Der Mann, der aus der Wüste kam
Harry Dean Stanton spielte gewissenlose Cowboys und Drogenhändler, orientierungslose Tramper oder rassistische Polizisten. Seine wohl größte Rolle übernahm der US-Schauspieler in dem Roadmovie "Paris, Texas" von Wim Wenders. Nun ist er im Alter von 91 Jahren gestorben.
Zu den Tönen von Ry Cooders Gitarre stapft Harry Dean Stanton 1984 aus der Wüste, betritt einen Salon und bricht zusammen. Wim Wenders drehte "Paris, Texas" 1984 und gewann mit dem Film die Goldene Palme in Cannes. Dass er Stanton für die Hauptrolle besetzte, lag an Autor Sam Shepard, dem Stanton ein Jahr zuvor in New Mexiko erzählte, dass er gerne einmal eine Rolle in einem intelligenten, gefühlvollen Film spielen würde.
"Als ich zurück in Los Angeles war, rief er mich an und sagte: 'Ich will, dass diesen Film machst, dass du die Hauptrolle spielst in 'Paris, Texas'. Wim Wenders war der Regisseur. Ich dachte, dass ich zu alt für die Rolle wäre und sagte, dass ich sie nur übernehmen würde, wenn auch der Produzenten und alle anderen mich wirklich wollten und wenn der Junge, der meinen Sohn spielt, mit mir auch hinter der Kamera eine gute Beziehung hätte."
Zu diesem Zeitpunkt steht Stanton schon fast 30 Jahre vor der Kamera, aber nur Fachleute kennen ihn, auch wenn er in vielen bedeutenden Filme spielt und mit den besten Regisseuren arbeitet: Mit Sergio Leone dreht er "Eine Hand voll Dollar", mit Sam Peckinpah "Pat Garret jagt Billy the Kid", mit Norman Jewison "In der Hitze der Nacht", mit Francis Ford Coppola "Der Pate 2" mit John Carpenter "Die Klapperschlange" und mit Ridley Scott "Alien". Ein Weltraumthriller und Filmklassiker, in dem Stantons Figur umgebracht wird.
Jack Nicholson als Mitbewohner
"Kätzchen! Komm schon, Baby. Hey! Ahhhh!"
Harry Dean Stanton, der am 14. Juli 1926 in Kentucky zur Welt kommt und in den 50er Jahren nach Hollywood geht, spielt fast nur Nebenrollen, meist eigensinnige, zuweilen skrupellose Typen: gewissenlose Cowboys und Drogenhändler, orientierungslose Tramper oder rassistische Polizisten. Zugleich mutiert er zum Charakterdarsteller und freundet sich in den 60er-Jahren u.a. mit Jack Nicholson an, der ihn eines Tages verzweifelt anruft.
"Er rief mich an und sagte: 'Harry, kann ich für eine Weile zu dir ziehen?' Er war total abgebrannt. Also sagte ich: 'Klar, komm rüber!"
Über zwei Jahre leben die beiden in einer gemeinsamen Wohnung, helfen sich gegenseitig. Dann geht’s für Nicholson bergauf, und auch Stantons Karriere läuft besser. 1976 dreht er mit Arthur Penn "Duell am Missouri". In dem Film wird er von Marlon Brando ermordet. Fortan ist Stanton mit Brando bis zu dessen Tod befreundet:
"In seinen letzten drei Lebensjahren waren Marlon und ich sehr eng befreundet und wir telefonierten stundenlang miteinander. Er lehrte mich Shakespeare-Monologe aus 'Der Sturm' und 'Macbeth'. Das war eine große Ehre für mich."
Begeistert von fernöstlicher Philosophie
1984 übernimmt Harry Dean Stanton nicht nur die Hauptrolle in "Paris, Texas", sondern auch in "Repo Man", einem Underground-Kultfilm von Regisseur Alex Cox. Stanton spielt eine Art Autodieb, der einem jungen Typen beibringt, wie man Autos stiehlt, deren Raten nicht bezahlt wurden.
"Wenn du wie ein Bulle aussiehst, wissen sie, dass du aufs Ganze gehst. Damit ersparst du dir langes Theater."
"Tust du das?"
"Tue ich was?"
"Aufs Ganze gehen?"
"Nur ein Arschloch lässt sich wegen eines Autos erschießen."
"Tust du das?"
"Tue ich was?"
"Aufs Ganze gehen?"
"Nur ein Arschloch lässt sich wegen eines Autos erschießen."
Kurios: Rund 30 Jahre vor "Paris, Texas" und "Repo Man" spielte Harry Dean Stanton nur Nebenrollen, und das Gleiche gilt für die nächsten 30 Jahre. Wobei er ab den 90er-Jahren regelmäßig mit Regisseur David Lynch zusammenarbeitet und in sechs seiner Werke auftritt: So in "Wild at Heart", "Twin Peaks", "Inland Empire" und "The straight story". Privat widmet sich Harry Dean Stanton auch der Musik, spielt Gitarre und macht mit seiner eigenen Band eine Mischung aus Country, Pop und mexikanischer Mariachi-Musik.
Außerdem liest Stanton viel östliche Philosophie, weshalb ihn seine Freunde auch Harry Zen Stanton nennen. Er nimmt sein Leben, wie es kommt, weil ohnehin keiner seinem Schicksal entgeht.
"Letztendlich ist das alles unwichtig. Das meine ich weder negativ noch zynisch, noch nihilistisch. Alles vergeht! Das Leben ist wie ein Traum, es dauert nur eine bestimmte Zeit, und die vergeht."
Harry Dean Stanton hinterlässt einen der schönsten Monologe der Filmgeschichte in "Paris, Texas". Als er endlich seine Frau findet und ihr - hinter einer Spiegelwand sitzend - seine Geschichte erzählt.
"And when he woke up, he was on fire. There were blue flames burning the sheets of his bed. He ran through the flames toward the only two people he loved. But they were gone. Then he ran."