Zukunftsideen aus Los Angeles

Autos teilen statt besitzen

06:30 Minuten
Stau auf einer Schnellstraße in Los Angeles.
Um solche Zustände wie hier in Los Angeles zu beenden, brauche es andere Ideen: "Abgasfrei, Priorität auf Fußgänger", sagt Robin Chase. © picture alliance/dpa/AP/Foto: Damian Dovarganes
Von Kerstin Zilm · 11.03.2019
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Mit der Idee für den Carsharing-Anbieter "Zipcar" sprengte die US-Unternehmerin Robin Chase einst Normen. Noch immer konzentriert sie sich auf die Ökonomie des Teilens - jetzt auf selbstfahrende Fahrzeuge und sie fordert radikale Lösungen.
Verkehr in Los Angeles ist einfach furchtbar. Strecken, die zwanzig Minuten dauern sollten, dauern über eine Stunde. Und überall steh ich im Stau. Auf Nebenstraßen. Auf dem Pacific Coast Highway. Auf sechsspurigen Stadtautobahnen. Sechsspurig auf jeder Seite! Wohin ich schau, Bremslichter. Und auf der anderen Seite stehen sie auch.
Wo wollen die bloß alle hin? Und warum sind sie nicht schon längst da, wo sie hin wollen, frage ich mich. Während ich selbst im Auto sitze. Und deshalb freue ich mich sehr darüber, dass Robin Chase schwer daran arbeitet, uns aus diesem selbstgeschaffenen Elend rauszuholen.
Vor sieben Jahren sprach Robin Chase über ihr erstes Unternehmen, das Normen sprengte: Zipcar. Sie gründete es 1999. Da gab es keine Smartphones, kein Wikipedia, kein Facebook, kein Etsy, Airbnb oder Uber. Beim Wort "share" – teilen – dachten Amerikaner an Hippies, schlechte Qualität, schmuddelige Ware und langsamen Service. Viel hat sich seitdem geändert.

Eine gefragte Visionärin

Ich treffe Robin Chase in einem Café. Verkehr rauscht vorbei. Ihr graues Haar trägt die 60-Jährige kurz. Dazu ein knielanges Baumwollkleid. Sie schaut mir direkt in die Augen. Offen. Neugierig.
Von der Unternehmerin hat sie sich zur weltweit gefragten Visionärin in Sachen Transport, Umwelt und Technologie entwickelt.
"Ich schätze inzwischen meine Gabe sehr, präzise und klare Argumente zu formulieren. Dadurch kann ich Menschen davon überzeugen, meinen Ideen zu folgen."
Ihre Mutter habe sie als Kind starrköpfig und streitsüchtig genannt, erzählt Chase. Sie ist im Nahen Osten aufgewachsen. Tochter eines US-Diplomaten. Fünf Geschwister. Zu Fuß, mit Roller und Fahrrad erkundete sie Damaskus und Jerusalem. Früh entwickelte sie Freiheitssinn, Abenteuerlust und Selbstbewusstsein. Als junge Praktikantin in einem US-Unternehmen meldete sie sich zum Erstaunen aller Anwesenden in Konferenzen regelmäßig zu Wort.
"Ich traue mich zu sagen, was ich denke. Ich habe keine Angst davor, mich zu irren oder mich zu blamieren."


Als sie Zipcar gründete, war sie knapp 40. Ihre Kinder waren in der Schule. Sie hatte drei Uni-Abschlüsse und wollte ihr Wissen in einem eigenen Unternehmen umsetzen. Mit Autos konnte sie damals nichts anfangen, eine Marke nicht von der anderen unterscheiden. Sie wusste nur eins:
"Ich hätte dieses Startup nie gegründet, nie jede Woche 100 Stunden meines Lebens hineingesteckt, wenn es nicht einen positiven Effekt auf die Gesellschaft hätte. Wenn’s nur um Geld geht, interessiert es mich nicht."
Zipcar hat aus ihrer Sicht viele positive Auswirkungen: Der Dienst verbindet Menschen, die sich Autos teilen, nutzt überschüssige Ressourcen – Autos –, die sonst rumstehen würden, und verhindert, dass sich Leute noch mehr Autos kaufen. Fast eine Millionen Mal wurde ihr TED Talk inzwischen abgerufen. Darin spricht sie auch über ihr Buch: Peers Inc.
Unternehmerin Robin Chase sitzt auf einem Sofa auf der Veranda ihres Hauses in Los Angeles. 
Sie hätte das Startup "Zipcar" nie gegründet, wenn es nicht einen positiven Effekt gehabt hätte, sagt Unternehmerin Robin Chase.© Deutschlandradio / Kerstin Zilm

Das System hat auch Nachteile

Dessen Vision ist eine Verbindung von Internet-Plattformen mit einzelnen Menschen. Zum Beispiel: der Online-Laden für Selbst-Gemachtes Etsy, Airbnb und der private Fahrdienst Lyft. Der Vorteil dieser Arbeitsteilung aus Sicht von Robin Chase: Die ‘Incs' – Unternehmer und Regierungen – schaffen mit der Plattform Infrastruktur, langfristige Planung, standardisierte Verträge und Branding. Die "Peers" – private Dienstleister – füllen diese Plattformen mit Inhalten, lokalem Wissen und Innovation. Sie brauchen für ihre zeitlich begrenzte und unabhängige Arbeit keine Unternehmensstruktur aufbauen.
Robin Chase leugnet nicht, dass das System auch Nachteile haben kann, vor allem für die sogenannten Peers: schlechte Bezahlung, keine Krankenversicherung und keine Rente für sie. Auch dafür hat sie Lösungsvisionen. Radikal. Zumindest in den USA:
"Wir brauchen Krankenversicherung für alle, egal, wie viele Stunden du arbeitest und für wie viele Arbeitgeber. Wir sollten Arbeitseinkommen nicht versteuern. Wir sollten Vermögen versteuern und das, wovon wir weniger wollen: Umweltverschmutzung. Nicht dass, wovon wir mehr wollen: Jobs."

Im schlimmsten Fall fahren leere Autos

Momentan konzentriert sich Robin Chase auf die Zukunft von selbstfahrenden Fahrzeugen. Im schlimmsten Fall, sagt sie, fahren leere Autos zum Pizza holen und vom Arbeitsplatz nach Hause, um Parkgebühren zu sparen. Damit das nicht passiert, hat sie NUMO gestartet, die New Urban Mobility Alliance. Die ging im Januar an den Start. Mit sechs Millionen Startkapital fördert NUMO weltweit Forschung, Pilotprojekte und Experimente für umweltschützende Verkehrsmodelle in Innenstädten.
"Tektonische Platten sind in Bewegung. Wohin es geht, ist völlig offen. Unternehmen, Regierungen, Gemeinden sind in diesem Rausch, wollen dabei sein. Diese Platten werden sich abkühlen und erhärten. Wenn das passiert, muss unsere Transportwelt so aussehen: abgasfrei, Priorität auf Fußgänger, Radfahrer und geteilte Mobilität."
Ich bin dabei! Ja! Weniger Autos! Mehr Fahrradfahren! Entschuldigung, kann mal jemand bitte Platz machen?
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