Zum Geburtstag des Ökonomen Walter Eucken

Die Wirtschaft soll funktionieren und menschenwürdig sein

Ein Börsenmakler an der Wall Street in New York legt das Gesicht angesichts hoher Kursverluste in die Hände.
Für mehr Regeln in der Wirtschaft plädiert der Ökonom Nils Golschmidt ganz in der Tradition der ordoliberalen Schule mit Blick auf die Finanzkrise. © Justin Lane/dpa
Nils Goldschmidt im Gespräch mit Nana Brink · 13.01.2016
Der Ökonom Walter Eucken wurde vor 125 Jahren geboren und begründete die Freiburger Schule des Ordoliberalismus. Der Wirtschaftswissenschaftler Nils Goldschmidt hält die Botschaft des Vordenkers der sozialen Marktwirtschaft für hochaktuell.
"Aus meiner Sicht hat die soziale Marktwirtschaft, hat der Ordoliberalismus, eine Botschaft, die ganz relevant ist für heute", sagte der Wirtschaftswissenschaftler Nils Goldschmidt im Deutschlandradio Kultur. "Eucken sagt, es geht darum, dass wir eine funktionsfähige und menschenwürdige Ordnung haben." Die Wirtschaft müsse sich am Menschen ausrichten und ihm ermöglichen, ein gutes Leben zu führen. Diese Botschaft sei wichtig, um aus der Falle eines "kalten Kapitalismus und einem sozialen Anspruch" herauszukommen und beides zu verknüpfen.
Defizite in der Finanzkrise
Die Finanzkrise habe gezeigt, dass dieses Denken in Ordnungsprinzipien zu wenig umgesetzt worden sei, kritisierte Goldschmidt. Gleichzeitig habe sie gezeigt, dass es wichtig sei, die Botschaft der Ordoliberalen wieder ernst zu nehmen. Der Umgang mit Griechenland habe gezeigt, wie wenig sich die Politik an Prinzipien ausrichte und gleichzeitig menschenwürdig sei. "Das politische System ist sogar das einzige System, dass der Wirtschaft gegenüber überhaupt Regeln setzen kann", sagte der Ökonom. Die Frage sei, wie man zu klugen Regeln komme.
Festakt in Freiburg
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) würdigt Walter Eucken (1891-1950) bei einem Festakt des Walter Eucken Instituts in Freiburg und hält die Festrede. Am 17. Januar wäre er 125 Jahre alt geworden. Vor zwei Jahren hatte bereits Bundespräsident Joachim Gauck in Freiburg Eucken und dessen Verdienste gewürdigt.

Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Das Wirtschaftswunder made in Germany, nicht nur das der 50er-Jahre, auch die Überwindung der Krise von 2007/2008, der wird in der Welt oft bewundert. Und sie hat viel zu tun mit dem System der Marktwirtschaft, der sozialen Marktwirtschaft, um genau zu sein, und da spielt der Ordoliberalismus eine große Rolle. Dessen Begründer, Walter Eucken, ist vor 125 Jahren geboren, und er ist so bedeutend, dass die Bundeskanzlerin heute Abend im Freiburger Konzerthaus eine Rede halten wird, um diesen Vordenker der sozialen Marktwirtschaft zu würdigen. Und vorher erklärt uns Ernst Rommeney aber noch mal diesen Begriff.
Und ein großer Befürworter des Ordoliberalismus ist Nils Goldschmidt, Professor für Wirtschaftswissenschaften am wirtschaftsnahen Zentrum der Universität Siegen. Und er ist auch Vorstandsvorsitzender der Aktionsgemeinschaft soziale Marktwirtschaft. Guten Morgen, ich grüße Sie!
Nils Goldschmidt: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Warum ist es so wichtig aus Ihrer Sicht, dass wir uns heute mit diesem Ordoliberalismus besonders beschäftigen?
Goldschmidt: Aus meiner Sicht hat die soziale Marktwirtschaft, hat der Ordoliberalismus eine Botschaft, die eben ganz relevant ist für heute. Wenn wir noch mal Walter Eucken zitieren wollen: Eucken sagt, es geht darum, dass wir eine funktionsfähige und menschenwürdige Ordnung haben, und ich glaube, das ist entscheidend. Es sind beide Punkte. Natürlich muss Wirtschaft funktionieren. Eine Wirtschaft, die nicht funktioniert, kann nicht effizient sein, kann nicht den Wohlstand schaffen. Aber gleichzeitig muss sie menschenwürdig sein. Die Wirtschaft muss ausgerichtet sein am Menschen, die Wirtschaft für sich ist kein Selbstzweck, sondern es geht darum, den Menschen die Möglichkeit zu geben, ein gutes Leben zu führen. Und in dieser Zusammenführung von beidem, funktionsfähig und menschenwürdig, glaube ich, das ist das Entscheidende, und das ist die Botschaft, die heute eben auch ganz wichtig ist, um aus dieser Falle zwischen einerseits einem kalten Kapitalismus und einem sozialen Anspruch herauszukommen und beides miteinander zu verknüpfen, beides miteinander zu verbinden.
Fehlende Spielregeln in der Finanzkrise
Brink: Das klingt wunderbar, aber hat nicht die Finanzkrise genau gezeigt, dass es zu wenig Ordnungspolitik gibt?
Goldschmidt: Da würde ich Ihnen zustimmen. Natürlich, die Finanzkrise hat gezeigt, dass wir vielleicht dieses Denken in Ordnungsprinzipien auch in dieser Zusammenführung von Wirtschaft und Menschlichkeit vielleicht in den letzten Jahrzehnten zu wenig getan haben. Aber andererseits hat die Finanzkrise auch gezeigt, dass es wichtig ist, die Botschaft der Freiburger, des Ordoliberalismus wieder ernst zu nehmen und sich Gedanken darüber zu machen, wie wir Regeln durchsetzen können, wie wir Regeln einhalten können, wie wir bestimmte Spielregeln für den Markt schaffen, sodass der Markt zwar funktioniert, aber eben ausgerichtet ist an der Gesellschaft.
Brink: Aber Sie beobachten das ja ganz genau. Welche ordnungspolitischen Vereinbarungen gab es denn dann nach der Finanzkrise? Man hat ja eigentlich den Eindruck, das geht ungebremst weiter, gerade an der Börse zum Beispiel in London.
Goldschmidt: Ich glaube, wir können nicht sagen, dass es ungebremst weitergeht, sondern wir müssen schon feststellen, dass die Politik, dass sich auch auf europäischer Ebene durchaus natürlich substanziell Gedanken gemacht wurde darüber, wie können wir miteinander anders umgehen in der Europäischen Union, wie können wir auch Finanzmärkte anders regeln. Wenn wir an Dinge wie Basel III und Ähnliches denken, sehen wir, dass natürlich schon Initiativen da sind. Aber wir sehen auch zugleich, wie schwierig es ist, bestimmte Regeln für die Wirtschaft durchzusetzen. Und das zeigt uns wieder, und auch das ist ja die ordoliberale Botschaft, wir müssen sozusagen politische Prozesse und ökonomische Prozesse zusammendenken. Und ich gebe Ihnen durchaus recht, dass wir da tatsächlich Defizite haben, Dinge durchzusetzen, und wir auch eben feststellen, dass es schwierig ist, unterschiedliche politische Kulturen übereinzubringen, und das ist sicherlich auch ein Konstruktionsfehler vielleicht auch im europäischen Zusammenspiel.
Fehlende Vision
Brink: Was müsste man denn tun, um diesen Konstruktionsfehler zu beheben? Was wäre das Wichtigste, worauf man sich einigen würde, ganz im Sinne des Ordoliberalismus?
Goldschmidt: Ich glaube, das Entscheidende des Ordoliberalismus ist, dass wir tatsächlich auch immer wieder über Prinzipien und bestimmte Grundlagen nachdenken müssen. Was wir heute in der Politik erleben, sei es in Europa, sei es in der Finanzmarktkrise, sei es aber auch in unseren bundesrepublikanischen Prozessen, ist, dass wir oft uns in Details verlieren und nicht sozusagen die große Perspektive wirklich einnehmen. Dass wir uns tatsächlich zu wenig Gedanken machen darüber, wohin wollen wir eigentlich kommen. Und ich glaube, das ist so ein wesentliches Problem, dass wir zwar immer sehr viele Details uns anschauen, aber gar keine Vision, kein Leitbild haben. Und ich glaube, das ist das, was eben den Ordoliberalen gelungen ist, dass sie sagen, wir brauchen weniger Prinzipien, aber die müssen von einem starken Staat durchgesetzt werden.
Wenn wir sehen, beispielsweise in der Diskussion auch bei der Finanzmarkt, beziehungsweise auch der Eurostaatenkrise, die "no-way-out-Klausel", wie leicht sie ausgehebelt wurde im Prozess gegenüber Griechenland, zeigt uns, wie wenig wir an Prinzipien orientiert handeln in der Politik, sondern sehr häufig sozusagen reflexartig eben aktuelle politische Probleme lösen wollen, uns damit aber das Problem einkaufen, langfristig vielleicht eben einen gedeihlichen Pfad wieder zu verlassen.
Brink: Aber kann sich denn die Politik dann überhaupt gegenüber der Wirtschaft durchsetzen? Scheint ja nicht so.
Goldschmidt: Ich glaube, schon. Ich glaube, dass das die Politik durchaus kann. Das politische System ist sogar das einzige System, das der Wirtschaft gegenüber überhaupt Regeln setzen kann. Und wenn Sie sehen, wie viele Regelungen wir haben, und, wie wir alle wissen, auch manche unsinnige Regeln in der Europäischen Union, zeigt ja, dass die Europäische Union, dass aber auch andere politische Systeme die Möglichkeit haben, tatsächlich Regeln zu setzen. Die Frage ist nur, wie kommen wir zu klugen Regeln, zu Regeln, die tatsächlich Politik und Wirtschaft miteinander in Verbindung bringen. Aber dass die Politik nicht die Macht hat, Regeln zu setzen, glaube ich, ist immer auch ein Teil einer politischen Rhetorik, die es einem ermöglicht, vielleicht die Schwierigkeiten des eigenen politischen Prozesses nicht wahrzunehmen.
Menschenwürdigkeit ging verloren
Brink: Geben Sie uns doch zum Schluss eine kluge Regel mit, die wir unbedingt umsetzen müssten, im Sinne Euckens.
Goldschmidt: Ja, im Sinne Euckens ist es tatsächlich, um noch mal auf den Anfang zurückzukommen, es geht darum, über Menschenwürde und Wirtschaft zugleich nachzudenken. Wenn wir überlegen, wie wir auch zum Teil mit Griechenland, auch mit der griechischen Öffentlichkeit, mit der griechischen Bevölkerung umgegangen sind im Sinne einer scheinbaren Prinzipientreue, zeigt uns, dass eben dieser Gedanke der Menschenwürdigkeit möglicherweise zu stark verlorengegangen ist und wir eben genau dahin wieder zurückkommen müssen, prinzipienorientiert zu handeln, aber im Sinne des Menschen zu handeln. Ich glaube, diesen Hintergrund zu haben auch bei allen alltäglichen Problemen, die wir haben, das ist der entscheidende Punkt, um tatsächlich eine soziale Marktwirtschaft gedeihlich auch für Gesamteuropa umsetzen zu können.
Brink: Herzlichen Dank, Professor Nils Goldschmidt. Er lehrt Wirtschaftswissenschaften an der Universität in Siegen. Und heute, anlässlich des 125. Geburtstags von Walter Eucken wird auch die Kanzlerin in Freiburg genau zu diesem Thema sprechen, nämlich dem Ordoliberalismus.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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