Museum oder Moschee?
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Der türkische Präsident Erdogan will die Hagia Sophia wieder zur Moschee machen. Die dafür nötige Gerichtsentscheidung wurde nun auf Mitte Juli vertagt. Der Publizist Zafer Şenocak hält Erdogans Plan für reine Symbolpolitik.
Einst war die Hagia Sophia die größte christliche Kirche der Welt, nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen wurde sie zur Moschee. 1934 verwandelte Mustafa Kemal Atatürk, Gründer der modernen Türkei, sie in ein Museum - was sie bis heute geblieben ist.
Das könnte sich womöglich bald ändern, denn Präsident Erdogan will das Bauwerk wieder zur Moschee machen. Die Gerichtsentscheidung dazu wurde heute allerdings erstmal vertagt.
Erdogan steht unter Druck
Der türkisch-deutsche Publizist Zafer Şenocak bewertet Erdogans Pläne als "Symbolpolitik ersten Ranges". Er sei wirtschaftlich unter Druck geraten, zusätzlich forciert durch die Coronakrise. Gleichzeitig werde weniger in der Türkei investiert: "Der Wind weht ihm ins Gesicht."
Im Vorstoß des türkischen Präsidenten zeige sich aber auch der gegenwärtige Zeitgeist, kritisiert Şenocak: "Sollen wir tatsächlich aus der Mottenkiste der Geschichte alle Konflikte herausholen und die Eroberungszüge gegenseitig nachspielen?"
Dass die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee die Gräben zwischen Christen und Muslimen massiv vertiefen könnte, glaubt der Publizist nicht. "Es sind schon Millionen Christen gegen den Islam aufgebracht - da braucht es nicht die Hagia Sophia."
Spaltung entlang von Kultur- und Religionslinien
Andererseits gebe es aber auch Millionen Christen, die nicht so dächten. "Es gibt eine Spaltung in unsere Gesellschaften entlang dieser Kulturlinien, dieser Religionslinien. Darüber müssen wir offener diskutieren."
Die Hagia Sophia sei nicht der einzige Ort, wo sich die Kulturen treffen, betont Şenocak. "Denken wir an Cordoba, denken wir an Andalusien. Was ist da passiert? Da gab es eine Reconquista, da gab es andersherum eine Christianisierung islamischer Baudenkmäler. Das könnte man doch zusammen diskutieren - ob man nicht Orte schafft, wo man diese Konfliktlinien heute anders sieht."
Ein Freund-Feind-Denken wie es in bei Erdogan zu beobachten sei, ist nach Auffassung Şenocaks eine "ganz ungesunde Geschichte für die Türkei, weil sie diese Brücke ist". Die Türkei sei eben alles Mögliche, was auch in Europa oft nicht verstanden werde. "Aber wenn die Türken das selber auch nicht mehr verstehen, dann gnade uns Gott."
Unsere Sendung mit Zafer Şenocak in voller Länge: