Zu Guttenberg: Afghanistan wird keine "Westminster"-Demokratie

Aus Afghanistan eine Demokratie nach "Westminster-Maßstäben" zu machen, sei angesichts der Geschichte und Kultur des Landes in seinen Augen eine "Illusion", sagte der Minister auf dem 66. Forum Pariser Platz, einer Veranstaltung von Deutschlandradio Kultur, Phoenix und der "Süddeutschen Zeitung".
Ziel werde sein, ein Grundmaß an Stabilität zu schaffen und dafür zu sorgen, dass von Afghanistan keine Gefährdung der internationalen Sicherheit ausgehe. Man müsse sich aber bewusst machen, dass nicht von jedem Aufständischen in Afghanistan "zwingend" eine Gefahr für die internationale Sicherheit ausgehe. "Jetzt mag man mir Zynismus vorwerfen, aber ich glaube, wir müssen diese Zielsetzungen auf ein realistisches Maß runterschrauben, um überhaupt über einen Erfolg sprechen zu können", so der CSU-Politiker.

Zu Guttenberg bekräftigte seine Äußerung, die deutschen Soldaten in Afghanistan befänden sich "in dem, was man umgangssprachlich als Krieg bezeichnet". Notwendig sei es, endlich Rechtssicherheit zu schaffen, sodass die Soldaten "nicht befürchten müssen, wenn sie mandatsgemäß von ihrer Waffe Gebrauch machen müssen, dass sie dann plötzlich bei uns vor dem Strafrichter stehen (…). Das ist absurd, schlichtweg absurd."

Der Verteidigungsminister lehnte es weiterhin ab, sich auf ein endgültiges Abzugsdatum für die deutschen Truppen festzulegen: "Zu sagen, dass wir an dem Tag X keine deutschen Soldaten mehr in Afghanistan haben werden, wird jenen in die Hände spielen (…), die nur darauf warten zu sagen, gut, wunderbar, dann werden wir genau dann die Uhren wieder zurückdrehen. Und das kann sich keiner wünschen."

Der Fraktionsvorsitzende der "Linken" im Deutschen Bundestag, Gregor Gysi, erneuerte seine Kritik an der Afghanistanstrategie der Bundesregierung. Beim Ziel Terrorismusbekämpfung seien keine Ergebnisse erzielt worden und beim zivilen Aufbau des Landes "nur geringe Ergebnisse, zum Teil sogar Verschlechterungen", so der Linken-Politiker. "Also kann das doch nicht der richtige Weg sein. (…) Jetzt ist al-Qaida umgezogen. Die sind in anderen Ländern. Wollen wir jetzt in anderen Ländern den Krieg führen?"

Man solle sich vom Gedanken lösen, die Probleme in Afghanistan mittels Krieg lösen zu können, forderte Gysi. "Wenn wir die Welt verändern wollen, müssen wir dem Terrorismus – ich sage es noch einmal – die Grundlage entziehen." Der Linken-Politiker wörtlich: "Sie versuchen den Weg, die Welt zu verändern über die Bundeswehr. Und ich halte diesen Weg für falsch."

Der ehemalige UN-Sondergesandte für Afghanistan und heutige Bundestagsabgeordnete, Tom Koenigs (Bündnis 90/Die Grünen), betonte die Notwendigkeit einer Sicherheitsarchitektur für die gesamte Region. Unter Verweis auf die angespannte Lage im Nachbarland Pakistan sagte Koenigs, ohne eine solche Sicherheitsarchitektur schaffe man mit der Ausbildung afghanischer Polizei- und Militärkräfte auch ein zusätzliches Risiko. "Sonst passiert es uns genau so, wie es uns mit den Mudschaheddin passiert ist, damals, 1989, dass die Falschen die Waffen haben", warnte er.

Der Grünen-Politiker sprach sich für Solidarität mit US-Präsident Barack Obama aus, auch beispielsweise was die Bewältigung von Guantanamo und eine Aufnahme von Flüchtlingen betrifft. Man habe den Einsatz in Afghanistan solidarisch mit Amerika begonnen, betonte Koenigs: "Ich finde, wenn man Bush unterstützt hat, sollte man Obama nicht fallen lassen!"

Der Stabschef im NATO-Hauptquartier Europa, der deutsche General Karl-Heinz Lather, äußerte sich skeptisch über ein rasches Ende des Engagements in Afghanistan: "Ich finde erstaunlich aus meiner staatsbürgerlichen Sicht heraus, wenn wir in London eigentlich nur wahrnehmen, wir ziehen 2011 ab. Der afghanische Präsident hat in München von zehn bis fünfzehn Jahren gesprochen, die er die internationale Unterstützung noch braucht. Vielleicht ist das sogar realistischer."

Lather widersprach der Auffassung, in Afghanistan habe sich in den letzten Jahren nichts zum Besseren verändert. Man müsse vielmehr stark nach Regionen differenzieren. "Ich sage manchmal flapsig: ich fahre heute lieber durch Herat als durch Neapel", so der General. Es sei zu einfach zu sagen, es habe sich im Land nichts bewegt: "Es hat sich eine ganze Menge bewegt, aber es ist auch eine Menge zu tun."