Zum Tod des Architekten Ricardo Bofill

Sozialist und Kommerzialisierer der Postmoderne

05:51 Minuten
Schwarz-Weiß-Portrait von Ricardo Bofill, vermutlich aus den 1980er Jahren: Ein Mann mit dunklen, zurückgegelten Haaren schaut in die Kamera.
Ricardo Bofill, Architekt, ist im Alter von 82 Jahren gestorben. © Getty Images / Cover / Paco Elvira
Nikolaus Bernau im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 14.01.2022
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Der katalanische Stararchitekt Ricardo Bofill ist im Alter von 82 Jahren gestorben. Er gilt als Vertreter der Postmoderne und als Erneuerer des sozialen Wohnungsbaus. Doch gegen Ende seines Lebens war er vor allem: ein kapitalistischer Architekt.
„Ricardo Bofill war wirklich ein Mann des ganz großen Zugriffs“, sagt Nikolaus Bernau. „Eigentlich all seine Projekte, spätestens seitdem er in den 70er-Jahren nach Paris gegangen war, haben eine Größe, die einem den Atem stocken lässt.“
Mehr als 1000 Projekte in mehr als 30 Ländern hat Bofill entworfen: vom sozialen Wohnungsbau bis zu glitzernden Wolkenkratzern und von ganzen Wohnblöcken über Firmensitze bis hin zu Luxushotels. Nun ist er im Alter von 82 Jahren gestorben.

Sozialwohnungen, die Größe ausstrahlen sollen

Angefangen hat der katalanische Sozialist mit dem Bau von gigantischen Sozialwohnungsanlagen mit davor gesetzten gläsernen Säulen und einem riesigen Gebälk. „Das alles soll Größe ausstrahlen“, so Bernau.
Aber nicht nur das. Es ging ihm auch darum, dem Massenwohnungsbau eine kulturelle Bedeutung und höhere Symbolik zu geben, wie Bernau berichtet: „Da spielte Bofill eine zentrale Rolle“, auch wenn man aus heutiger Sicht das Projekt in vielen Bereichen als vollkommen irrwitzig und Nahe am Kitsch bezeichnen müsse. „Aber damals war das ein großer Versuch, aus der Sackgasse herauszukommen, die die Plattenbauten gebildet haben.“
Vor dunkelblauem Himmel erhebt sich das komplett in rot gehaltene verschachtelte Gebäude 'Walden 7'. Viele der Fenster haben kleine, rundliche Balkons nach außen, was den verschachtelten Eindruck verstärkt.
Appartementhäuser "Walden 7" von Ricardo Bofill in Barcelona.© picture-allianc / dpa / EMPICS Sport
Eines seiner Frühwerke war die Wohnungsskulptur "Walden 7", benannt nach der gleichnamigen Erzählung des US-Schriftstellers Henry David Thoreau. Es ist ein phänomenales Gebäude: Dabei handelt es sich um „übereinandergestapelte Wohnungen, ein Gebirge aus rotem Stein und rotem Beton mit tollen Grundrissen, die ineinander verschränkt sehr moderne und interessante, unterschiedliche Variationen davon bieten, wie man wohnen kann. Davon kann man bis heute lernen."

Seine Entwürfe gefallen dem US-Großbürgertum

Interessant ist seine Entwicklung in den USA, wie Bernau berichtet. Der sozialistische Sozialwohnungsreformer wurde zum größten Kommerzialisierer der Postmoderne: Seine neohistoristischen Formen, seine sehr großen Bauten, achsensymmetrischen Anlagen waren all das, was die US-amerikanische großbürgerliche Kundschaft haben wollte:
„Man wollte groß und repräsentativ bauen und natürlich gleichzeitig hocheffiziente Bürogrundrisse und Vorhangfassaden haben. Das alles hat er kombiniert und durchaus faszinierend gemacht. Diese Projekte sind spannend und interessant zu sehen, auch wenn man sich manchmal vor der Größe gruselt.“ 
Die vielleicht größte Tragik von Bofill sieht Bernau darin, dass er als sozialdemokratischer oder sozialistischer Wohnungsbaureformer angefangen habe und dann ein kapitalistischer Architekt geworden sei. Doch „das macht seine Bauten, vor allem aus dem Frühwerk und gerade 'Walden 7' nicht weniger interessant. Bofill ist ein Architekt, an den man noch sehr oft denken wird; sei es nur deswegen, weil die Sachen völlig unübersehbar sind.“
(ckr)

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