"Zum ersten Mal wird richtig gespart in Amerika"

Thomas Kleine-Brockhoff im Gespräch mit Nana Brink |
Die Androhung der Haushaltskürzung mit dem "Rasenmäher" sollte Abschreckung und Ansporn für den US-Kongress sein, sagt Thomas Kleine-Brockhoff vom German Marshall Fund. Doch nun reichten die politischen Kräfte und der politische Wille nicht aus, die Maßnahme abzuwenden.
Nana Brink: Keiner möchte es, also zumindest sagen es alle so, keiner möchte das, was seit heute Morgen sechs Uhr Fakt ist in den USA: Massive Sparmaßnahmen treten in Kraft. Und es wird alle quer durch die Gesellschaft treffen, Soldaten, Lehrer, Unternehmer, Behinderte, Studenten und Schüler. 85 Milliarden Dollar werden in einer quasi Rasenmäheraktion aus dem Etat gestrichen, ab heute, wie gesagt.

Und am Telefon ist jetzt Thomas Kleine-Brockhoff, einer der Direktoren des German Marshall Fund,eine Stiftung, die den transatlantischen Dialog zum Thema hat. Schönen guten Morgen, Herr Kleine-Brockhoff!

Thomas Kleine-Brockhoff: Guten Morgen!

Brink: Die erste Frage, die sich aufdrängt, warum hat der Präsident, oder warum haben die Republikaner diesen Streit eskalieren lassen?

Kleine-Brockhoff: Die ganze Rasenmähermethode war ja im Grunde so blöd, dass man glaubte, sie deshalb verhindern zu können, dass keiner würde sie zulassen, weil keiner die Folgen dieser Art gerne wollen würde. Das war der ganze Sinn, eine solche Kamikaze-Aktion ins Gesetz reinzuschreiben. Nun reichen die politischen Kräfte nicht aus und der politische Wille, es abzuwenden. Deswegen gibt es keine Einigung, und deshalb gibt es ein Gesetz, das keiner will, und das auch in seiner Struktur zumindest nicht so richtig Sinn macht.

Brink: Wie ist denn dieses Gesetz überhaupt entstanden?

Kleine-Brockhoff: Das Gesetz ist deshalb entstanden, weil man eine große Budgetreform nicht hingekriegt hat, und sich quasi Deadlines, also Zeitrahmen setzen musste, in denen man bestimmte Schritte vollziehen wollte. Und der Rasenmäherteil davon sollte eine Abschreckung sein und ein Ansporn an den Kongress, es abzuwenden.

Brink: Also es war dann eine Idee, die ja auch Obama mitgetragen hat. Und dann fragt man sich, was ist denn sein Kalkül jetzt, das so weit treiben zu lassen?

Kleine-Brockhoff: Ja, alle spielen Politik hier, alle glauben, dass sie politische Vorzüge daraus ziehen konnten. Und in der ersten Runde dieses großen Streits um die Budgetanpassung der Vereinigten Staaten hat ja auch die besseren Karten der Präsident gehabt, nämlich, als er im Wahlkampf den Kasus von Steuererhöhungen gemacht hat und sie dann auch durchgesetzt hat in seiner ersten Tat nach der Wiederwahl.

Hier in diesem Falle ist es im Prinzip auch so, dass die Amerikaner durchaus sehen, dass das Budgetdefizit zu groß ist und eingeschränkt werden muss. Aber angesichts der Unpopularität der einzelnen Kürzungen und der ungeordneten Art, wie sie nun daherkommen werden, ist durchaus nicht klar, dass Obama die politischen Vorzüge von dieser Aktion erhalten wird. Das ist noch völlig unabsehbar, es ist auch völlig unabsehbar, wie denn eigentlich im Einzelnen die Folgen sein werden, nur, was man sagen kann, ist: Zum ersten Mal wird richtig gespart in Amerika.

Brink: Sehen wir jetzt einen anderen Präsidenten, einer, der keine Wiederwahl mehr fürchten muss, der es sozusagen auch drauf ankommen lassen kann?

Kleine-Brockhoff: Tja, das könnte man sich wünschen, das scheint aber nicht der Fall zu sein, denn Obama ist ja derjenige, der es mit dem Sparen gar nicht so weit kommen lassen möchte, denn es sind die Demokraten, die in der jetzigen Situation die Dramatisierung der jetzigen Lage betreiben, um sie vielleicht abwenden zu können, um vielleicht doch nicht so viel sparen zu wollen. Als Gegenmaßnahme schlagen sie vor, die Steuerstruktur zu verändern, was mit weniger Kürzungen und mehr Steuererhöhungen zu tun hätte.

Im Grunde ist das, was wir jetzt hier vor uns sehen, ein Nachspielen der Eurokrise auf amerikanischem Grund. Die Amerikaner haben die Europäer immer stark dafür kritisiert, dass sie die falschen Gänge zur falschen Zeit in der falschen Reihenfolge machen und fanden, dass es immer falsch sei, dass man in einer Strukturanpassung erst die Steuern erhöht, dann den Haushalt anpasst und reduziert, und dann Strukturreformen macht.

Nun fragt man sich, was nun die Amerikaner machen. Nun, sie haben als erstes die Steuern erhöht Anfang des Jahres, nun, auf ungeordnete Weise, kürzen sie das Budget, und die Diskussion über Strukturreformen in Amerika hat noch gar nicht so richtig begonnen. Aber Tatsache ist, dass man die gleiche Abfolge, die europäische Staaten in den letzten drei Jahren hinter sich gebracht hat, nun auch in Amerika vor sich sieht.

Brink: Ein überparteilicher Think Tank, nämlich das Bipartisan Policy Center, sagt, das ähnelt einem Zugunglück in Zeitlupe. Und Sie sagen, die Auswirkungen kann man aber noch nicht absehen?

Kleine-Brockhoff: Die Auswirkungen kann man deshalb nicht absehen, weil niemand so richtig denjenigen glaubt, die hier die Vorhersagen treffen. Die Regierung Obama hat also ihr Möglichstes getan, die möglichen Folgen dieser Kürzungen zu dramatisieren, um sie auf diese Weise vorher vielleicht doch noch abwenden zu können, und die Republikaner zum Einlenken zu bewegen.

Nun hat zum Beispiel die "Washington Post" mal die Behauptungen des Bildungsministers, dass also viele Lehrer schon jetzt entlassen würden, versucht, nachzuprüfen und hat dem Mann die große Pinocchio-Nase gezeigt. Alles das, was die Obama-Regierung da verkündet, welche Dramen da nun eigentlich passieren würden, sind so noch nicht absehbar. Niemand behauptet, dass es keine Folgen geben wird, aber alles, was wir jetzt hören, ist politischer Theaterdonner, um politische Erfolge noch erzielen zu können.

Brink: Wie vergiftet ist das politische Klima in diesem Donner in den USA?

Kleine-Brockhoff: Sehr, denn Strukturreformen kann man ja nur – und die ganze europäische Krise hat das gezeigt –, kann man nur mit großen Mehrheiten in der Bevölkerung zustande bringen. Die Amerikaner haben sich immer drüber gewundert, wie viele Regierungen über die Eurokrise gestolpert sind in verschiedenen europäischen Ländern, und warum danach die Politik einer neu gewählten, anderen Regierung wieder so ähnlich war wie die der gerade abgewählten.

Nun zeigt sich, dass es so ist, das große politische Konsense über die großen politischen Lager hinweg notwendig sind, um so schwerwiegende Schritte einzig auch durch die Parlamente mit großen Mehrheiten durchzukriegen, und diesen großen Konsens gibt es in Amerika nicht. Die Demokraten wollen nicht wirklich sparen, und die Republikaner geben vor, sparen zu wollen, wollen aber in Wirklichkeit den Staat reduzieren, haben also eine hochideologische Agenda, die nicht pragmatisch, sondern ideologisch sparen möchte, und an der Stelle kommen beide nicht zusammen.

Brink: Wir haben es erwähnt, die USA haben mit kritischen Begleitworten zur Eurokrise ja wahrlich nicht gespart nach dem Motto, ihr tut zu wenig. Wie wird denn diese sich nun abzeichnende Entwicklung in den USA uns betreffen?

Kleine-Brockhoff: Ja, wir sehen ja jetzt eine stufenweise Anpassung der westlichen Welt an ihre wahren Haushaltsbedingungen. Zuerst waren die kleinen Länder, mit Griechenland begonnen, die Anpassungsprogramme und Schuldentilgungsprogramme mit äußerer Hilfe beginnen mussten, und nun kommen Schritt für Schritt weitere Länder dazu, und auch die großen Länder. Damit ist selbstverständlich klar, dass Einschränkungen der Bundeshaushalte in den großen Ländern zunächst nachteilige Folgen auf die Konjunktur haben werden, wenn sie auch langfristig die Grundbedingungen für dauerhaftes Wachstum erst wieder schaffen sollen.

Das bedeutet also, dass eine wirtschaftliche Erholung, die in den USA so ein bisschen stolpernd vorangekommen ist, aber im Prinzip nicht schlecht gelaufen ist, Obama auch die Wiederwahl beschert hat, dadurch infrage gestellt werden kann, wenn nun serienweise Haushaltskürzungen durchgesetzt werden.

Brink: Thomas Kleine-Brockhoff von German Marshall Fund. Schönen Dank für das Gespräch!

Kleine-Brockhoff: Danke!


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