Zum Raum wird hier der Klang
Radikaler Einzelgänger und Klassiker zugleich: Iannis Xenakis gehört zu den markantesten Persönlichkeiten der Musik nach 1945. Ein Porträtkonzert der Reihe "musica nova" im Leipziger Gewandhaus zeigt Xenakis im Spiegel seiner Zeitgenossen.
Wenn Iannis Xenakis sowie die beiden anderen Komponisten dieses Programms – Morton Feldman und Edgard Varèse – wie selbstverständlich zu den großen Komponisten des 20. Jahrhunderts gerechnet werden, so werden dabei leicht die Umstände vergessen, unter denen diese drei Meister gearbeitet haben. Zunächst Varèse, der älteste der drei: Sein Schaffen ist von Brüchen und Verlusten gekennzeichnet, sein Leben nicht minder von Brüchen und Depressionen. Gerade mal ein Dutzend Werke ist von Varèse überliefert, sie passen auf zwei CDs. Der amerikanische Komponist französisch-italienischer Herkunft musste sich vor allem als Dirigent durchschlagen, wobei er keineswegs eine so glamouröse Doppelkarriere durchlief wie sein Bewunderer Pierre Boulez.
Morton Feldman wiederum arbeitete die meiste Zeit seines kurzen Lebens als Schneider, ehe er durch eine (nach Varèse benannte) Professur in Buffalo zum hauptberuflichen Musiker wurde. Und Iannis Xenakis schließlich – schwer kriegsverwundet, als zum Tode verurteilter Partisan der Hinrichtung nur knapp entflohen – war eigentlich Architekt. Als Assistent von Le Corbusier entwarf er jenen Pavillon für die Brüsseler Weltausstellung 1958, für den wiederum Edgard Varèse ein elektronisches Pionierwerk komponierte.
All diese Verwerfungen und Umwege spiegeln sich auch in der musikalischen Ästhetik der Komponisten wider: Varèse beschäftigte sich intensiv mit den philosphischen und mathematischen Grundlagen der Musik – auf der Suche nach einer Skulptur des Klangs, einer "Verkörperlichung der Intelligenz, die in den Klängen liegt" (so Varèses Motto, das auf den polnischen Philosophen Józef Maria Hoëné-Wroński zurückgeht). Ganz im Gegensatz dazu die spröde Feinheit der Klangtexturen Feldmans: Das Handwerk des Schneiders ist aus diesen Partituren ebenso wenig zu wegzudenken wie der von Feldman selbst benannte Einfluss textiler Kunst auf seine Musik. Xenakis wiederum schrieb sein erstes großes Werk in den 1950er Jahren auf Basis jener mathematisch-geometrischen Grundstruktur, nach der er auch den Brüsseler Pavillon konstruiert hatte.
Die mathematischen Voraussetzungen von Xenakis’ Musik sind oft als bizarr und kunstfremd kritisiert worden – allerdings erstaunt, ja: bestürzt es einen dann doch, dass ausgerechnet diese Musik so kraftvoll und individuell klingt. Zwischen atavistischen Ritualen und akademischen Rechenaufgaben ist offensichtlich genug Platz für Musik von zeitloser Größe.
Gewandhaus Leipzig, Mendelssohn-Saal
Aufzeichnung vom 28.11.2012
Edgard Varèse
"Octandre" für sieben Blasinstrumente und Kontrabass
Iannis Xenakis
"Rebonds" für Schlagzeug solo
"Epéi" für fünf Blasinstrumente und Kontrabass
ca. 20:50 Uhr Konzertpause mit Nachrichten
Iannis Xenakis
"Dikhthas" für Violine und Klavier
Morton Feldman
"De Kooning" für fünf Instrumente
Iannis Xenakis
"Plektó" für sechs Instrumente
Stefan Stopora, Schlagzeug
Andreas Seidel, Violine
Ensemble Avantgarde
Leitung: Lin Liao
Klavier und Moderation: Steffen Schleiermacher
Morton Feldman wiederum arbeitete die meiste Zeit seines kurzen Lebens als Schneider, ehe er durch eine (nach Varèse benannte) Professur in Buffalo zum hauptberuflichen Musiker wurde. Und Iannis Xenakis schließlich – schwer kriegsverwundet, als zum Tode verurteilter Partisan der Hinrichtung nur knapp entflohen – war eigentlich Architekt. Als Assistent von Le Corbusier entwarf er jenen Pavillon für die Brüsseler Weltausstellung 1958, für den wiederum Edgard Varèse ein elektronisches Pionierwerk komponierte.
All diese Verwerfungen und Umwege spiegeln sich auch in der musikalischen Ästhetik der Komponisten wider: Varèse beschäftigte sich intensiv mit den philosphischen und mathematischen Grundlagen der Musik – auf der Suche nach einer Skulptur des Klangs, einer "Verkörperlichung der Intelligenz, die in den Klängen liegt" (so Varèses Motto, das auf den polnischen Philosophen Józef Maria Hoëné-Wroński zurückgeht). Ganz im Gegensatz dazu die spröde Feinheit der Klangtexturen Feldmans: Das Handwerk des Schneiders ist aus diesen Partituren ebenso wenig zu wegzudenken wie der von Feldman selbst benannte Einfluss textiler Kunst auf seine Musik. Xenakis wiederum schrieb sein erstes großes Werk in den 1950er Jahren auf Basis jener mathematisch-geometrischen Grundstruktur, nach der er auch den Brüsseler Pavillon konstruiert hatte.
Die mathematischen Voraussetzungen von Xenakis’ Musik sind oft als bizarr und kunstfremd kritisiert worden – allerdings erstaunt, ja: bestürzt es einen dann doch, dass ausgerechnet diese Musik so kraftvoll und individuell klingt. Zwischen atavistischen Ritualen und akademischen Rechenaufgaben ist offensichtlich genug Platz für Musik von zeitloser Größe.
Gewandhaus Leipzig, Mendelssohn-Saal
Aufzeichnung vom 28.11.2012
Edgard Varèse
"Octandre" für sieben Blasinstrumente und Kontrabass
Iannis Xenakis
"Rebonds" für Schlagzeug solo
"Epéi" für fünf Blasinstrumente und Kontrabass
ca. 20:50 Uhr Konzertpause mit Nachrichten
Iannis Xenakis
"Dikhthas" für Violine und Klavier
Morton Feldman
"De Kooning" für fünf Instrumente
Iannis Xenakis
"Plektó" für sechs Instrumente
Stefan Stopora, Schlagzeug
Andreas Seidel, Violine
Ensemble Avantgarde
Leitung: Lin Liao
Klavier und Moderation: Steffen Schleiermacher