Zuckermann erwartet wenig von Bush-Reise

Moderation: Marie Sagenschneider |
Nach dem ehemaligen israelischen Botschafter Avi Primor hat auch der israelische Historiker Moshe Zuckermann den Nahost-Besuch von US-Präsident George W. Bush als "Showgeschäft" bezeichnet. Bush und der israelische Regierungschef Ehud Olmert seien zwei angeschlagene Politiker, die praktisch am Ende ihrer Amtszeit stünden, sagte Zuckermann.
Marie Sagenschneider Der Nahostkonflikt ist ein weltpolitischer Schlüsselkonflikt, umso erstaunlicher, dass US-Präsident George Bush ihn solange vernachlässigt hat. Jetzt erst, im achten Jahr seiner Amtszeit, kurz vor Toresschluss sozusagen, begibt er sich auf eine erste Reise nach Israel und in die palästinensischen Gebiete, um den Prozess, den er in Annapolis angeschoben hat, vielleicht doch noch etwas mehr Schwung zu verleihen. In Annapolis hatten sich Israelis und Palästinenser ja darauf verständigt, die Friedensgespräche umgehend wieder aufzunehmen, was ja auch geschehen ist, und bis Ende dieses Jahres zu einem konkreten Ergebnis zu kommen in all den strittigen Fragen, zum Beispiel die Grenzen eines künftigen Palästinenserstaates, die Zukunft Jerusalems, das Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge. Was kann George Bush mit seinem Besuch in Nahen Osten bewirken? Darüber wollen wir nun hier im Deutschlandradio Kultur mit dem Publizisten Moshe Zuckermann sprechen. Er ist Professor für Geschichte und Philosophie an der Universität Tel Aviv. Guten Morgen, Herr Zuckermann!

Moshe Zuckermann: Guten Morgen!

Sagenschneider: Was erwarten Sie von George Bush? Erwarten Sie überhaupt etwas?

Zuckermann: Nein, ich erwarte absolut gar nichts. Und ich glaube, es gibt niemand hier in Israel, der wirklich etwas Ernstes erwartet, was den Nahostkonflikt selbst anbelangt. Natürlich ist zu erwarten, dass George Bush noch versuchen wird, in seinem letzten Besuch in Israel, vielleicht wird es noch einen geben, noch irgendwie eine Spur zu hinterlassen in der Geschichte. Aber das wird nur ein symbolischer Akt werden. Auch Olmert würde im Grunde genommen gar nichts zu erwarten haben. Es ist bezeichnend, dass beide Staatsleute, die sich heute treffen, Olmert und Bush, im Grunde genommen angeschlagene Politiker sind, die am Ende oder fast am Ende ihrer Amtszeit stehen. Bei Bush ist es offiziell. Bei Olmert wird es vermutlich spätestens wenn der Bericht über den zweiten Libanonkrieg, der Vinograd-Bericht, der in einiger Zeit veröffentlicht werden wird. Selbst wenn diese Leute etwas wollten, könnten sie im Grunde genommen gar nichts erreichen, denn sie haben nicht das Hinterland. Olmert hat nicht das Hinterland in Israel. Herr Abu Masen hat nicht das Hinterland in Palästina, um wirklich die eigentlichen Fragen anzupacken, die Sie vorhin angesprochen haben. Und von daher hat es eher einen theatralisch- symbolischen Charakter.

Sagenschneider: Wenn ich es richtig verstehe, schlagen Sie in die gleiche Kerbe wie Avi Primor, der den Bush-Besuch ja schon als Showveranstaltung bezeichnet hat?

Zuckermann: Ja, ich meine, man muss wirklich kein großer Interpret sein und auch nicht ein ehemaliger Botschafter sein, um zu verstehen, dass das im Grunde genommen rein vom Kräfteverhältnis her so ist, wie ich gerade sagte. Herr Bush hat nichts mehr zu bestellen. Er wollte ja über Jahre nichts hier bestellen. Was er bestellen wollte, hat er ja in Amerika sehr deutlich zutage gefördert. Im Nahostkonflikt selbst hat er gar nichts unternommen. Und, wie gesagt, Olmert, selbst wenn er wollte, wäre nicht fähig, heute etwas durchzusetzen, dass nicht irgendwie einen bürgerkriegsähnlichen Zustand in Israel hervorrufen würde. Und wie es in den Palästinensergebieten aussieht, wissen Sie ja. Es ist ja der Gazastreifen vom Westjordanland abgetrennt. Es ist ja im Grunde genommen gar nicht heute von einer einheitlichen Kollektivität der Palästinenser zu reden. Auch die israelische Gesellschaft ist total zerrissen. Es steht überhaupt gar nicht etwas an, das durchgeführt werden kann. Und ohne, dass etwas durchgeführt wird, braucht man doch gar nicht irgendwie von einem ernsthaften Angehen des Nahostkonflikts zu reden. Es ist wirklich nur ein Showgeschäft im Moment, ja.

Sagenschneider: Olmert hätte dann selbst keine Chance, wenn George Bush jetzt so auf den letzten Drücker doch noch überraschend aus dem Knick käme und klare Worte sprechen würde, zum Beispiel, was ein Stopp des israelischen Siedlungsbaus im Westjordanland anbelangt? Das erhoffen sich ja die Palästinenser, dass George Bush da Israel ein wenig unter Druck setzt.

Zuckermann: Es ist ja kein Zufall, dass in der Zeit, in der seit Annapolis inzwischen mehrere Siedlungen noch mal hinzugekommen sind. Es ist ja kein Zufall, dass bei allen israelischen Regierungen seit dem Oslo-Abkommen, und natürlich schon viel früher, immer wieder, während Friedensgespräche geführt worden sind, die Siedlungstätigkeit weitergegangen ist. Das hat damit zu tun, dass Israel heute von seiner Struktur her so gespalten ist, dass, wenn es wirklich darauf ankäme, große Gebiete des Westjordanlands zu räumen, dass es wirklich in Israel zu einer Spaltung käme, von der niemand weiß, wie sie ausgehen würde. Und darüber hinaus haben natürlich solche Leute wie Olmert machtpolitische Erwägungen. Und sie haben ja zu bedenken. Sie haben ja einen Mann wie Lieberman und die Schas-Partei in der Regierung, die, wenn es wirklich zu einem Siedlungsstopp kommen würde, sofort die Koalition in Bredouille bringen würden. Nein, es ist wirklich so, dass es gar nicht die Frage ist, was Olmert will und schon gar nicht, was Bush will, sondern die Frage, was man im Moment machen kann. Man hat sich in eine Struktur hineinmanövriert, die im Grunde genommen eine Stagnation heute vorschreibt.

Sagenschneider: Offene Diskussionen über mögliche Zugeständnisse in Israel. Sind die denn überhaupt möglich? Finden die statt, oder bunkert man sich da auch eher ein in der Angst, ja möglicherweise auch vor der Bedrohung von außen?

Zuckermann: Schauen Sie, wir sind doch Weltmeister im Diskussionführen, und wir sind doch die Weltmeister im Friedensliederschreiben. Das ist doch gar nicht die Frage. Die Frage ist auch nicht, ob eine offene Diskussion hier läuft. Die läuft hier schon seit 40 Jahren. Alles ist schon mehr oder weniger vollkommen klar, was heute die Vorbedingung für eine Lösung des Konfliktes, von dem wir hier gerade reden, wären. Da ist ja vollkommen klar. Das Westjordanland muss weitgehend geräumt werden. Die Siedlungen müssen abgebaut werden. Die Jerusalem-Frage muss im Sinne einer Zweistaatenlösung gelöst werden. Und die Flüchtlingsfrage muss zumindest im Sinne einer politischen Anerkennung des Problems seitens Israels angepackt werden. Solange das nicht angepackt wird, brauchen wir gar nicht irgendwie weiter darüber zu reden, was erreicht werden kann. Und da kann man noch so viel offene Diskussionen führen und noch so viele Theaterstücke darüber schreiben und Protestsongs und so weiter und so fort. Das kennen wir alles schon. Das machen wir schon 40 Jahre lang.

Sagenschneider: Was ist denn das Problem? Dass Israel den Preis für den Frieden nicht bezahlen will?

Zuckermann: Ja, Israel kann den Preis für den Frieden deshalb heute nicht bezahlen, weil ich mehr oder weniger sagen würde, so, wie ich das versucht habe, vorhin anzudeuten, dass ein Angehen dieses Problems im Sinne eines Rückzuges, beispielsweise aus den Gebieten, die israelische Gesellschaft heute spalten würde. Es gibt heute eine missionarische, ideologische, vollkommen verformte, einen verformten Block in Israel, der wirklich es, wenn es ganz krass käme, dazu bringen könnte, dass hier bürgerkriegsähnliche Zustände kommen könnten. Um eine Metapher zu verwenden: Man hat im Jahre 1967 einen Apfel in den Mund genommen, war nicht fähig, den Apfel runterzuschlucken, also die Gebiete zu annektieren. Man war nicht fähig, den Apfel auszuspucken, also die Gebiete zurückzugeben. Und nun erstickt man an diesem Apfel. Und daran wird weder Olmert noch Bush in der momentanen Situation etwas ändern können. Die Frage ist, ob es eine Möglichkeit gäbe, wenn ein genügend starker Staatsmann heute an Israels Spitze stünde, und wenn ein genügend couragierter, amerikanischer Präsident dazu fähig wäre, das auch anzutreiben. Weder Olmert noch Bush sind die Personen dafür.

Sagenschneider: Der Historiker und Publizist Moshe Zuckermann im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen!

Zuckermann: Danke!