Züge in das Leben - Züge in den Tod

Von Gerald Beyrodt |
Fast jeder in Deutschland weiß, was die so genannte Reichskristallnacht war. Doch die wenigsten können mit dem Wort "Kindertransporte" etwas anfangen. Die englische Öffentlichkeit war nach den Pogromen im November 1938 entsetzt. In diesem Klima wurde die Einreise von jüdischen und so genannten nicht-arischen Kindern aus Deutschland und Österreich ins Königreich möglich. Auf diese Kinder macht seit heute in Berlin ein Denkmal aufmerksam. Gerald Beyrodt berichtet.
Fünf Kinderfiguren in dunkler Bronze und etwas entfernt davon zwei Kindergestalten mit Koffern in hellem Kupfer, davor Eisenbahnschienen. So sieht die neue Skulptur am Berliner Bahnhof Friedrichstraße aus: "Züge in das Leben – Züge in den Tod". Die größere Figurengruppe steht für die Kinder, die in Konzentrationslager deportiert wurden und dort den Tod fanden: anderthalb Millionen an der Zahl.

Die kleinere Figurengruppe für die Kinder, die gerettet wurden: Jüdische Kinder aus Deutschland und Österreich konnten in den Monaten nach der Reichspogromnacht nach England einreisen, Zehntausend an der Zahl. Der Schöpfer der Skulptur, Frank Meisler, war eines dieser Kinder. Mit einem der letzten Transporte kam er im August 1939 von Danzig nach England, kurz bevor der Krieg ausbrach. Damals war er neun Jahre alt.
"Und dann sind wir in Holland angekommen, und ich war in ein Zug, auf dem Weg zur Küste, eine holländische Dame zeigte auf uns, und ich dachte ich hörte so was wie Schreck, aber auf holländisch, ist ganz ähnlich. "Srecklich" oder so was. Und dann habe ich erst angefangen zu verstehen, dass das vielleicht eine größere Tragödie ist, als die, die ich mir vorgestellt habe. Das war so ein Ausflug weg von den Eltern, eventuell bald zurück zu den Eltern, das war ein Fragezeichen, bis diese holländische Dame uns so genannt hat, eine schreckliche Geschichte, etwas Schreckliches, das passiert hat. "

In London hat Frank Meisler schon ein Denkmal für die Kindertransporte errichtet, am Bahnhof Liverpool Street. Dort hat die Skulptur die Ankunft der Kinder zum Thema: Die Gleise liegen hinter ihnen: Eine Skulptur für das Land der Rettung.

Doch in Deutschland, im Land der Täter, wollte man nicht an die geretteten Kinder erinnern, ohne der Ermordeten zu gedenken.

Zunächst wollte der Berliner Senat Frank Meislers Skulptur nicht aufstellen. Zu kitschig fand das vom Senat beauftragte Gutachterbüro für Kunst im öffentlichen Raum den Entwurf. Mehr noch: Man könne denken, die dargestellten Kinder befänden sich auf einer Klassenfahrt. Schließlich räumte der Bezirk Berlin-Mitte der Skulptur einen Platz ein. Der Bildhauer nimmt die Kritik an seinem Denkmal gelassen.

"Ich glaube eins von den Problemen ist, dass es figurativ ist und nicht abstrakt. Aber ich glaube, Berlin hat eine sehr abstrakte Skulptur in diesen Betonkisten, die man gebaut hat. Und ich finde die ein bisschen kalt. Und es war mein Gefühl, dass man den Leuten, den Kindern, in die Augen schauen sollte. "

Der 80-jährige Otto Deutsch lebt seit seiner Flucht aus Wien in England. Jetzt ist er zusammen mit etwa 50 anderen Überlebenden nach Berlin gekommen. Schon in London war der frühere Reiseleiter bei der Enthüllung des Denkmals zugegen. Er schätzt Frank Meislers Werke:

"Und wenn ich das Denkmal so sehe, ja, das könnte ja ich gewesen sein. Das ist sehr eine bedeutende Sache. "

Otto Deutsch reist gerne nach Deutschland und Österreich und kann nicht verstehen, dass viele englische Juden diese Länder nie betreten würden. Auch die einstige Wohnung seiner Familie in Wien hat er besucht.

Dann kommt er auf seine ermordete Mutter zu sprechen, seinen ermordeten Vater, seine ermordete Schwester, sagt immer wieder ihren Namen: Adele. Sie war zu alt für die Kindertransporte: Nur Jugendliche bis 17 Jahre durften nach Großbritannien einreisen. Otto Deutsch denkt an einen Mann, mit dem sein Vater einst befreundet war, den er selbst sogar Onkel nannte. Doch der sich immer mehr zum Nazi wandelte, schon vor dem Anschluss Österreichs ein braunes Hemd trug, und im November 38 bei der Deportation des Vaters dabei war - als Gestapo-Mann.

"Es war aber der Mann, kann ich nie vergessen, der hat mein Vater vom Bett genommen: "Schau her, du Saujud', jetzt kommst mit mir." Wie kann so was sein? Nach 'm Krieg, wie ich mein englischen Reisepass hatte, bin ich gekommen nach Wien, ich hab wollen mit dem Herrn sprechen. Ich weiß wirklich nicht, was ich gemacht hätte. Glücklicherweise, für ihn und für mich, war er nicht zu Hause."

Schrecken und Vernichtung, Rettung und Überleben: all diese Themen kommen vor in der Skulptur "Züge ins Leben – Züge in den Tod".