Zum Tod des Magnum-Fotografen Marc Riboud

Auf einer Milchstraße voller Augenblicke

Der französische Fotograf Marc Riboud (1923 – 2016) hält in der Ausstellung "Die Europäer" mit Bildern seines Freundes und Vorbilds Henri Cartier-Bresson am 02.10.2009 in Erfurt in der Kunsthalle seine Kamera.
Der französische Fotograf Marc Riboud (1923 – 2016) in einer Ausstellung mit Bildern seines Freundes und Vorbilds Henri Cartier-Bresson © imago / photo2000
Von Jochen Stöckmann · 31.08.2016
Sein Vorbild Henri Cartier-Bresson nahm ihn in die Agentur Magnum auf. Lässig und virtuos porträtierte Marc Riboud das Pariser Leben und fing mit seiner Kamera die Welt formvollendet ein. Nun ist der französische Fotograf im Alter von 93 Jahren gestorben.
Marc Riboud: "Es gab nur wenig Licht, also habe ich die Blende weit geöffnet. Kaum Tiefenschärfe – der Fokus lag haargenau auf Blume, Bajonett und dem Gesicht der Frau. Aber nicht sie hatte Angst, sondern der Soldat. Und das war außergewöhnlich."
Bei einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg entstand 1967 Marc Ribouds bekannte Schwarzweiß-Aufnahme: "Das Mädchen mit der Blume".
Die Fotografie "Das Mädchen mit der Blume" von Marc Riboud wird für eine Ausstellung am Zaun des Jardin du Luxembourg in Paris gereinigt.
Die Fotografie "Das Mädchen mit der Blume" von Marc Riboud wird für eine Ausstellung am Zaun des Jardin du Luxembourg in Paris gereinigt.© AFP Photo / Damien Meyer
Der Titel klingt pathetisch. Das Foto aber konnte nur deshalb zum einprägsamen Sinn-Bild werden, weil Riboud, der studierte Ingenieur, keine vorgefertigte Bildmetapher im Kopf hatte. Weil er sich als ehemaliger Resistance-Kämpfer nicht vom blanken Bajonett des Nationalgardisten ablenken ließ und seinen Blick ganz auf die Szene, die Realität vor der Kamera konzentrierte:
"Ich glaube nicht an Talent, aber an eine Vorliebe für die Geometrie: Im Augenblick die räumlichen Dimensionen erkennen. Wenn ich mich bewege, bewegt sich auch das Bild. Und so finde ich im Raum, in der Realität eine Form, die jedem Auge gefällt."

Henri Cartier-Bresson als Vorbild

Diese spielerische, fast lässige Virtuosität hat der Reporter früh erkennen lassen. 1953, als ihn sein Vorbild Henri Cartier-Bresson in der Agentur Magnum aufgenommen hatte, lieferte Riboud einen Bestseller ab, geradezu die Verkörperung des damaligen Pariser Lebens: Ein Malergeselle, der im Overall lächelnd über die Eisenstreben des Eiffelturms tänzelt. Auch da hatte der Fotograf sich nichts ausgedacht, im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen, die in der Nachfolge von Cartier-Bresson wortreich ihre jeweilige Bild-Ästhetik erklärten oder gleich ganz in die Kunst abwanderten:
"Es sind sehr viele Stilrichtungen entstanden. Und weil ich finde, dass man mit der Zeit gehen muss, bin ich froh, dass sich in der Fotografie so viel bewegt. Aber am Ende ist das Auge zum Schauen da, nicht zum Denken."
Eine Besucherin steht während einer Ausstellung am 25.5.2012 in Guangzhou in China neben einem Foto des französischen Fotografen Marc Riboud.
Ein Maler tänzelt auf dem Eiffelturm: Eine Ausstellungsbesucherin neben neben dem Foto von Marc Riboud.© imago / Xinhua

Darstellung des Kriegs ohne Voyeurismus

Seine unverstellte Neugier, die kultivierte Augenlust bewahrte Riboud vorm bloßen Abhaken von Politik- oder Prominententerminen. So wurde er zu einem Gesellschaftsporträtisten, dem es um den Alltag, das Leben in all seinen Facetten ging oder auch um die Darstellung des Kriegs ohne voyeuristische Bilder der Gewalt. Etwa in Algerien, während des Kampfes um die Unabhängigkeit:
"Die großen Führer der FLN luden mich ein, mit ihnen zu kommen, Tag und Nacht. Keine Konkurrenz, kein anderer Journalist. Und eine Art Langsamkeit, die die Freiheit des Blicks ermöglicht."
Damit hat Marc Riboud sich, den Zeitungslesern und Betrachtern seiner zahlreichen Bildbände Indien, Ghana und immer wieder China, im Grunde also die ganze Welt, nein: Nicht erklärt, sondern ebenso sachlich wie formvollendet vor Augen geführt. Elegant und erhellend zugleich:
"Die Entdeckung eines schönen Gesichts, einer schönen Landschaft, wunderbar. In einem Augenblick, der alle vorangegangenen Momente in sich aufhebt. So wird die Zeit zur Milchstraße voller Augenblicke."
Mehr zum Thema