Zu seinen Lebzeiten war "Carmen" zu gewagt

Von Sabine Fringes · 25.10.2013
Seine Oper begeisterte Bismarck ebenso wie Queen Victoria. Thomas Mann und Theodor W. Adorno lobten die Einzigartigkeit von "Carmen". Dass es einmal eine der populärsten Opern überhaupt werden sollte, davon ahnte Bizet nichts. Er starb nur drei Monate nach der Uraufführung, die vom Publikum nur verhalten aufgenommen wurde.
"Ich hörte gestern – werden Sie es glauben? Zum zwanzigsten Male Bizets Meisterstück. (...) Diese Musik scheint mir vollkommen. Sie kommt leicht, biegsam, mit Höflichkeit daher. Sie ist liebenswürdig, sie ‚schwitzt‘ nicht. (....) – Ohne Grimasse! Ohne Falschmünzerei! Ohne die Lüge des großen Stils! (...) Sie ist so unaffektiert und aufrichtig, dass ich sie praktisch ganz auswendig gelernt habe, von Anfang an."

Friedrich Nietzsche in einem Brief im Jahr 1888 über "Carmen" von Georges Bizet. Nietzsche war einer der frühesten Liebhaber der Oper: Er sah in ihrer musikalischen Leichtigkeit und ihrem mediterranen Flair, in ihrer Mischung aus Raffinement und Eingängigkeit eine Art Gegengift zur allseits präsenten, übermächtigen Musik Richard Wagners.

Georges Bizet wurde am 25. Oktober 1838 in Paris geboren. Der Vater war Perückenmacher und Gesangslehrer, die Mutter eine begabte Pianistin. Zunächst unterrichteten ihn die Eltern, dann kam der Junge auf das renommierte Pariser Conservatoire, wo er unter anderem bei Charles Gounod studierte. Mit 17 Jahren hatte Bizet bereits sein erstes Meisterwerk komponiert: Die Symphonie in C-Dur. Merkwürdigerweise jedoch ließ er sie zu Lebzeiten weder spielen noch verlegen, erst 1935 wurde das Werk uraufgeführt.

Georges Bizet: "Am Conservatoire war ich ein guter Schüler, hier fange ich an, mich als Künstler zu fühlen, ich komme aus eigener Kraft voran, aber mit was für Kardinalfehlern, mit welchem Versagen! Wirklich glücklich ist, wer mitten in der Dunkelheit der Kunst sich nicht das Genick bricht. Aber ich habe ein Lebenslicht, das mich führt, ich habe ein Ziel, ich weiß, was gut und was schön ist, es gibt Augenblicke, an denen ich glaube, dorthin zu gelangen, - und dann sinkt eine dunkle Wolke auf mich hernieder."

Selbstzweifel quälten Georges Bizet nicht nur als junger Mann, sie zogen sich durch sein Leben und mögen auch an seinem relativ knappen Werkverzeichnis schuld sein. Im Konzertrepertoire finden sich von Bizet heute noch neben seiner Symphonie in C-Dur, die Roma-Symphonie sowie die Arlésienne-Suite.
Auch die Abhängigkeit vom schwankenden Interesse der Dirigenten und Theaterdirektoren machte Bizet zu schaffen, viele seiner Opern ließ er unvollendet. Beinahe wäre auch die Uraufführung von "Carmen" nach der gleichnamigen Novelle von Prosper Mérimée nicht zustande gekommen. ...

"Mérimées Carmen? Wird sie nicht von ihrem Liebhaber umgebracht? Und dies Milieu von Dieben, Zigeunerinnen und Tabakreitern!"

So Camille Du Locle, Direktor der Pariser Opéra-Comique. Ihm erschien Bizets "Carmen" zu gewagt.

"Ein Tod auf der Bühne der Opéra-Comique. So etwas hat es nie zuvor gegeben. Nie!"

Bizet selbst erwartete einen "endgültigen und hoffnungslosen Reinfall".

Doch das Fiasko blieb aus. Die Uraufführung am 3. März 1875 nahmen die Pariser Zuhörer lediglich mit reservierter Kühle auf: Die einen, weil ihnen der Stoff zu wenig schicklich, die anderen, weil ihnen die Musik zu schwierig und "intellektuell" erschien.
Die große Ausdruckspalette der Oper, welche vom lyrischen Ton bis hin zu größter Dramatik reicht und das Bühnengeschehen nicht nur illustriert, sondern auch mit musikalischen Mitteln entwickelt, sprengte die Hörgewohnheiten des traditionellen Publikums und fand erst später ihre Liebhaber.

Bizet starb drei Monate nach der Uraufführung, im Alter von 37 Jahren, am 3. Juni 1875 in Bougival bei Paris an einer tödlichen Herzattacke.
Den weltweiten Erfolg seiner Oper konnte er nicht mehr erleben.