Zufallsprodukt, Vergnügen, fantasieanregender Zeitvertreib

Von Rudolf Schmitz |
Eine neue Ausstellung in der Frankfurter Schirn beschäftigt sich mit den Anfängen der abstrakten Kunst. Zu sehen sind vor allem Werke des britischen Landschaftsmalers William Turner (1775-1851), des Dichters und Zeichners Victor Hugo (1802-1885) sowie des französischen Symbolisten Gustave Moreau (1826-1898). Schon sie entdeckten die Abstraktion als Rohrschach-Test der Flecken, Klecksografien und Zufallsprodukte.
Der Rohrschach-Test ist uns allen ein Begriff. Nicht nur durch Bilder von Andy Warhol, oder von Cosima von Bonin, siehe documenta 12. Rohrschach-Test, das war einmal ein populäres Diagnoseinstrument der Psychologen. Da wurden einem abstrakte Klecksbilder gezeigt, und man sollte sagen, was man darin sah: Gesichter, menschliche Figuren, Landschaften oder Tiere. Es steckte die Gewissheit dahinter, dass der Mensch angesichts solcher Flecke gar nicht anders kann als zu assoziieren.

Klecksbilder haben schon das 19. Jahrhundert fasziniert: Schriftsteller wie Victor Hugo, Maler wie William Turner oder Gustave Moreau. Eine Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt zeigt nun am Beispiel dieser drei Künstler, dass die Abstraktion schon damals entdeckt wurde, nicht erst im Jahr 1911, also durch Kandinsky, Mondrian oder Malewitsch.

Künstler des 19. Jahrhunderts interessierten sich in ihren Skizzen, Studien und Schmierzetteln für die Spiele mit dem Zufall, wie es die Klecksografien sind, um auf Bildideen zu kommen oder Farbe und Komposition zu studieren. Kurator dieser originellen Ausstellung ist ein Kunsthistoriker. Er ist in Italien aufgewachsen und lehrt in Heidelberg: Raphael Rosenberg. Er hat sich mit diesem Phänomen einer Abstraktion vor der Abstraktion eingehend beschäftigt und wunderbares, noch nie gezeigtes Material ausgegraben.

William Turner, Victor Hugo, Gustave Moreau - sie entdeckten die Abstraktion als Rohrschach-Test der Flecken, Klecksografien und Zufallsprodukte.

""Sie haben diese Zufälle systematisch hergestellt, weil sie sich ästhetisch dafür interessiert haben, das haben sie nur nicht popularisiert"."
Das waren also alles private Forschungen, nicht für das große Publikum bestimmt. In der Schirn wird der Spieß jetzt allerdings umgedreht: Jetzt kann das große Publikum sehen, welche Wege die künstlerische Fantasie einschlug und welche Tricks und Methoden die Künstler dazu benutzten.

Der Symbolist Gustave Moreau zum Beispiel entdeckte irgendwann die Schönheit der Abfallpapiere, auf denen ein Maler Aquarellfarben abstreicht oder anmischt, die sogenannten Aquarellpaletten.

""Moreau hat 400 solcher Aquarellpaletten aufbewahrt, andere hat er früh zu bepinseln aufgehört, weil das Motiv ihm gut gefallen hat, weil die Farben ihm gut gefallen haben, und wiederum dritten hat er nachträglich beschnitten, weil ein bestimmter Fleck ihm so gut gefiel, dass er es isolieren wollte.

Es gibt auch eine Reihe von Aquarellpaletten, die er nachträglich übermalt hat, so dass daraus vollendete Werke entstanden, die er signierte, denen er einen Titel gab und die für sein posthumes Museum auch gerahmt wurden"."

Die meist kleinformatigen Werke, Skizzen, Zettel, Papiere werden vor einer rotgrundigen Papiertapete des 19. Jahrhunderts gezeigt. Sie gibt dieser originellen Ausstellung dann doch wieder einen privaten Charakter - als blicke man ins Atelier oder in die Wohnstube der Künstler. Hier aber entdeckt man im Kern die ganze Kunst der Moderne. Doch im 19. Jahrhundert wäre niemand auf die Idee gekommen, so etwas für ausstellungswürdig zu halten. Selbst William Turner machte dem Publikum noch seine Zugeständnisse.

""Die zwei großen sehr abstrakten Ölbilder von Turner, die wir hier zeigen, sind zwei der nicht allzu zahlreichen Beispiele von Ölbildern in dem Zustand, wie sie bis zur vor der Ausstellung in seiner Werkstatt waren. Er hat sie in diesem Zustand in den Ausstellungsraum gebracht und erst in den letzten drei Vanishing Days, also Tage der Vernissage, an denen man noch ein klein wenig Retuschen machen durfte, dann mit wenige gegenständliche Elemente noch etwas präzisiert"."

Erst das 20. Jahrhundert, so begreift man in dieser Frankfurter Ausstellung, hat aus der Abstraktion ein Programm und einen Kampfbegriff gemacht. Vorher war sie lediglich ein Hilfsmittel, ein Zufallsprodukt, ein Vergnügen, ein fantasieanregender Zeitvertreib. Mit dieser Ausstellung ist ein wunderbarer Zwitter gelungen, wie man ihn kaum noch für möglich hält: gelehrt und amüsant zugleich.

""Das war natürlich die ganz große Herausforderung für mich, ein Thema, das mich als Wissenschaftler acht Jahren beschäftigt hat, das auch große Teile meiner Habilitationsarbeit ausmacht, so zu präsentieren, dass es eine Schirn-Ausstellung wird und dass es den Popularitätsgrad einer Schirn-Ausstellung haben kann. Ich denke, dass uns das gelungen ist"."

Dieser Einschätzung ist ausnahmsweise mal nichts hinzuzufügen.


Service:
Die Ausstellung "Turner Hugo Moreau. Die Entdeckung der Abstraktion" ist bis 6. Januar 2008 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt zu sehen.