Zum Tod des Komponisten R. Murray Schafer

Pionier der Klangforschung

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Eine Partiturseite zu "Apocalypsis" des kanadischen Komponisten und Klangforschers Raymond Murray Schafer
Ein origineller Denker: der kanadische Komponist und Klangforscher Raymond Murray Schafer. Hier eine Partiturseite zu seinem Werk "Apocalypsis" © imago images / ZUMA press
Nathalie Singer im Gespräch mit Britta Bürger · 16.08.2021
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Vogelgezwitscher, Autolärm, Schritte im Schnee: Für den Komponisten R. Murray Schafer bestand die Umwelt aus Klanglandschaften. Er erfand Übungen, um unser Hören zu schärfen, weiß die Musikerin Nathalie Singer. Jetzt ist er mit 88 Jahren gestorben.
Der kanadische Komponist und Klangforscher Raymond Murray Schafer ist tot. Er gehörte zu den bekanntesten Komponisten der Gegenwart seines Landes und gilt als Pionier der Klangforschung.
Er habe den Begriff der "Soundscapes" erfunden und beschreibe damit die akustische Umgebung. Jahrzehntelang habe er diese erforscht, sagt Nathalie Singer. Sie ist Professorin für experimentelles Radio an der Bauhaus-Universität in Weimar.

Akustische Umwelt verstehen und gestalten

Damit wir unsere Umwelt wahrnehmen und besser gestalten könnten, müssten wir sie zunächst verstehen und ihr zunächst einmal zuhören: "Soundscape beschreibt die Fülle und die Menge aller Klänge, die in einer bestimmten Umgebung zu hören sind", so Singer. Schafer habe die akustische Umwelt in "Low-Fi"- und "Hi-Fi"-Qualitäten eingeteilt und seine Erkenntnisse auch in seinem Buch "Die Ordnung der Klänge" veröffentlicht:
"Low-Fi wäre alles, was das Postindustrielle ist: Von der Autobahn und von Geräuschen übertönte Klanglandschaften, die keine Tiefenschärfe mehr erlauben, in der eine Überfüllung von Klängen dazu führt, dass die Klänge sich maskieren." Mit "Hi-Fi" beschreibe Schafer natürliche Klanglandschaften, in der etwa Vögel im Hintergrund vor einem davor fließenden Fluss noch unterschieden werden könnten. Hier könne "der Mensch sich besser zurechtfinden."

Komponist und Klangforscher

Als Komponist hat Schafer mehr als 120 Werke geschaffen, darunter auch Opern, Chor- und Orchesterwerke. Doch sein kompositorisches Schaffen habe wenig mit seiner Forschung zur akustischen Ökologie zu tun.
Nach seiner Zeit als Musikprofessor an der Simon-Fraser-Universität in Vancouver habe Schafer gemeinsam mit anderen Forschern wie Hildegard Westerkamp oder Barry Truax das World Soundscape Project gegründet, so Singer.
"Die haben wirklich Forschung betrieben, sind nach Europa gegangen, haben aber natürlich in Kanada, wo sie ja alle waren, die Soundscapes analysiert, aufgezeichnet und Klänge und Sounds katalogisiert und kartografiert."

Hören um zu verstehen

Für die Entwicklung bewussten Hörens hat Schafer auch ein hörpädagogisches Konzept entwickelt, das "Ear-Cleaning: Übungen, die dabei helfen, den Klang im Raum besser wahrzunehmen. Dazu gehöre auch die Nachahmung bestimmter Klänge mit der Stimme – beispielsweise das Nachahmen einer Schaufel im Schnee.
"Es wimmelt vor Übungen, mit unterschiedlichsten Anleitungen zum Hören: Vor allem Audio-Walks, wo man in der Natur blind Klänge und die Bewegungen von Klängen wahrnehmen soll."

Gestalter ohne Hörefahrung

Den Gestaltern unserer Umwelt – wie etwa Architekten und Produktdesignern – mangele es an diesem Wissen als Basis, sagt Singer. Schafers Erkenntnisse könnten auch als Teil von deren Ausbildung und weitergeführt werden.
(mle)

"Ein sehr poetisches Werk" [Audio]
Wider alle Konvention: Raymond Murray Schafers "Poesie des Alltagsklangs" sei in Deutschland, anders als auf dem amerikanischen Kontinent, stets unterschätzt worden. So das Urteil von Sabine Breitsameter, Professorin für Sound und Medienkultur an der Hochschule Darmstadt. Die Klangästhetik des Alltags interessierte Murray nicht nur als Forscher, auch in seinen Kompositionen drückt sie sich aus – zum Beispiel im Streichquartett "Waves" von 1976.

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