Zum Tod von David Berman

Ein Album wie ein Abschiedsbrief

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David Berman bei einem Auftritt seiner band The Silver Jews im Jahr 2006 in Athens, Georgia 2006.
David Berman bei einem Auftritt seiner band The Silver Jews im Jahr 2006 in Athens, Georgia 2006. © picture alliance/dpa/Chris McKay/Mediapunch
Dirk Schneider im Gespräch mit Martin Böttcher · 08.08.2019
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Kurz nach seinem ersten Album seit zehn Jahren ist der US-Musiker David Berman gestorben. Ein Rückblick auf seine Karriere als Dichter und Songwriter, der in all seiner Traurigkeit auch einigen Humor untergebracht hat.
Martin Böttcher: Vor vier Wochen erst war unter dem Künstlernamen "Purple Mountains" ein Soloalbum des US-Musikers David Berman erschienen – das erste musikalische Lebenszeichen Bermans seit über zehn Jahren. Heute erreicht uns die Nachricht von Bermans Tod, er wurde 52 Jahre alt, über die Todesumstände ist bis jetzt nichts bekannt. Mein Kollege Dirk Schneider hat das musikalische Schaffen von David Berman über die Jahre verfolgt, der vor allem als Kopf der Band Silver Jews bekannt wurde.
Wenn man im Netz über den Tod von David Berman liest, stößt man auf große Betroffenheit, einer größeren Öffentlichkeit ist der Mann allerdings eher kein Begriff. Wer war David Berman?
Dirk Schneider: David Berman war eine beeindruckende Erscheinung, fast zwei Meter groß, gutaussehend, äußerst charismatisch, und ein wirklich großer Künstler, wobei ich ihn als Dichter und Songtexter größer finde als als Musiker, aber vielleicht kann man das bei ihm auch nicht trennen, seine Texte haben uns ja meistens mit der Musik erreicht, auch wenn er einen Gedichtband und einen Band mit Cartoons veröffentlicht hat. Seine Musik hat er beim Chicagoer Label Drag City veröffentlicht, das ja viele Außenseiter versammelt wie Will Oldham alias Bonnie Prince Billy oder Bill Callahan, zuletzt hatte Berman in einer Wohnung über den Büroräumen des Labels gewohnt.

Absurder Humor

David Bermans Texte waren oft absurd, meistens sehr traurig, er hat viel geschrieben über Menschen am Rande der Gesellschaft, sein Blick auf die Welt berührt aber auch deswegen, weil er ganz alltägliche Dinge oder auch Dinge aus der Pop-Kultur mit ganz anderen Augen gesehen hat. Etwa wenn er das Leben mit einer Szene im Horrorfilm vergleicht: Man ist auf der Flucht vor den Monstern, aber das Auto will nicht anspringen, und trotzdem versucht man es immer und immer wieder.
Er hat aber auch sehr zärtlich und mit viel Humor getextet, zum Beispiel über die Elefanten, die sich für ihre Größe schämen, und mir fällst sonst niemand ein, der in einem äußerst traurigen Song einen Witz erzählt, wie in "The Frontier Index". Der Sohn möchte, dass sein Vater ihm ein Auto kauft, und der Vater sagt: Sohn, schneid dir erstmal die Haare. Der Sohn sagt: Aber Papa, Jesus hatte auch lange Haare, und der Vater sagt: Ja, aber Jesus ist auch immer zu Fuß gegangen.
Böttcher: David Berman wurde vor allem als Sänger der Band Silver Jews bekannt, deren letztes Album 2009 erschienen ist, diese Band hatte er mit Stephen Malkmus gestartet, der wiederum mit seiner Band Pavement sehr erfolgreich war. Wie sind die beiden zusammen gekommen?
Schneider: Sie haben sich beim Studium kennen gelernt, zusammen mit Bob Nastanovich, der auch später bei Pavement gespielt hat, aber die beiden waren nur am ersten Album beteiligt, das auch für die Silver Jews ein sehr fröhliches Album geworden ist. Über David Berman wird aus Studienzeiten erzählt, dass er seine ersten Songs Freunden auf den Anrufbeantworter gesungen hat.

Schlimmer als Drogen und Depression

Böttcher: David Berman war lange Zeit drogenabhängig, er litt an einer Depression, die er selbst als unheilbar bezeichnet hat, er hat aber einmal gesagt, schlimmer als Selbstmordgedanken und Crackabhängigkeit sei für ihn sein Vater, Richard Berman.
Schneider: Ja, Richard Berman ist ein sehr mächtiger Lobbyist, der für viele amerikanische Industriezweige arbeitet, die Waffen-, Öl-, Tabak- und Alkoholindustrie, ein lupenreiner Kapitalist, der berühmt-berüchtigt wurde im Kampf gegen Gewerkschaften und Umweltverbände und tatsächlich in Wirtschafts- und Politikkreisen unter dem Spitznamen Dr. Evil bekannt ist. David Berman hat nicht nur am Hass auf seinen Vater gelitten, sondern auch an Schuldgefühlen, er hat einmal darüber geklagt, dass er mit seiner Band, mit seiner Malerei und seinen Gedichten nicht einmal ein Millionstel dessen gutmachen könnte, was sein Vater mit seiner Arbeit an Schaden anrichte, und dass er auf der Suche nach einem wirksameren Mittel sei.
Er soll an einer Fernsehserie über seinen Vater gearbeitet haben, für die er mit dem Sender HBO in Kontakt war, wie weit das gediehen war, weiß ich nicht. Zur Veröffentlichung des Purple Mountains-Albums hat er berichtet, dass er in den letzten Jahren, in denen er keine Musik gemacht hat, viel gelesen und recherchiert habe um die Zusammenhänge von Wirtschaft und Politik zu verstehen. In einem Interview hat er berichtet, er habe seinen Vater gebeten, er möge seine Arbeit aufgeben, und ihm damit gedroht, sonst die Beziehung zu ihm abzubrechen.
Böttcher: "Darkness and Cold", "All My Happiness is gone", aber auch "I loved to be my mother's son" - wenn man sich die Songtitel von David Bermans letztem Album anschaut, das unter dem Namen Purple Mountains erschienen ist, könnte man leicht auf die Idee kommen, dieses Album hätte er bewusst als Vermächtnis angelegt.
Schneider: Ja, dafür spricht einiges. Auch wenn es uns nicht zusteht, über die Todesursache zu spekulieren, muss man natürlich sehen, dass der Gedanke an Selbstmord David Berman sehr vertraut war. Und auch einige Texte auf dem Purple-Mountains-Album, das Berman übrigens mit Mitgliedern der Band Woods aufgenommen hat, lassen sich wie ein Abschiedsbrief lesen. "The dead know what they are doing when they leave this world behind" heißt es in einem Song, also: Die Toten wissen, was sie tun, wenn sie diese Welt hinter sich lassen. Dieser Tod ist sehr traurig, und es ist ein kleiner Trost, dass David Berman so kurz vorher mit einem wirklich großartigen Album noch einmal die Öffentlichkeit gesucht – und gefunden – hat.

Der Musikjournalist Andreas Dewald berichtet in der Sendung "Fazit" von seinem ersten Zusammentreffen mit David Berman. Dabei habe er einen entwaffnend freundlichen, offenen und mitteilungsfreudigen Menschen getroffen. Das gesamte Gespräch können Sie hier hören:

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