Zum Syrien-Einmarsch der Türkei

Kriegsgeschrei aus Deutschland

Mehrere türkische Panzer fahren über eine staubige Straße
Türkische Panzer in Syrien © AFP
Von Memet Kilic · 29.01.2018
Der Einmarsch der türkischen Armee in Syrien beeinflusst das Zusammenleben der türkeistämmigen Menschen in Deutschland. In Foren wird ein extrem kriegerischer Ton angeschlagen. Das wird durch die laxe Haltung der Bundesregierung gegenüber der Türkei befeuert, meint Anwalt Memet Kilic.
"Mein Allah, lass unsere glorreiche Armee siegreich sein! Gönne dieser ruhmreichen Armee die Eroberung" In diesen Tagen geht, auch wenn es nicht alle hören können, wütendes Kriegsgeschrei von deutschem Boden aus. Erdogans Anhänger, die sich täglich dreister und furchtloser präsentieren, feiern über die sozialen Medien den Einmarsch der türkischen Armee in Syrien. Der Religionsattaché der türkischen Botschaft ruft über seine Facebook-Seite zum Gebet für den "Sieg in Syrien" auf.

Kriegsgegner werden verfolgt

In DITIB-Moscheen in Deutschland rezitieren Imame "Eroberungs-Suren" des Koran. Erdogans Troll-Armee macht die Deutsch-Türken, die sich gegen diesen Krieg positionieren, namentlich zur Zielscheibe. Diese werden als Vaterlandsverräter und Hurensöhne beschimpft.
Deutschland hat nach dem zweiten Weltkrieg sich und der Welt ein Versprechen gegeben: "Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen." Mit diesem Satz, der quasi zur Staatsräson wurde, wollte man festhalten, dass aus den schrecklichen Erfahrungen der beiden Weltkriege für Deutschland eine besondere politische Verantwortung für den Frieden erwächst.

Symbolische Erfolge der Islamverbände

Gibt es ein Parallel-Deutschland in Deutschland? Als Islamisten die französische Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" gestürmt, Journalistinnen und Journalisten ermordeten, haben die Islamverbände zu einer Demonstration vor dem Brandenburger Tor aufgerufen.
Deutsche, Medienvertreter und Sicherheitskräfte waren damals zwar deutlich mehr an der Zahl als Moslems. Dennoch hatten die Islamverbände damit etwas symbolisch Wichtiges vollbracht: Sie standen Schulter an Schulter mit den höchsten politischen Vertretern der Bundesrepublik Deutschland und rezitierten den Koran. Die Kosten der Veranstaltung haben sie der SPD und CDU überlassen. Insofern war dies ziemlich lehrreich. Wer die Kapelle bestellt, muss nicht die Kosten übernehmen, kann die Musik jedoch trotzdem bestimmen.

Erdogans Anhänger werden immer selbstbewusster

Als vor einigen Wochen zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Brandenburger Tor der Davidstern verbrannt wurde, waren wir auch sehr irritiert. Mindestens ein Repräsentant der Islamverbände, der bei der "Charlie Hebdo"-Demonstration auf der Bühne mit dem Außenminister Gabriel Arm in Arm stand, war auch auf der Demo, auf der der Davidstern verbrannt wurde. Er hat dies über seine Facebook-Seite stolz mit Bild präsentiert.
Die Desintegration der Erdogan Anhänger schreitet rasant und von Hochmut begleitet voran. Woher kommt dieses große Selbstbewusstsein? Erdogans Anhänger haben bemerkt, dass Erdogan alle Deutschen als Nazis beschimpfen und wenige Wochen später mit der deutschen Regierung beste Beziehungen pflegen kann. Erdogan kann mit einfachen Waffengeschäften die Bundesregierung an der Nase herumführen.
Daher vergöttern sie diesen "Führer" und beschimpfen die türkeistämmigen Menschen, die keine Erdogan-Anhänger sind als "Haustürken". Integrierte türkeistämmige Immigranten werden hierzulande zunehmend eingeschüchtert. Sie haben bemerkt, dass die Spione von Erdogan, die unter anderem Attentate in Deutschland geplant haben, auf wundersame Weise immer wieder frei kamen.
Diese labile Haltung der Bundesregierung wird leider dazu beitragen, dass sich die Auseinandersetzungen der türkeistämmigen Immigranten in Deutschland verschärfen.
Waffengeschäfte dürfen nicht die außenpolitischen Werte Deutschlands bestimmen. Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen und auch kein Kriegsgeschrei.

Memet Kilic, Bündnis 90/Die Grünen, 51 Jahre alt, kam 1990 nach Deutschland und arbeitet als Jurist in Heidelberg. Er ist Mitglied der Anwaltskammern Ankara und Karlsruhe. Zuvor war er Bundestagsabgeordneter – mit Sitz im Innenausschusses sowie Integrationspolitischer Sprecher der Grünen Bundestagsfraktion (2009-2013), ferner Mitglied des Rundfunkrates des Südwestrundfunks (1998-2008) sowie des "Beirates für Fragen der Inneren Führung der Bundeswehr" (2002-2010).

© Quelle: privat
Mehr zum Thema