Zum Tod von Gerhard Zwerenz

Vielschreiber und politischer Querkopf

Gerhard Zwerenz
Gerhard Zwerenz © dpa/picture-alliance/DB Hamberger
Von Ludger Fittkau · 13.07.2015
Aus der DDR musste Gerhard Zwerenz fliehen, blieb Sozialist und kritisierte als PDS-Bundestagsabgeordneter auch die Politik im vereinigten Deutschland scharf. Nun ist der Autor und Politiker kurz nach seinem 90. Geburtstag gestorben.
Es war noch tiefer Winter, als ich Gerhard Zwerenz vor ein paar Jahren in seinem Haus hoch oben im Taunus besuchte. Es war viel Schnee gefallen und der alte Mann und seine Frau klagten darüber, dass man an solchen Tagen kaum aus dem Haus käme, ohne Gefahr zu laufen, auszurutschen und zu stürzen. Ein mühseliger Alltag, abseits der großen Städte. Gleichzeitig Sinnbild für ein Leben, das privat und politisch immer wieder enorme Sturzgefahren mit sich brachte.
Bevor Gerhard Zwerenz zum politischen Dissidenten in gleich zwei deutschen Staaten wurde, war er schon Deserteur. 1944 – er war noch nicht einmal 20 Jahre alt – desertierte er von der Wehrmacht zur Roten Armee. Zwerenz beschrieb das später in seinem autobiografischen Bericht "Vergiss die Träume deiner Jugend nicht":
"Im August 44 desertierte ich zur Roten Armee. Die Weimarer Republik fehlte mir nun schon ganze elf Jahre, ich beschloss so etwas wie eine Republik abwechslungshalber einmal bei den Kommunisten zu suchen. Sie behielten mich mehr als vier Jahre in ihren Lagern und dann sagten sie, ich könnte heim. Ich könnte heimfahren nach Sachsen, wenn, ja wenn ich zur Volkspolizei mich verpflichtete. Ich zeigte wenig Lust aber sie sagten, ohne Unterschrift geht es auch nicht heim."
Studium bei Ernst Bloch
Zwerenz unterschrieb und wurde Volkspolizist. Doch schon Mitte der 50er-Jahre bekam die enge Bindung an die DDR- Staatsorgane tiefe Risse. Denn Gerhard Zwerenz begann, bei Ernst Bloch in Leipzig Philosophie zu studieren – Bloch war damals Kopf einer intellektuellen Gruppe, die der SED suspekt war, weil sie den Marxismus reformieren wollte:
"Nicht nur Bloch, sondern die Gesamtsituation von Leipzig, ich spreche deshalb von den goldenen Leipziger Jahren, weil viele Intellektuelle, die die KZ´s überstanden hatten oder aus dem Exil zurückgekommen sind, vom Politbüro der Partei nicht nach Berlin genommen wurden sondern nach Leipzig geschickt worden sind, so dass ich dort eben eine Mannschaft von links-intellektuellen Schriftstellern gefunden habe."
Eine Mannschaft aber, die bereits ab 1956 die DDR verlassen musste, weil sie mit ihren Reformideen als politisch unberechenbar galt. Auch Ernst Bloch und Gerhard Zwerenz flohen nach Westdeutschland.
In "Die Liebe der toten Männer" - einem seiner ersten Romane im Westen - setzte sich Zwerenz mit dem Arbeiteraufstand in der DDR vom 17. Juni 1953 auseinander. Neben politischen Texten, die sich auch immer wieder mit dem SED-Regime beschäftigen, bewegte Zwerenz in der 68er Zeit auch der Sex. Er versuchte sich mit erotischer Literatur und Pornografie.
1973 lieferte er die literarische Vorlage zu Rainer Werner Fassbinders umstrittenem Theaterstück "Der Müll, die Stadt und der Tod" – beide kassierten dafür Antisemitismusvorwürfe.
Viele der rund 100 Romane und Erzählbände des Gerhard Zwerenz sind sicherlich keine große Literatur – deshalb kann es kaum verwundern, dass er trotz seiner enormen Produktivität niemals einen wichtigen Literaturpreis bekam. In den 80er Jahren gehörte Gerhard Zwerenz zu einer Autorengruppe, die den Verband Deutscher Schriftsteller verließen, weil deren damaliger Vorsitzender Bernd Engelmann aus ihrer Sicht zu sehr mit dem damaligen polnischen Machthaber General Jaruselski paktiert hatte.
Zwerenz blieb jedoch Sozialist, nach der Wende wurde er als Mitglied einer offenen Liste der PDS Bundestagsabgeordneter. Die politische Entwicklung im vereinigten Deutschland malte er einige Jahre nach der Wiedervereinigung in düsteren Farben:
"Ich sehe eine große Gefahr in der gesellschaftlichen Entwicklung dieses vereinigten Landes. Und ich bin selbst oft schockiert, weil ich es mir sage, also so schlimm, wie du es dir jetzt ausmalst, kann es gar nicht sein, du fällst deinem alten linken Klischee zum Opfer."
Humanität auf Null
Doch es war die Zeit der rassistischen Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte in Hoyerswerda und anderswo. Gerhard Zwerenz appellierte damals an die Linke, ihre Streitereien zu beenden und sich der gesellschaftlichen Wirklichkeit zuzuwenden:
"Diese Parallele ist schief und gefährlich und deswegen ist sie nicht hundertprozentig gültig: Aber 1932 und noch Januar 33 haben sich die Linken gegenseitig bekämpft, sie haben nicht geahnt, was da bevorsteht. Ich sage jetzt nicht, es steht ein neuer Nazismus bevor. Ich sage jetzt nicht, uns steht ein neues 1933 bevor. Aber ich argwöhne, dass es Prozesse geben kann, die die Humanität, die uns als Sozialisten bewegen muss, dass sie diese Humanität absolut auf Null hinunter nivellieren."
Der Mahner für Humanität ist kurz nach seinem 90. Geburtstag gestorben. Er hinterlässt mehr als 100 Bücher der verschiedensten Genres. Eine seiner letzten Veröffentlichungen im Internet trägt übrigens den Titel: Merkel, Troika, Akropolis und Platon. Bis kurz vor seinem Tod ließ den Literaten also auch die Tagespolitik nicht los.
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