedrich Goldmann, Friedrich Schenker – etablieren und wurde dann als einer der wichtigen Vertreter der avancierten Musik in der DDR wahrgenommen.
Beyer: Den Artikel in der "FAZ", den hab ich ja schon erwähnt, zu seinem 90. Geburtstag, da hat Jan Brachmann seine Musik als Poesie der Dezenz bezeichnet. Gehen Sie da mit?
Schubbe: Ich schätze Jan Brachmann hoch, aber Poesie der Dezenz wäre mir bei Paul-Heinz Dittrich eher nicht eingefallen. Das ist schon eine radikale, auch harte Musik, das konnte man ja in dem Ausschnitt, den Sie eben angeboten haben aus der "Kammermusik XII" durchaus hören, mit Poesie allerdings hat Dittrichs Musik erheblich zu tun. Er war ein Komponist, der unglaublich literaturbezogen war.
Wenn Sie einmal seine Werkliste durchschauen, da finden sich weit über 40 Kompositionen, die sich in irgendeiner Weise auf Literatur beziehen. Dabei werden diese Texte eben nicht nur vertont in klassischem Sinne, sondern auf unglaublich vielschichtige Art und Weise sickern gleichsam die Texte in das Komponieren ein, sind zum Teil überhaupt nicht zu hören, sondern eine Art Subtext, der den Tönen unterliegt.

Von Baudelaire bis Becket, von Kafka bis Celan

Beyer: Diese Belesenheit ist ja wirklich eines der Dinge, die ihn vielleicht auch von anderen Komponisten abhebt. Nun war ja seine große Liebe Frankreich, also die französische Literatur. Er durfte zwar reisen, aber für einen Kommunisten der DDR ist es ja trotzdem ein relativ fernes und schwieriges Ziel. Hat er sich beengt gefühlt Zeit seines Lebens, also vor der Wende?
Schubbe: Schwer zu sagen. Paul-Heinz Dittrich durfte reisen, also er konnte die Kontakte in den Westen schon knüpfen. Es war aber nicht nur die französische Kultur, die natürlich eine wichtige Rolle gespielt hat für ihn, sondern es ist die Literatur der klassischen Moderne insgesamt, die für ihn wichtig war. Neben den Franzosen, neben Baudelaire und Maeterlinck war es auch Samuel Beckett, der für ihn extrem wichtig war. Franz Kafka natürlich oder James Joyce, aber auch ein Dichter wie Heiner Müller waren von ihm immer wieder vertont worden, und Paul Celan ist derjenige, der eine ganz zentrale Gestalt für ihn war.
Der Frankreichbezug, der ist sicherlich, was die literarische Welt betrifft, gegeben. In seiner Musik höre ich das eher nicht, da hört man diesen Frankreichbezug bei anderen Komponisten viel stärker, die ihn vielleicht gar nicht so verbalisiert haben wie etwa Friedrich Goldmann.

Viele unaufgeführte Werke

Beyer: Sein letztes zu Lebzeiten uraufgeführtes Werk, das war die "Kammermusik XVII", komponiert schon 2015, aber uraufgeführt dann erst im Oktober dieses Jahres im Dresdener Kulturpalast. Sie, Herr Schubbe, haben geholfen, dieses Werk aus der Taufe zu heben. War das gewissermaßen das Vermächtnis von Paul-Heinz Dittrich?
Schubbe: Ob das Werk nun nur das Vermächtnis Dittrichs ist, das würde ich so nicht sagen wollen. Es gibt einfach eine ganze Reihe von Werken, die nicht aufgeführt wurden bislang. Dittrich war wie gesagt jemand, der seinen Weg ganz konsequent gegangen ist. Als nach 1989 die Aufführungszahlen und auch die Aufträge Stück für Stück zurückgingen und er ein wenig in Abseits geriet, sagte er einfach, dann beauftrage ich mich eben selbst, und hat weiterkomponiert.
So ist eine ganze Reihe von Werken entstanden, die noch der Uraufführung harren – aus einem großen Zyklus oder diesen großen Gruppe der Kammermusiken sind das mehrere Werke. Wir haben die "Kammermusik XVII" realisiert, es gibt noch eine "Kammermusik XVIII". Die "Kammermusik XVII" ist ein hochkomplexes Werk. Die Schwierigkeit dabei ist, dass die Manuskripte Dittrichs unglaublich klein mit Bleistift geschrieben sind und man zunächst mal jemanden braucht, der seine Handschrift entziffern kann und das Ganze überträgt in ein Notenmaterial. Das haben wir Gott sei Dank gefunden, und wir haben dieses Werk zur Uraufführung bringen können. Das Sharoun Ensemble aus Berlin hat damals gespielt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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