''Zu Karl und Rosa''
Der so genannte Sozialisten-Friedhof in Berlin-Friedrichsfelde - Ruhestätte von Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und anderer Sozialisten - blickt auf eine wechselhafte Geschichte zurück. Nach seiner Gründung 1881 war er einer der ersten Reform-Friedhöfe Deutschlands, wurde mit der Beisetzung des Mitbegründers der Sozialdemokraten, Wilhelm Liebknecht und anderer SPD-Funktionäre zum "Sozialistenfriefhof" und war zu DDR-Zeiten eine Pilgerstätte des Politbüros mit Volksanhang.
Vergänglich wie der Zweck eines Friedhofes sind auch die Zeiten, die er erlebt. Dass er heute nicht völlig in Vergessenheit geraten ist, ist dem "Förderkreis Erinnerungsstätte der deutschen Arbeiterbewegung" zu verdanken. Vor sechs Jahre wurde er gegründet. Die Mitglieder kommen aus Ost und West; sind Sozialisten und Sozialdemokraten. Und Manchmal schlagen sie noch die Schlachten vergangener Zeiten. Michael Frantzen war Beobachter.
Hofmann: "Absolutes Faszinosum – dieser Friedhof."
Hier in Friedrichsfelde, tief im Osten Berlins.
Hofmann: "Hier liegen Täter und Opfer bei einander."
Wilhelm Pieck beispielsweise, der erste Vorsitzende der SED, der mit dafür sorgte, dass Max Fechner, der erste Justizminister der DDR, nach dem 17. Juni 1953 im Gefängnis landete.
Hofmann: "Für manch einen hinterlässt es auch son bisschen den Eindruck der Kreml-Mauer der DDR."
Hier in der "Gedenkstätte" des Friedhofs, wo sie begraben liegen – die "unsterblichen Kämpfer für den Sozialismus."
Wörmann: "Es geht um eine objektive Auseinandersetzung mit Geschichte." "Nicht diesen Blödsinn: Stalin war so zusagen der große Held. Ist doch alles Unsinn!"
Mann: "Na, sicher war er’s..."
Ausgerechnet Alt-Stalinisten! Die haben Wilhelm Wörmann gerade noch gefehlt. Dabei hat es das Vorstandsmitglied des Förderkreises der "Erinnerungsstätte der deutschen Arbeiterbewegung Berlin-Friedrichsfelde" fast schon kommen sehen. Hatten sich ja angekündigt: KPD und Kommunistische Plattform der Linkspartei. Dass sie gegen die Einweihung des Gedenksteins für die Opfer des Stalinismus direkt gegenüber der Gedenkstätte der Sozialisten heute demonstrieren würden.
Sollen sie halt! Wilhelm Wörmann – linker Sozialdemokrat aus dem Westteil der Stadt - hat schon ganz andere Schlachten geschlagen. Im Förderkreis beispielsweise. Als sich Sozialdemokraten und Sozialisten damals, vor sechs Jahren, bei der Gründung, erst einmal zusammen raufen mussten, um das gegenseitige Misstrauen zu überwinden. Und zig Sitzungen brauchten, um sich zu einigen: Ja, wir bringen den Sozialistenfriedhof wieder auf Vordermann. Gemeinsam. Und: Ja, wir einigen uns auf eine begleitende Ausstellung.
"Die Diskussion um die Ausstellung, wo wir gerade auch stehen, das war wirklich noch mal die Schlacht der KPD und SPD des 20. Jahrhunderts, die wir noch mal geschlagen haben. Das zeigte aber auch, dass es immer möglich ist, Wege und Kompromisse zu finden. Diese Ausstellung ist für mich ein Beispiel dafür, dass man wirklich nen Kompromiss über Texte, über Kommata, Formulierungen... dass das ne geistige Leistung ist. Nen guter Kompromiss ne geistige Leistung ist, nicht ne Niederlage."
Hofmann: "Ich gehöre fast zum Inventar."
Da hat er nicht ganz unrecht: Jürgen Hofmann. Es gibt in Berlin wohl kaum jemanden, der so gut Bescheid weiß über den "Sozialistenfriedhof" wie der Mann, der für die Linkspartei im Bezirksparlament von Lichtenberg sitzt. Ist ja auch Historiker. Zu DDR-Zeiten war der Anfang 60-Jährige an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften. Aber die ist genau so untergegangen wie die DDR. Für Hofmann hieß das: Job verloren, nur noch Einzelprojekte, noch mal von vorne anfangen.
Hofmann hat jetzt mehr Zeit. Viel mehr Zeit. Der "Sozialistenfriedhof" kam da wie gerufen. Wobei: Das mit dem "Sozialistenfriedhof" ist dem Fachmann zu flapsig. Liegen ja nicht nur Sozialisten auf dem 32 Hektar großen städtischen Friedhof begraben. Bürgerliche sind darunter: Die Familie von Bismarcks Hofbankier Gerson von Bleichschröder zum Beispiel.
"Diese Gedenkstätte ist aus meiner Sicht nicht nur ein wichtige Traditionsstätte, sondern auch ein wichtiges Kulturgut; ein wichtiges Berliner Kulturgut. Es ja auch Denkmal. Und wenn wir wollen, dass diese Gedenkstätte in der Öffentlichkeit angenommen wird, auch kritisch reflektiert wird auch meinetwegen – dann muss das auf eine breite Basis gestellt werden. Uns war von Anfang an klar: Dieser Förderkreis kann nur existieren, wenn Personen sowohl aus der Sozialdemokratie wie aus der Linkspartei/PDS sich in diesem Förderkreis engagieren."
So wie Holger Hübner, der Vorsitzende des Förderkreises. Sozialdemokrat, zu Wendezeiten Redenschreiber beim Regierenden Bürgermeister Walter Momper, seit 2001 Öffentlichkeitsarbeiter im Fachbereich Soziale Stadt. Klassische West-Berliner Biographie. Könnte man meinen. Doch Hübner denkt gesamt-berlinerisch. Ist sich der gemeinsamen Tradition Berliner Sozialdemokraten und Sozialisten bewusst. Deshalb wurde der Mann aus Berlin-Schmargendorf auch Ende der 90er aktiv, als der Friedhof immer mehr vergammelte und Rechtsradikale einzelne Gräber mit Hakenkreuzen besprühten.
"Also, es könnte auch nicht sein, dass wir allein sagen: Wir stellen das wieder her und sichern es und sanieren; dass wir die Mittel dafür bekommen. Sondern: Die Anlage konnte nicht unkommentiert bleiben. Man muss es auch gerade nachwachsenden Menschen erklären, was es denn damit auf sich hat; wer dort beigesetzt ist; also da liegen der letzte demokratisch legitimierte Reichskanzler der Weimarer Republik, Hermann Müller-Franken, da liegen führende Frauen aus der frühen sozialistischen, sozialdemokratischen Bewegung: Emma Ihra, Luise Zietz."
Lauter Sozialdemokraten also, nicht nur Kommunisten. Doch das geriet spätestens 1951 in Vergessenheit, als Wilhelm Pieck die "Gedenkstätte der Sozialisten" einweihte - samt ihres vier Meter hohen Monolithen mit der Aufschrift: "Die Toten mahnen uns."
"Hier stehen wir auf dem historischen Hauptweg. Hier sind immer die Kolonnen entlang gezogen. Ganz hinten ans Ende des Friedhofs zu den Gräbern von Karl, Rosa und Genossen."
Karl und Rosa! Da bekommt Jürgen Hofmann immer noch leuchtende Augen. Um 1970 muss er das erste Mal dabei gewesen sein: Bei der traditionellen Januardemonstration zum Andenken an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, diesen beiden Säulenheiligen vieler Sozialisten! Stundenlang marschierten sie damals, oft in eisiger Kälte.
"Es gab ein Bedürfnis der Berliner, die sich links empfanden, hier ihren Vorkämpfern die Ehre zu erweisen. Und das kontrastiert natürlich dann damit, dass im Laufe der Zeit diese Totenehrung immer mehr erstarrte zu einem Ritual: Der Ehrung des Politbüros des ZK der SED. Hier zum Beispiel: Sehen Sie diese schmalen Schlitze? Darunter befindet sich ein Heizluftkanal. Die bliesen Heizluft herein, dass das Politbüro keine kalten Füße bekommt. Sie bekamen dann doch kalte Füße, aber das war kein klimatisches, sondern ein politisches Problem."
Emmrich: "Dass sich die Stimmung anfing zu ändern. Bei einem selber auch so ein bisschen die Frage auftauchte: Mein Gott, wir huldigen der Partei- und Staatsführung. Und kommen doch eigentlich wegen Rosa und Karl."
Wer hätte das gedacht: DDR-kritische Töne ausgerechnet von Christina Emmrich, der Lichtenberger Bezirksbürgermeisterin. Auch sie Mitglied im Förderkreis des Friedhofes. Die Frau von der Linkspartei sorgte letztes Jahr für Schlagzeilen, weil sie tatenlos zusah, wie ehemalige Stasi-Mitarbeiter eine Veranstaltung mit ihren Tiraden kaperten. Spätestens seitdem geistert die Emmrich in der Berliner Presse immer mal wieder herum als ostalgisches DDR-Muttchen. Passt ja auch ganz gut: Ehemaliges SED-Mitglied, sächsischer Akzent, rot gefärbtes Haar. Schublade auf, Schublade zu.
Emmrich ist links. Eine Tradionalistin, die auch vor Pathos nicht zurück schreckt.
"Etwas Besseres kann einem fast nicht passieren, dass man im Bezirk eine solche Erinnerungsstätte an die Arbeiterbewegung hat. Weil wenn sie sehen, wer hier seine letzte Ruhestätte gefunden hat, sind das natürlich hervorragende Führer der kommunistischen Partei; es sind Rosa und Karl, ganz logisch. Dass also hier die Kraft, die in einem Volke innewohnt, die sich für Frieden und Völkerverständigung einsetzt, hier so zusagen komprimiert vorhanden ist."
Wörmann: "Es geht um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gerade!"
Mann: "Alles das dient mit dazu, um die DDR immer mehr und immer weiter zu verunglimpfen."
Wörmann: "Völliger Blödsinn!"
Mann: "Aber sicher!"
Wörmann: "Nein, nein!..."
Sie lassen einfach nicht locker: Die rund 30 Alt-Stalinisten, fast alle jenseits der 70, für die Stalin ein Held war und die auf Spruchbändern Kund tun: "Lieber wieder Ostdiktatur - als diese Freiheit."
Wörmann: "Sie dürfen nicht vergessen: Diese alten Konflikte, die ja nie richtig diskutiert worden sind. Mal nen Beispiel: Walter Ulbricht liegt neben Rudolf Breitscheid. Oder Ernst Thälmann liegt neben Franz Künstler. Rudolf Breitscheid als Sozialdemokrat, Walter Ulbricht als Kommunist, Ernst Thälmann als Kommunist, Franz Künstler als Sozialdemokrat. Die waren spinnefeind. Wir Sozialdemokraten waren für die andere Seite nicht etwa Feind Nummer Zwei: Wir waren Feind Nummer Eins! Wir waren nämlich Sozialfaschisten. Diesen Begriff muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Wir waren Sozialfaschisten. Wir waren Feind Nummer eins. Die Arbeiterverräter!"
Findet Wilhelm Wörmann. Die alten Konflikte spiegeln sich auch in der Anordnung des Friedhofs wider.
Hübner: "Während der vordere Teil so im Volksmund den Beinamen hatte: Der Feldherrenhügel, wurde der hintere Teil son bisschen abgestempelt – ich sag das in Anführungszeichen – als Verbrecherecke."
Dort lagen zu Kaisers und Weimarer Zeiten die Kommunisten begraben, auf dem Feldherrenhügel der sozialdemokratischen Elite hatte sie nichts verloren. So war das damals. Mag zwar mehr als 80 Jahre her sein – doch dieses Schisma – diagnostiziert Holger Hübner – habe eine unglaublich lange Haltbarkeitszeit. Genau wie die verschiedenen Identitäten: Hier Ost, da West. Ist im Förderkreis genauso.
Hübner. "Was 40 Jahre auseinander gewesen ist, das braucht auch Jahrzehnte, bis es wieder zusammen wächst. Einer der Knackpunkte in der Formulierung war zum Beispiel das Wort ‚Zwangsvereinigung’ bei der Bildung der SED. Also dem Zusammenschluss von SPD und KPD. Das wollten wir drin haben. Von der sozialdemokratischen Seite. Das haben wir als Wort nicht rein bekommen."
In den Ausstellungstext. Stattdessen ist jetzt davon die Rede, dass der Zusammenschluss "auch unter Anwendung direkten Zwangs" zu Stande kam.
"Na klar ist es so: Wenn man da miteinander ringt, um Formulierungen: Dass es einen manchmal schon auf den Geist geht und man sagt: Na, nu! Aber das wird allen so gegangen sein, von allen Seiten, klar!"
Hofmann: "Hier: Deswegen ist hier son Ehrengrab: Emil Fuchs. Theologe. Wir haben uns den Weg nicht so schwer gedacht. Aber wir würden ihn doch wieder wählen. Hat er ja selbst als Grabspruch gewählt.""
Wenn man so will, ist Emil Fuchs so etwas wie ein Seelenverwandter von Jürgen Hofmann. Jemand, der bis zum Schluss an den Sozialismus geglaubt hat; der seinen Prinzipien treu geblieben ist; es sich nicht leicht gemacht hat.
Tut Jürgen Hofmann auch nicht. Sitzt für die Linkspartei im Kulturausschuss von Lichtenberg – aus "Verantwortung", wie er sagt. Und als "Wiedergutmachung" für das, was vor ‘89 schief gelaufen ist – in der DDR. Hofmann war er in der SED, hat Entscheidungen mit getragen.
"Wir haben uns tatsächlich den Weg nicht so schwer gedacht, auch nicht so kompliziert gedacht. Wir haben auch viele Jahre nicht über Niederlagen, über mögliche Niederlagen nachgedacht. Und insofern ist die Erfahrung der letzten Jahre eine sehr wichtige Erfahrung. Und da muss man sich entscheiden, ob man von den Überzeugungen seiner Jugend Abstand nimmt. Oder ob man diesen Überzeugungen mit den Erfahrungen der Niederlage weiter verfolgt."
Eine Niederlage musste auch Christina Emmrich einstecken: Bei den Kommunalwahlen letztes Jahr. Massive Stimmenverluste. Immerhin hat sie sich als Bürgermeisterin von Lichtenberg halten können; will sie weiter den Spagat schaffen zwischen "den Idealen von Rosa und Karl" und dem real existierenden politischen Geschäft.
Die Stimmung in ihrem Bezirk ist in der letzten Zeit nicht gerade berauschend gewesen: Hohe Arbeitslosigkeit, immer wieder ausländerfeindliche Übergriffe von Rechtsradikalen, die NPD in der Bezirksverordnung - dazu der alltägliche Frust.
"Dass eben doch deutlich wird, dass die Entwicklung der Bundesrepublik, ja, doch schon sehr problematisch ist. Wenn man sieht, was sich im Hartz IV Bereich abspielt; was die Gesundheitsreform bringen wird; dass Wut und Frust... das nimmt schon wieder zu."
Wut?! Frust?! Kennt Wilhelm Wörmann auch. Wenn er bei Leuten wie den Alt-Stalinisten von vorhin auf Granit stößt – er, der Mann aus der Erwachsenenbildung, der immer noch an die Kraft des Wortes glaubt. Dass man Kompromisse finden kann. Haben sie im Förderkreis ja auch geschafft: Ossis und Wessis, Sozialdemokraten und Sozialisten, Junge und Alte. Weil sie irgendwann bei allem Trennenden festgestellt hätten: "Uns verbindet ja doch einiges." Die gemeinsamen Wurzeln, gemeinsame Ideale, die linke Politik.
Wörmann: "Linke Politik?! Ach! Das ist so kompliziert. Linke Politik ist für mich Einsetzen für Partizipation, für Demokratie, für Menschenrechte. Für soziale Gerechtigkeit. Und eine objektive – zumindest den Versuch – Würdigung der Geschichte."
Hofmann: "Wir gehen jetzt dem Ausgang zu. Wir gehen vorbei noch mal bei den religiösen Sozialisten vorbei..."
Etliche Gräber haben sie inzwischen auf dem Sozialistenfriedhof mit Lottomitteln renovieren können – Jürgen Hofmann und seine Mitstreiter. Die von Opfern und Tätern, von Linientreuen und Verfehmten, von Rosa und Karl.
Hofmann: "Absolutes Faszinosum – dieser Friedhof."
Hier in Friedrichsfelde, tief im Osten Berlins.
Hofmann: "Hier liegen Täter und Opfer bei einander."
Wilhelm Pieck beispielsweise, der erste Vorsitzende der SED, der mit dafür sorgte, dass Max Fechner, der erste Justizminister der DDR, nach dem 17. Juni 1953 im Gefängnis landete.
Hofmann: "Für manch einen hinterlässt es auch son bisschen den Eindruck der Kreml-Mauer der DDR."
Hier in der "Gedenkstätte" des Friedhofs, wo sie begraben liegen – die "unsterblichen Kämpfer für den Sozialismus."
Wörmann: "Es geht um eine objektive Auseinandersetzung mit Geschichte." "Nicht diesen Blödsinn: Stalin war so zusagen der große Held. Ist doch alles Unsinn!"
Mann: "Na, sicher war er’s..."
Ausgerechnet Alt-Stalinisten! Die haben Wilhelm Wörmann gerade noch gefehlt. Dabei hat es das Vorstandsmitglied des Förderkreises der "Erinnerungsstätte der deutschen Arbeiterbewegung Berlin-Friedrichsfelde" fast schon kommen sehen. Hatten sich ja angekündigt: KPD und Kommunistische Plattform der Linkspartei. Dass sie gegen die Einweihung des Gedenksteins für die Opfer des Stalinismus direkt gegenüber der Gedenkstätte der Sozialisten heute demonstrieren würden.
Sollen sie halt! Wilhelm Wörmann – linker Sozialdemokrat aus dem Westteil der Stadt - hat schon ganz andere Schlachten geschlagen. Im Förderkreis beispielsweise. Als sich Sozialdemokraten und Sozialisten damals, vor sechs Jahren, bei der Gründung, erst einmal zusammen raufen mussten, um das gegenseitige Misstrauen zu überwinden. Und zig Sitzungen brauchten, um sich zu einigen: Ja, wir bringen den Sozialistenfriedhof wieder auf Vordermann. Gemeinsam. Und: Ja, wir einigen uns auf eine begleitende Ausstellung.
"Die Diskussion um die Ausstellung, wo wir gerade auch stehen, das war wirklich noch mal die Schlacht der KPD und SPD des 20. Jahrhunderts, die wir noch mal geschlagen haben. Das zeigte aber auch, dass es immer möglich ist, Wege und Kompromisse zu finden. Diese Ausstellung ist für mich ein Beispiel dafür, dass man wirklich nen Kompromiss über Texte, über Kommata, Formulierungen... dass das ne geistige Leistung ist. Nen guter Kompromiss ne geistige Leistung ist, nicht ne Niederlage."
Hofmann: "Ich gehöre fast zum Inventar."
Da hat er nicht ganz unrecht: Jürgen Hofmann. Es gibt in Berlin wohl kaum jemanden, der so gut Bescheid weiß über den "Sozialistenfriedhof" wie der Mann, der für die Linkspartei im Bezirksparlament von Lichtenberg sitzt. Ist ja auch Historiker. Zu DDR-Zeiten war der Anfang 60-Jährige an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften. Aber die ist genau so untergegangen wie die DDR. Für Hofmann hieß das: Job verloren, nur noch Einzelprojekte, noch mal von vorne anfangen.
Hofmann hat jetzt mehr Zeit. Viel mehr Zeit. Der "Sozialistenfriedhof" kam da wie gerufen. Wobei: Das mit dem "Sozialistenfriedhof" ist dem Fachmann zu flapsig. Liegen ja nicht nur Sozialisten auf dem 32 Hektar großen städtischen Friedhof begraben. Bürgerliche sind darunter: Die Familie von Bismarcks Hofbankier Gerson von Bleichschröder zum Beispiel.
"Diese Gedenkstätte ist aus meiner Sicht nicht nur ein wichtige Traditionsstätte, sondern auch ein wichtiges Kulturgut; ein wichtiges Berliner Kulturgut. Es ja auch Denkmal. Und wenn wir wollen, dass diese Gedenkstätte in der Öffentlichkeit angenommen wird, auch kritisch reflektiert wird auch meinetwegen – dann muss das auf eine breite Basis gestellt werden. Uns war von Anfang an klar: Dieser Förderkreis kann nur existieren, wenn Personen sowohl aus der Sozialdemokratie wie aus der Linkspartei/PDS sich in diesem Förderkreis engagieren."
So wie Holger Hübner, der Vorsitzende des Förderkreises. Sozialdemokrat, zu Wendezeiten Redenschreiber beim Regierenden Bürgermeister Walter Momper, seit 2001 Öffentlichkeitsarbeiter im Fachbereich Soziale Stadt. Klassische West-Berliner Biographie. Könnte man meinen. Doch Hübner denkt gesamt-berlinerisch. Ist sich der gemeinsamen Tradition Berliner Sozialdemokraten und Sozialisten bewusst. Deshalb wurde der Mann aus Berlin-Schmargendorf auch Ende der 90er aktiv, als der Friedhof immer mehr vergammelte und Rechtsradikale einzelne Gräber mit Hakenkreuzen besprühten.
"Also, es könnte auch nicht sein, dass wir allein sagen: Wir stellen das wieder her und sichern es und sanieren; dass wir die Mittel dafür bekommen. Sondern: Die Anlage konnte nicht unkommentiert bleiben. Man muss es auch gerade nachwachsenden Menschen erklären, was es denn damit auf sich hat; wer dort beigesetzt ist; also da liegen der letzte demokratisch legitimierte Reichskanzler der Weimarer Republik, Hermann Müller-Franken, da liegen führende Frauen aus der frühen sozialistischen, sozialdemokratischen Bewegung: Emma Ihra, Luise Zietz."
Lauter Sozialdemokraten also, nicht nur Kommunisten. Doch das geriet spätestens 1951 in Vergessenheit, als Wilhelm Pieck die "Gedenkstätte der Sozialisten" einweihte - samt ihres vier Meter hohen Monolithen mit der Aufschrift: "Die Toten mahnen uns."
"Hier stehen wir auf dem historischen Hauptweg. Hier sind immer die Kolonnen entlang gezogen. Ganz hinten ans Ende des Friedhofs zu den Gräbern von Karl, Rosa und Genossen."
Karl und Rosa! Da bekommt Jürgen Hofmann immer noch leuchtende Augen. Um 1970 muss er das erste Mal dabei gewesen sein: Bei der traditionellen Januardemonstration zum Andenken an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, diesen beiden Säulenheiligen vieler Sozialisten! Stundenlang marschierten sie damals, oft in eisiger Kälte.
"Es gab ein Bedürfnis der Berliner, die sich links empfanden, hier ihren Vorkämpfern die Ehre zu erweisen. Und das kontrastiert natürlich dann damit, dass im Laufe der Zeit diese Totenehrung immer mehr erstarrte zu einem Ritual: Der Ehrung des Politbüros des ZK der SED. Hier zum Beispiel: Sehen Sie diese schmalen Schlitze? Darunter befindet sich ein Heizluftkanal. Die bliesen Heizluft herein, dass das Politbüro keine kalten Füße bekommt. Sie bekamen dann doch kalte Füße, aber das war kein klimatisches, sondern ein politisches Problem."
Emmrich: "Dass sich die Stimmung anfing zu ändern. Bei einem selber auch so ein bisschen die Frage auftauchte: Mein Gott, wir huldigen der Partei- und Staatsführung. Und kommen doch eigentlich wegen Rosa und Karl."
Wer hätte das gedacht: DDR-kritische Töne ausgerechnet von Christina Emmrich, der Lichtenberger Bezirksbürgermeisterin. Auch sie Mitglied im Förderkreis des Friedhofes. Die Frau von der Linkspartei sorgte letztes Jahr für Schlagzeilen, weil sie tatenlos zusah, wie ehemalige Stasi-Mitarbeiter eine Veranstaltung mit ihren Tiraden kaperten. Spätestens seitdem geistert die Emmrich in der Berliner Presse immer mal wieder herum als ostalgisches DDR-Muttchen. Passt ja auch ganz gut: Ehemaliges SED-Mitglied, sächsischer Akzent, rot gefärbtes Haar. Schublade auf, Schublade zu.
Emmrich ist links. Eine Tradionalistin, die auch vor Pathos nicht zurück schreckt.
"Etwas Besseres kann einem fast nicht passieren, dass man im Bezirk eine solche Erinnerungsstätte an die Arbeiterbewegung hat. Weil wenn sie sehen, wer hier seine letzte Ruhestätte gefunden hat, sind das natürlich hervorragende Führer der kommunistischen Partei; es sind Rosa und Karl, ganz logisch. Dass also hier die Kraft, die in einem Volke innewohnt, die sich für Frieden und Völkerverständigung einsetzt, hier so zusagen komprimiert vorhanden ist."
Wörmann: "Es geht um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gerade!"
Mann: "Alles das dient mit dazu, um die DDR immer mehr und immer weiter zu verunglimpfen."
Wörmann: "Völliger Blödsinn!"
Mann: "Aber sicher!"
Wörmann: "Nein, nein!..."
Sie lassen einfach nicht locker: Die rund 30 Alt-Stalinisten, fast alle jenseits der 70, für die Stalin ein Held war und die auf Spruchbändern Kund tun: "Lieber wieder Ostdiktatur - als diese Freiheit."
Wörmann: "Sie dürfen nicht vergessen: Diese alten Konflikte, die ja nie richtig diskutiert worden sind. Mal nen Beispiel: Walter Ulbricht liegt neben Rudolf Breitscheid. Oder Ernst Thälmann liegt neben Franz Künstler. Rudolf Breitscheid als Sozialdemokrat, Walter Ulbricht als Kommunist, Ernst Thälmann als Kommunist, Franz Künstler als Sozialdemokrat. Die waren spinnefeind. Wir Sozialdemokraten waren für die andere Seite nicht etwa Feind Nummer Zwei: Wir waren Feind Nummer Eins! Wir waren nämlich Sozialfaschisten. Diesen Begriff muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Wir waren Sozialfaschisten. Wir waren Feind Nummer eins. Die Arbeiterverräter!"
Findet Wilhelm Wörmann. Die alten Konflikte spiegeln sich auch in der Anordnung des Friedhofs wider.
Hübner: "Während der vordere Teil so im Volksmund den Beinamen hatte: Der Feldherrenhügel, wurde der hintere Teil son bisschen abgestempelt – ich sag das in Anführungszeichen – als Verbrecherecke."
Dort lagen zu Kaisers und Weimarer Zeiten die Kommunisten begraben, auf dem Feldherrenhügel der sozialdemokratischen Elite hatte sie nichts verloren. So war das damals. Mag zwar mehr als 80 Jahre her sein – doch dieses Schisma – diagnostiziert Holger Hübner – habe eine unglaublich lange Haltbarkeitszeit. Genau wie die verschiedenen Identitäten: Hier Ost, da West. Ist im Förderkreis genauso.
Hübner. "Was 40 Jahre auseinander gewesen ist, das braucht auch Jahrzehnte, bis es wieder zusammen wächst. Einer der Knackpunkte in der Formulierung war zum Beispiel das Wort ‚Zwangsvereinigung’ bei der Bildung der SED. Also dem Zusammenschluss von SPD und KPD. Das wollten wir drin haben. Von der sozialdemokratischen Seite. Das haben wir als Wort nicht rein bekommen."
In den Ausstellungstext. Stattdessen ist jetzt davon die Rede, dass der Zusammenschluss "auch unter Anwendung direkten Zwangs" zu Stande kam.
"Na klar ist es so: Wenn man da miteinander ringt, um Formulierungen: Dass es einen manchmal schon auf den Geist geht und man sagt: Na, nu! Aber das wird allen so gegangen sein, von allen Seiten, klar!"
Hofmann: "Hier: Deswegen ist hier son Ehrengrab: Emil Fuchs. Theologe. Wir haben uns den Weg nicht so schwer gedacht. Aber wir würden ihn doch wieder wählen. Hat er ja selbst als Grabspruch gewählt.""
Wenn man so will, ist Emil Fuchs so etwas wie ein Seelenverwandter von Jürgen Hofmann. Jemand, der bis zum Schluss an den Sozialismus geglaubt hat; der seinen Prinzipien treu geblieben ist; es sich nicht leicht gemacht hat.
Tut Jürgen Hofmann auch nicht. Sitzt für die Linkspartei im Kulturausschuss von Lichtenberg – aus "Verantwortung", wie er sagt. Und als "Wiedergutmachung" für das, was vor ‘89 schief gelaufen ist – in der DDR. Hofmann war er in der SED, hat Entscheidungen mit getragen.
"Wir haben uns tatsächlich den Weg nicht so schwer gedacht, auch nicht so kompliziert gedacht. Wir haben auch viele Jahre nicht über Niederlagen, über mögliche Niederlagen nachgedacht. Und insofern ist die Erfahrung der letzten Jahre eine sehr wichtige Erfahrung. Und da muss man sich entscheiden, ob man von den Überzeugungen seiner Jugend Abstand nimmt. Oder ob man diesen Überzeugungen mit den Erfahrungen der Niederlage weiter verfolgt."
Eine Niederlage musste auch Christina Emmrich einstecken: Bei den Kommunalwahlen letztes Jahr. Massive Stimmenverluste. Immerhin hat sie sich als Bürgermeisterin von Lichtenberg halten können; will sie weiter den Spagat schaffen zwischen "den Idealen von Rosa und Karl" und dem real existierenden politischen Geschäft.
Die Stimmung in ihrem Bezirk ist in der letzten Zeit nicht gerade berauschend gewesen: Hohe Arbeitslosigkeit, immer wieder ausländerfeindliche Übergriffe von Rechtsradikalen, die NPD in der Bezirksverordnung - dazu der alltägliche Frust.
"Dass eben doch deutlich wird, dass die Entwicklung der Bundesrepublik, ja, doch schon sehr problematisch ist. Wenn man sieht, was sich im Hartz IV Bereich abspielt; was die Gesundheitsreform bringen wird; dass Wut und Frust... das nimmt schon wieder zu."
Wut?! Frust?! Kennt Wilhelm Wörmann auch. Wenn er bei Leuten wie den Alt-Stalinisten von vorhin auf Granit stößt – er, der Mann aus der Erwachsenenbildung, der immer noch an die Kraft des Wortes glaubt. Dass man Kompromisse finden kann. Haben sie im Förderkreis ja auch geschafft: Ossis und Wessis, Sozialdemokraten und Sozialisten, Junge und Alte. Weil sie irgendwann bei allem Trennenden festgestellt hätten: "Uns verbindet ja doch einiges." Die gemeinsamen Wurzeln, gemeinsame Ideale, die linke Politik.
Wörmann: "Linke Politik?! Ach! Das ist so kompliziert. Linke Politik ist für mich Einsetzen für Partizipation, für Demokratie, für Menschenrechte. Für soziale Gerechtigkeit. Und eine objektive – zumindest den Versuch – Würdigung der Geschichte."
Hofmann: "Wir gehen jetzt dem Ausgang zu. Wir gehen vorbei noch mal bei den religiösen Sozialisten vorbei..."
Etliche Gräber haben sie inzwischen auf dem Sozialistenfriedhof mit Lottomitteln renovieren können – Jürgen Hofmann und seine Mitstreiter. Die von Opfern und Tätern, von Linientreuen und Verfehmten, von Rosa und Karl.