Zukunft der "Berliner Zeitung"

Widersprüche und wenig Konkretes

07:16 Minuten
Die Verleger Holger und Silke Friedrich beim dpa-Interview am 11.11.2019 in Berlin.
Die Generation unserer Kinder müsse etwas bei der "Berliner Zeitung" finden, das für sie relevant ist, sagen die neuen Eigentümer Holger und Silke Friedrich. © Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa
Matthias Dell im Gespräch mit Marietta Schwarz · 12.11.2019
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Die neuen Eigentümer der "Berliner Zeitung" haben einen Text veröffentlicht, in dem sie ihre künftigen Ziele erläutern. Matthias Dell erkennt darin ein Interesse an Silicon Valley-Neoliberalismus und eine Verehrung für Egon Krenz.
Silke und Holger Friedrich sind seit September die neuen Eigentümer der "Berliner Zeitung". Die Eheleute sind branchenfremd aber erfolgreiche IT-Unternehmer und betreiben auch eine Privatschule in Berlin.
Der "Was wir wollen"-Text in der "Berliner Zeitung" sei vom Umfang und auch vom Anspruch her ziemlich schwer zu fassen, sagt Matthias Dell im Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur. "Ein Aufsatz - sehr lang zu allen möglichen Themen der Zeit - der aber angetrieben ist von so einem IT-wirtschaftsmäßig induzierten Machertum und dann einfach dadurch rast."

Widersprüchliche Vereinfachung der Geschichte

In Bezug auf die deutsche Geschichte werde einerseits von Scham über die Verbrechen der Großeltern gesprochen, im nächsten Satz aber dann schon über den Stolz auf die kollektive Bewältigung des Holocausts.
Das seien Verkürzungen, die dem wiederum ausgegebenen Wunsch nach Faktenbasiertheit und Komplexität sehr widersprächen. Zwar sei das Aufarbeiten deutscher Geschichte begrüßenswert aber keineswegs kollektiver Konsens, so Dell.
"Da hätte man dann genauer hingucken können, dass der Rechtsextremismus mit dem wir heute konfrontiert sind eben auch eine Tradition hat." Dass es leicht sei, dem Text der Friedrichs mit deren eigenen Worten zu widersprechen, sei nicht sehr überzeugend.

Wer sind die Helden von 1989?

Da die Medienbranche nur wenig ostdeutsche Verleger habe, sei die Sichtweise der neuen Verleger für Westdeutsche womöglich ungewohnt. Das zeige sich in der Beschreibung der glücklichen Wendegeschichte von 1989, als der damalige DDR Staatsratsvorsitzende Egon Krenz bei der entscheidenden Demonstration in Leipzig nicht auf Demonstranten schießen ließ.
"Das ist so ein Moment, wo man merkt, dass es einen anderen Blick gibt. Deswegen kommt da was Spezifisches rein, das dann wiederum aber so verkürzt dargestellt wird, weil man natürlich nicht sagen kann, dass es Egon Krenz quasi allein 1989 besorgt hat."
Interessant sei, dass die ostdeutsche Erfahrung der Friedrichs deutlich zu spüren sei. Diese sei aber vermischt mit einem fortschrittsgläubigen, marktaffinen Silicon Valley-Kapitalismus.

Weltsicht "Schnelle Lösungen"

Die Forderung, dass alle zwei Jahre per Smartphone gewählt werden solle - weil alles dann schnell gehen könne - und die Erklärung, dass Politik nur der kleinste gemeinsame Nenner sein könne, greife zu kurz, so Dell.
"Eine Demokratie hat nicht ganz zu Unrecht den Kompromiss als Prinzip und das hat auch sein Recht. Es wäre sicherlich interessanter, wenn man sich an etwas stört, was man an der Grundrente gerade sieht. Ob es überhaupt möglich wäre, eine Machtpolitik von Parteien von einer Gesellschaftspolitik zu trennen, um die es ja eigentlich geht."
Problematisch sei, dass Silke und Holger Friedrich bei diesen Fragestellungen zu oberflächlich blieben und - ganz im Sinne ihrer IT-Macher-Mentalität mit schnellen Lösungen - auch so schnell und verkürzend in ihrem Text argumentierten.
Trotz der ganzen Merkwürdigkeiten in dem Text sei es spannend die Entwicklung der Zeitung mit den neuen Eigentümern zu beobachten, so Dell.
(mle)
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