Zu Fuß durch Deutschland

Rezensiert von Gustav Seibt · 28.09.2005
Der Journalist Wolfgang Büscher hat Deutschland einmal zu Fuß umrundet: 3500 Kilometer, immer entlang der Grenze. Dabei hat er viele kleine Alltagsgeschichten inmitten der großen Geschichte entdeckt. Das Prinzip hat er schon einmal angewendet: Im Jahr 2003 wanderte Büscher von Berlin nach Moskau.
Wolfgang Büschers Bericht von seinen Reisen entlang der deutschen Grenze wiederholt die Schreib- und Erfahrungsmethode seines 2003 erschienenen Bandes "Berlin-Moskau", der von einer Fußwanderung zwischen diesen beiden Städten erzählte.

Büscher hat darin das alte deutsche Genre der Reise zu Geschichtslandschaften erneuert. Die Orte, die der Reisende betritt, sind für ihn nicht allein Stätten von Natur und Kunst, sondern von Historie. Der Geschichtszeitraum, der Büscher vor allem interessiert, ist der Zweite Weltkrieg, seine Fahrt um Deutschland herum – ausgehend vom Niederrhein im Uhrzeigersinn zur Nord- und Ostsee, an Oder und Neiße entlang über die Böhmischen Wälder, die Alpen und den Oberrhein – erkundet die Physiognomie unseres Vaterlands nach der Zerstörung in der letzten Geschichtskatastrophe.

So geraten dem Autor auch alle Idyllen zu Ruhemomenten nach dem Sturm. Der Staub der Bomben habe sich in sechzig Jahren noch immer nicht gelegt, noch immer ist die Kraterlandschaft mit ihren Resten von früher erst mühsam abmessbar.

"Was wir verloren haben" – dieser Ausruf überwältigt den Erzähler beim Eintreten ins unversehrte Städtchen Görlitz, wo hunderte südlich wirkender Häuser "aus der Kolumbuszeit" noch stehen – und dafür stehen, was anderswo verschwunden ist.

So dringt Büscher mit seinem trauernden historischen Röntgenblick unter die gesichtslose Wiederaufbauphysiognomie Deutschlands. Als einsamer Wanderer hört er den Geschichten der Grenzdeutschen zu, die immer wieder auf den großen Bruch zulaufen, als das alte Deutschland versunken ist.

Und wie in "Berlin-Moskau" ist das geheime Thema des Buches der Friede, das Entronnensein. "Nie wieder Krieg", sagt eine alte Frau an der Ostsee zu Büscher, und der Erzähler begreift, bei ihr ist das kein politischer Propagandasatz, sondern der Kern der Lebenserfahrung einer Nation:

"Das eherne Idyll der Wohnzimmer und Vorgärten, die Rehe und Zwerge und tränenden Clowns der einen. Und die Peace-Runen und Erich-Fromm-Schmöker und die Poster mit den auslaufenden Dalì-Uhren der anderen. Denn die Unterschiede zwischen beiden waren gering. Alle meinten dasselbe. Alles, alles, nur kein Krieg."


Wolfgang Büscher: Deutschland, eine Reise
Rowohlt Berlin, Berlin 2005.
250 Seiten, geb., 17,90 Euro.