Zu Hause in den Verbrecherhöhlen

30.07.2013
In Zagreb versammeln sich in den 90er-Jahren Geheimdienstmitarbeiter, Elitesoldaten, Mafiosi. Jeder versucht, den Übergang vom Sozialismus in die Demokratie zu bewältigen. In dem Roman "Ich träumte von Elefanten" kommen dabei nicht nur Kriegsverbrechen ans Tageslicht.
Zagreb, die überschaubare Hauptstadt Kroatiens, gleicht in Ivica Djikics Roman "Ich träumte von Elefanten" einem sizilianischen Mafianest. Politik und organisiertes Verbrechen sind Synonyme, Kriminelle benutzen den Staat in den 1990er-Jahren als Beute und Operationsbasis. Djikic erzählt drastisch und spannend von der Transformation, dem Übergang vom Sozialismus zur Demokratie.

Boško Krstanovic, Mitarbeiter des Geheimdienstes, erfährt, dass sein Vater erschossen wurde. Von der Vaterschaft weiß niemand, nicht einmal der Vater Andrija Sucic selbst - Boško wuchs bei der Mutter auf. Sucic wurde getötet, weil der Elitesoldat und Präsidentenleibwächter Journalisten von ethnischen Säuberungen in den jugoslawischen Kriegen erzählte, in denen er und seine Kameraden auf Geheiß der obersten Militärführung Serben folterten und exekutierten.

Boško vermutet, dass sein "heimlicher Vater" von den damals wie heute Mächtigen ermordet wurde, und zieht vorsichtig Erkundigungen ein. Der vaterlos Aufgewachsene, eigentlich zuständig für organisierte Kriminalität, will ohnehin in die politische Abteilung versetzt werden, um die neue Republik zu schützen.

Djikic stellt dem eher ängstlichen Agenten eine forsche Staatsanwältin zur Seite. Mara Ištuk ermittelt gegen den Kapitalverbrecher Jadran Rimac. Sie wird Boškos Geliebte und Widerpart. Während Boško die Wahrheit für absolut hält und jeden Gedanken an ein Motiv für eine Handlung abwehrt, weil es die Wahrheit relativiere und beschmutze, plädiert Mara dafür, beides zusammen zu denken.

Im kriminellen Sumpf
Ironischerweise verschweigt Boško nicht nur Mara gegenüber sein Motiv für die Ermittlungen über Sucic, seinen ermordeten Vater, und ironischerweise verschweigt Mara ihm lange Zeit, dass sie mehrmals mit ihrem Ermittlungsobjekt Rimac schlief. Niemand steht außerhalb und über dem kriminellen Sumpf.

Statt nachträglicher kriminalistischer Ermittlungen erzählt Ivica Djikic das kriminelle Geschehen: Wie Rimac' Karriere in "drei Straßen in Frankfurt, in denen nicht deutsch gesprochen wurde", begann, wo ihn ein serbischer Freund mit dem sprechenden Namen Bumbar anleitete, wie Magaš, ein Staatsanwalt mit besten Kontakten, zu seiner rechten Hand wurde, wie er in Frankfurt mit Radic zusammenarbeitete, der nach 1991 zum Geheimdienstchef aufstieg. Das Geschäftsmodell auf Gegenseitigkeit endet, weil Präsident Franjo Tudjman 1999 im Sterben liegt. Der Machtkampf in Staat und Mafia fordert Tote.

Ivica Djikic, 1977 geborener Journalist und unter anderem Verfasser einer Biografie des Generals Ante Gotovina, ist ein über weite Strecken spannender, dazu kluger Zeitroman gelungen. Er wechselt beständig Tempo, Zeiten und Erzählperspektiven, bringt Tote zum Sprechen, ist in Verbrecherhöhlen ebenso zu Hause wie in staatlichen Büros, lässt en passant Wahrheits- und moralische Fragen diskutieren und Drohungen und Kugeln durch den Raum schwirren.

Die heikle Schuldfrage übrigens wird auf geschickte, groteske Weise behandelt: Die Leibwächter des Präsidenten misshandeln zwei Elefanten. Andrija Sucic, der "heimliche Vater" Boškos, wird zum Mitmachen gezwungen und versucht, seine Schuld später durch die Pflege eines Elefanten abzutragen.

Als seine Rente nicht mehr für das Futter reicht, will er mit Erzählungen von den Verbrechen seiner Einheit bei den ethnischen Säuberungen finanzielle Hilfe erpressen. Boško trennt Wahrheit und Motiv, Andrija Sucic spielt die kollektive gegen individuelle Schuld aus. Beide verlieren.

Besprochen von Jörg Plath

Ivica Djikic: Ich träumte von Elefanten
Aus dem Kroatischen von Patrik Alac
Verlag Antje Kunstmann
München 2013
237 Seiten, 19,95 Euro