Zum Tod von Ornette Coleman

Vom missverstandenen Pionier zur Legende

Der US-amerikanische Jazz-Musiker und Komponist Ornette Coleman mit seinem Saxofon im Jahr 2008.
Der US-amerikanische Jazz-Musiker und Komponist Ornette Coleman im Jahr 2008. © Herve Coste, dpa picture-alliance
Von Matthias Wegner · 12.06.2015
Mit einem Plastiksaxophon stand er erstmals auf der Bühne – und wurde für sein Spiel ausgelacht. Doch Ornette Coleman sollte zu einer der großen Jazzlegenden werden, die Generationen von Musikern inspirierte. Nun er im Alter von 85 Jahren gestorben.
Seine Musik klinge, wie organisierte Unordnung. Als würde man etwas Falsches richtig spielen, oder etwas Richtiges falsch, meinte einmal der Bassist und Komponist Charles Mingus über Ornette Coleman in einem der vielen Versuche, das Konzept, den Background und das Geheimnisvolle des Coleman-Universums zu beschreiben. Coleman ist ein klassischer Autodidakt, der in den 1950er-Jahren seinen Lebensunterhalt unter anderem als Liftboy in Los Angeles verdiente. Bis er plötzlich mit einem Plastiksaxophon die New Yorker Bühne betrat – und zunächst vom Jazz-Establishment ausgelacht und verhöhnt wurde. Weil er nicht nur lustig aussah, sondern auch schräge Töne und rhythmisch sehr ungewöhnlich spielte. Doch Coleman hatte eine musikalische Vision, die er – zunächst unbewusst, später sehr gezielt – weiterverfolgte.
"Alles wurde zum Sound"
Tief verwurzelt in der afroamerikanischen Musiktradition balancierte er zwischen melodischem Ausdruck, Polyrhythmik und Abstraktion. Die einzelnen Noten verschwanden in der Wahrnehmung und rückten in den Hintergrund. Alles wurde zum Sound. Das war der Ansatz, den Ornette Coleman immer weiter ausdifferenziert hat. Die Verschmelzung von Harmonien und Melodien zu einem fließenden Gesamtsound wurden zum wichtigsten Kennzeichen von Ornette Coleman, der – daraus abgeleitet – seine Philosophie, seine Band und sein eigenes Label "Harmolodics" nennt. Es gehe darum, Wissen und Intelligenz so anzuwenden, dass es jedem ermöglicht wird, sich in jeder Umgebung auszudrücken, erklärt Coleman.
Eine seiner ersten bedeutenden Platten, war das Album "Free Jazz", aufgenommen 1960. Ein Album, das zwar ein paar Jahre später als Namensgeber des gleichnamigen Stils herhalten musste, doch hat Coleman vom reinen Kaputtspielen, vom Ausgrenzen des Publikums, was beim "Free Jazz" oft passierte, nie etwas gehalten. Coleman ging es vielmehr um eine neue Jazzsprache, in der die Hierarchie der Instrumente aufgelöst wurde. Er war und ist in der Lage, freie Musik poetisch und warmherzig zu gestalten. Coleman hat die Einfachheit in der Komplexität gesucht und umgekehrt.
Der Musik zu begegnen, als habe man noch nie Musik gehört
Weil ihm die Experimente auf dem Tenorsaxophon nicht ausreichten, hat Ornette Coleman nebenbei auf Amateurniveau Trompete und Geige gelernt und ist damit auf die Bühne gegangen. Der Musik zu begegnen, als habe man noch nie Musik gehört, war der musikalische Ansatz, der ihm zum wiederholten Male in der Jazzgeschichte nicht nur Freunde einbrachte.
Ornette Coleman hat in seiner langen Karriere kaum einmal als Sideman bei anderen Musikern gespielt, aber er hat große Werke geschrieben, zum Beispiel Ballettmusiken und Kompositionen für ein Orchester mit 125 Musikern. Außerdem hat er in den 70er- bis 90er-Jahren rock- und funk-orientierte Alben aufgenommen. Im großen Stil kommerziell verwertbar ist sie nie gewesen, die Musik von Ornette Coleman. Aber immerhin hat Coleman doch viel Respekt dafür erfahren. Und immerhin hat er einen Grammy für sein Lebenswerk erhalten und bekam 2007 den Pulitzer Preis.
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