Zum Jahrestag des Attentats auf Hitler

Was hat der 20. Juli 1944 mit der europäischen Idee zu tun?

Der Herrensitz Gut Kreisau in Schlesien, Polen, aufgenommen 1985. Dort wurde der deutsche Widerstandskämpfer Helmuth James Graf von Moltke am 11.03.1907 geboren. Moltke wurde am 23.01.1945 von den Nazis in Plötzensee in Berlin hingerichtet.
Der Herrensitz Gut Kreisau in Schlesien, Polen, aufgenommen 1985. Dort wurde der deutsche Widerstandskämpfer Helmuth James Graf von Moltke am 11.03.1907 geboren. Moltke wurde am 23.01.1945 von den Nazis in Plötzensee in Berlin hingerichtet. © picture-alliance/ dpa / DB
Andres Veiel im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 20.07.2018
Heute vor 74 Jahren scheiterte das Attentat von Stauffenberg auf Adolf Hitler. Was bedeuten die Widerständler des 20. Juli für unser Selbstverständnis heute? Der Regisseur Andres Veiel sieht in einigen von ihnen Visionäre eines geeinten Europas.
Die Attentäter des 20. Juli 1944 als frühe Vertreter der Idee eines geeinten Europas? In diese Richtung argumentiert jedenfalls ein Offener Brief von 400 Nachfahren der Widerständler um Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der am Freitag im Berliner "Tagesspiegel" abgedruckt wurde und in dem es heißt:
"Vom Kreisauer Kreis und vielen nach dem 20. Juli zum Tode verurteilten Widerstandskämpfern wissen wir, dass es den Verschwörern wichtig war, ein geeintes Europa der Völker zu errichten, in dem der Mensch und nicht die Nation im Vordergrund steht, in dem das Gemeinsame höher gewichtet wird als das Trennende. Sie waren mit ihrer Vorstellung nicht allein. Auch andere Widerstandsgruppen wie die Weiße Rose träumten von einem vereinten Europa. Denn nur in einem geeinten Europa kann es Frieden geben." (Aus dem Offenen Brief der "Enkel" der Widerständler des 20. Juli, abgedruckt im Berliner Tagesspiegel vom Freitag.)

Europa als friedensstiftendes Element

Der Film- und Theaterregisseur Andres Veiel begrüßt diesen Vorstoß: Gerade jetzt sei es notwendig, darauf hinzuweisen, dass der europäische Gedanke nicht nur heute relevant sei, sondern auch damals schon gedacht worden sei, sagte er im Deutschlandfunk Kultur.
Zwar nur von einigen wenigen, wie Veiel einräumt, aber: "Im Kreisauer Kreis gab es James von Moltke, der im Ausland studiert hat und der sehr früh - ungefähr 42, 43 - schon sehr klar formuliert hat, dass eine Friedensordnung gebraucht wird, die den Nationalismus überwindet, die von einem vereinten Europa als friedensstiftendem Element erstmal träumt - natürlich." Er war glaube ich da eher isoliert. Also man muss glaube ich sagen, dass er einer der Wenigen war, die in dieser Dimension gedacht haben im Kreisauer Kreis."
Filmregisseur Andres Veiel
Filmregisseur Andres Veiel© Foto: Carsten Kampf
Andere dagegen hätten eher in der Ordnung des 19. Jahrhunderts gedacht und von einer friedlichen Koexistenz von Nationalstaaten. "Woher sollte damals die europäische Idee schon so groß nach vorne getragen werden? Aber fairerweise muss man sagen: Auch um Moltke herum – also es gab einzelne, die das erkannt haben, die vor allem gesagt haben: welche Chance haben wir, wenn dieser Aufstand gelingt? Was ist diese Nachkriegsordnung?"

Europa ist mehr als nur Arbeitnehmerfreizügigkeit

Entscheidend sei für ihn jetzt, dass Menschen diesen Impuls aufgriffen und dieser Tendenz zur Rückkehr zum Nationalstaat den europäischen Gedanken entgegensetzten:
"Aber er muss eben mit Leben gefüllt werden, das ist glaube ich das Entscheidende, und das geht eben nicht nur mit Handelsabkommen. Das geht nicht nur mit einem Europa, wo wir sagen, wir wollen Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Es braucht einen kulturellen Impuls", sagt Veiel. "Ich bin überzeugter Europäer aus diesem kulturellen Impuls und auch aufgrund eines kulturellen Erbes, was immer noch relevant ist und spannend: die Aufklärung."
(uko)

Die gesamte Sendung mit Andres Veiel können Sie hier nachhören: Audio Player

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