Zum Jubiläum

Viel zu viel Theater um den Mauerfall

04:22 Minuten
Ein Mann "versinkt" im Bühnenboden.
Zum 30. Mauerfall-Jubiläum inszeniert Amir Reza Koohestani Heiner Müllers "Philoktet" am Deutschen Theater in Berlin. © Amo Declair / Deutsches Theater
Ein Kommentar von Peter Claus · 09.11.2019
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An den ostdeutschen Bühnen wird das Mauerfall-Jubiläum umfangreich begangen. Im Westen gibt es nur wenige entsprechende Inszenierungen. Abgesehen von diesem Ungleichgewicht: Hat das Theater heute wirklich etwas Wichtiges zur Wende zu sagen?
Wo mal DDR war, gibt es eine Menge Theater zum Mauerfall-Jubiläum: Am Deutschen Theater in Berlin, da, wo mal der Osten war, gibt es gleich einen Themenschwerpunkt, mit zum Beispiel Heiner Müllers "Philoktet" und "Die Umsiedlerin" und einer Bearbeitung des DDR-Kultromans "Franziska Linkerhand"; an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, auch Tief im Osten der Stadt, eine aufwändige Collage nach Heiner Müllers beiden "Germania"-Stücken.
Auch an vielen, vielen anderen Theater in den – noch immer – neuen Bundesländern wird das Jubiläum reflektiert: mit Lesungen von Christa-Wolf-Texten in Leipzig etwa, einer Anna-Seghers-Adaption in Dresden, in Rostock und Magdeburg mit Uraufführungen, mit Novitäten an den Theatern Altenburg Gera und an weiteren Bühnen locken x Foren, Expertenrunden, Diskussionen, dort, wo mal der, wie er sich nannte, "erste deutsche Arbeiter und Bauernstaat auf deutschem Boden" war.

Als sei der Eiserne Vorhang noch nicht hochgegangen

An den Theatern im einstigen Westen hält sich das Interesse an einer Auseinandersetzung mit den Ereignissen des Jahres 1989 und deren Folgen in engen Grenzen. Ein DDR-Liederabend in Hamburg fällt da schon auf, auch eine theatralische Erinnerung an den in den Osten verliebten westdeutschen Schriftsteller Ronald M. Schernikau in Düsseldorf, Christa Wolfs "Kassandra" in Braunschweig, ein Lese- und Gesprächsabend am Theater Baden-Baden.
Wer sucht, findet auch im Westen. Doch ist längeres Suchen angesagt. Es mutet ein wenig so an, als sei der Eiserne Vorhang zwischen Deutschland Ost und Deutschland West noch längst nicht wirklich hoch gegangen.
Interesselosigkeit? Ignoranz? Oder vielleicht doch die Erkenntnis, dass die Schauspielkunst nicht immer und überall und erst recht nicht zu allem was wirklich Wichtiges zu sagen hat? Da werden jetzt viele einwerfen, dass es doch gerade die Schauspielbühnen in der DDR waren, von denen im Herbst ’89 entscheidende Impulse für die Veränderungen im grauen Land ausgegangen sind. Ja – vor allem mit Resolutionen und Reformvorschlägen. Doch mit Kunst? Kaum.

Es muss kein vordergründiger politischer Diskurs sein

Das, was wir damals als Zuschauer gehört und gesehen haben, in den Stücken von Müller, von Braun beispielsweise, das waren meist Projektionen. Wir haben gesehen und gehört, was wir sehen und hören wollten. Da war es egal, ob ein Gegenwartsstück oder ein Klassiker oder gar Antikes geboten wurde. Jede gute Shakespeare-Inszenierung hat von uns gehandelt.
Und das ist doch wohl heute nicht anders. Es muss nicht der vordergründige politische Diskurs sein. Hamlet & Co., wenn gut, stoßen uns direkt auf unsere Probleme, auf das Gestern, das Heute, das Morgen. Schade nur, dass man nach guten Shakespeare-Deutungen noch länger suchen muss als derzeit nach Theaterabenden, die sich direkt mit dem Thema 30 Jahre Mauerfall befassen.
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