Zu Hause Abschied nehmen

Von Ita Niehaus · 02.08.2008
Haben Sie sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, wie Sie sterben möchten? Sehr wahrscheinlich geht es Ihnen wie den meisten Menschen. Sie wünschen sich ein würdiges und selbstbestimmtes Leben bis zum Ende. Ambulante Palliativ- und Hospizdienste helfen unheilbar kranken Menschen, ihnen ein würdiges Leben bis zuletzt zu ermöglichen.
"Hallo, Herr Krause, wie geht’s Ihnen, hatten Sie eine gute Nacht?"

Mareile Preuschhof, die Leiterin des ambulanten Palliativ- und Hospizdienstes Hannover, besucht zusammen mit Schwester Heike den 77-jährigen Lothar Krause. Der ehemalige VW-Arbeiter ist seit 50 Jahren mit seiner Frau Rita verheiratet und genauso lange leben beide schon in ihrer Wohnung im Norden von Hannover. Anfang des Jahres bekam der Rentner die Diagnose: Bauchspeichel-Drüsenkrebs mit Metastasen. Ein Schock auch für Rita Krause:

"Das kam aus heiterem Himmel, da kann man nichts machen. Unser Hausarzt hat gesagt, machen Sie sich keine Gedanken, wenn da wirklich die Schmerzen los gehen, da wird was gemacht. Und das hat man auch in der Therapie gesagt beim Onkologen und jetzt sowieso. Und das ist schon ganz gut."

Lothar Krause entschied sich gegen eine Chemotherapie. Seitdem er die Palliativstation im Krankenhaus verlassen hat, betreut ihn der ambulante Palliativ- und Hospizdienst Hannover zu Hause. Schwester Heike Metje stimmt, nach Rücksprache mit den Ärzten, die Dosierung der Medikamente auf den jeweiligen Schmerz ab. Wichtig vor allem: die Schmerzen und die innere Unruhe nachts zu lindern.

Schwester Heike: "Ich bin zu ihnen gefahren, hab noch mal die Medikamente besprochen, den Entlassungsbrief, habe mich dem Hausarzt vorgestellt und habe Krauses eine Handy Nummer zur Verfügung gestellt, die 24 Stunden am Tag erreichbar ist."

Lothar Krause: "Die Tropfeneinstellung, das ist schon das Beste, sonst würde ich die Nächte nicht so gut überstehen."

Rita Krause: "Wenn ich abends reinkomme, meistens schläft er fest, dann wird er wach und sagt, du warst ja gar nicht hier. Ich sag, ja, ich hab’s mir ein bisschen gemütlich gemacht. Dann tastet seine Hand, da ist niemand und dann wird er unruhig. Wenn er weiß, ich bin neben ihm, dann ist das schon viel, viel besser. Und das ist doch schön so."

Seitdem Lothar Krause wieder zuhause ist, fühlt er sich besser. Denn: Seine Frau kümmert sich rund um die Uhr um ihn.

Rita Krause: "Wir sind im Moment glücklich, dass man die Hilfe nicht zu doll in Anspruch nehmen muss. Aber ich weiß, wenn Not am Mann ist, dann würde ich auch mal nachts anrufen."

Lothar und Rita Krause: "Wenn mir so geholfen werden kann, wie bis jetzt, dann bleibe ich lieber zuhause. Also ich habe mich so gefreut, wieder zurückzukommen."

Rita Krause: "Ich finde auch, wenn es irgendmöglich geht, dann ja."

Seit über 15 Jahren gibt es den ambulanten Palliativ- und Hospizdienst Hannover – in Trägerschaft der Diakoniestationen. Palliativschwestern – und mediziner, eine Seelsorgerin und zahlreiche ehrenamtliche Mitarbeiter sind 24 Stunden am Tag für die Schwerstkranken und ihre Angehörigen da. Der ambulante Palliativ- und Hospizdienst ist Mitglied im Palliativstützpunkt Hannover, in dem die ambulanten und stationären Angebote vernetzt und koordiniert werden. Denn um einen unheilbar kranken Menschen ein Lebensende in Würde zu ermöglichen, müssen viele Menschen an einem Strang ziehen.
Mareile Preuschhof hat den ambulanten Palliativ- und Hospizdienst Hannover mit aufgebaut. Sie weiß aus langjähriger Erfahrung: Die Wünsche und Erwartungen an ihre Mitarbeiter sind ganz unterschiedlich.

Mareile Preuschhof: "Die einen müssen unbedingt noch irgendwelche Dinge erledigen, was wichtig ist, bevor sie von der Welt gehen, andere möchten einfach mehr den Alltag genießen und natürlich wollen fast alle keine Schmerzen haben und liebevoll versorgt sein. Und auf die Wünsche zu achten, ist das, was die Würde ausmacht."

Schwester Heike Metje versucht daher nicht nur, die Schmerzen zu lindern. Sie berät, organisiert auch mal die Pflege mit, hält Kontakt zu den Ärzten, spricht mit den Angehörigen, tröstet und vor allem: sie hört zu.

Schwester Heike: "Wie wird es weitergehen mit meiner Familie nach dem Tod, was muss ich jetzt regeln, kann ich mit meiner Frau darüber sprechen, wie kriege ich das Problem mit meinem Sohn in den Griff, der meldet sich nicht mehr - also ganz oft entwickelt sich ein seelsorgerisches Gespräch oder eine Lebensbeichte, wie immer Sie es nennen wollen."

Heike Metje hat schon vielen Schwerstkranken geholfen. Ein Erlebnis hat sie besonders beeindruckt.
Schwester Heike: "Da hat ein Patient ganz starke Schmerzen gehabt und hat gesagt, er hätte gerne seine Zyankali Kapsel aus dem Krieg behalten, um sich damit aus dem Leben weg stehlen zu können. Und der hat dann gesagt, sie waren mein Engel. Durch sie durfte ich mein Enkelkind noch sehen, weil sie dafür gesorgt haben, dass die Schmerzen nicht mehr da sind."

Wichtig ist Schwester Heike auch, die Angehörigen dabei zu unterstützen, den Tod des geliebten Menschen zu akzeptieren.
Schwester Heike: "Dass derjenige oder diejenige sterben darf, dass sie nicht unnötig festgehalten wird von den Angehörigen. Du kannst mich doch jetzt nicht alleine lassen. Solche Dinge. Und die lassen sich in einem Gespräch ein bisschen lösen."

Zu Hause Abschied nehmen vom Leben - dabei helfen auch die zahlreichen ehrenamtlichen Mitarbeiter, wie zum Beispiel Eleonore Fromhold und Ute Kirsch.

Eleonore Fromhold: "Manchmal gibt es nichts zu tun. Die Hand halten, zusammen zu weinen, zu sagen, ja, es ist jetzt so. Also wirklich dann diesen Moment dann auch annehmen, ja diese traurigen, schweren Gefühle auch mittragen, das ist dann auch unsere Aufgabe."

Ute Kirsch: "Ihnen Mut machen, auch das anzuschauen, was schön war. In dieser belastenden Situation noch mal zu gucken, was mich stabilisiert hat im Leben, und darauf zu hoffen, zu vertrauen, dass das, was mich hier in diesem Leben gehalten hat, mich jetzt bei dem Durchgang zum Tod auch festhält."

Ute Kiersch begleitet seit 16 Jahren Schwerstkranke. Dabei hilft der 67-jährigen Rentnerin auch ihr christlicher Glaube.

Ute Kirsch: "Natürlich bin ich da auch in meinem Glauben gefragt, weil das Ende eine sehr spirituelle Angelegenheit ist. Oder, ich sag es mal anders: Indem ich Sterbende begleite, merke ich, wie spirituell unser ganzes Leben ist und wie durchlässig unsere ganze Existenz sein kann für Spirituelles."

Schwester Heike: "Die Angst vorm Sterben habe ich nicht verloren, aber ich weiß, wie ich später mal sterben möchte. Und - nicht nur ich gebe den Sterbenden und den Familien etwas, ich erhalte auch ganz viel zurück. Dass auch in schweren Situationen Freude sein kann und dass ich manchmal viele Dinge viel zu wichtig nehme, die gar nicht so viel Gewicht haben brauchen."

Lothar Krause schaut immer wieder zurück auf sein Leben - denkt oft an die schönen Zeiten. Zwischendurch ist da auch viel Trauer. Doch er versucht, jeden Moment bewusst zu genießen - gemeinsam mit der Familie, mit Freunden oder zu zweit abends auf dem Balkon.

Rita Krause: " Dann mach ich uns einen Sommerdrink, das ist ein Maracuja Saft und da kommt ein bisschen Curacao Blau rein und dann wird das so grünlich und dann denkt man, man ist im Urlaub."
Lothar Krause: "Erinnerungen kommen an früher, an Radtouren und so."