Zu Besuch im Schlafzentrum Pfalzklinik

Jeder Mensch kann schlafen

Im Blauton gehaltene Collage aus dem Foto eines Mannes, der schlaflos im Bett liegt, und einer weißen Möbiusschleife über seinem Kopf, die kreisende Gedanken symbolisiert.
Und ewig kreisen die Gedanken - Menschen mit Schlafstörung finden nachts kaum Ruhe © imago/Ikon Images/Lizzie Roberts
Von Uschi Götz · 31.08.2017
Die Zahl von Menschen mit Schlafstörungen steigt von Jahr zu Jahr, belegen Studien. An Orten wie dem Schlafzentrum Pfalzklinik werden Betroffene untersucht, um ihren Schlaf besser in den Griff zu kriegen.
Kurz nach 20 Uhr, ein älterer Herr wird von Kopf bis Fuß verkabelt. Wegen nächtlicher Atemprobleme ist er schon länger in Behandlung und kommt regelmäßig zur Kontrolle.
Facharzt Dr. Hans-Günter Weeß leitet das Interdisziplinäre Schlafzentrum am Pfalzklinikum in Klingenmünster. Er zeigt auf kleine Elektroden im Gesicht des Patienten, an die gleich dünne Kabel angeschlossen werden:
"Wir zeichnen die Augenbewegungen auf, dann zeichnen wir die Muskelanspannungen auf und mit diesen drei Biosignalen sind wir dann in der Lage, den Schlaf in seiner Qualität zu beschrieben. Wir können sagen, ob jemand oberflächlich schläft, ob jemand tief schläft, ob er Wachphasen hat, das können wir bis auf die Sekunde genau bestimmen."

Unangenehme Messungen

Auch der Luftfluss an Mund und Nase wird gemessen. Per Funk werden die Messergebnisse auf Monitore übertragen und am nächsten Morgen ausgewertet. "Am Anfang stört das schon", sagt ein Patient. "Es ist am Anfang schon unangenehm, muss man schon sagen."
Dazu Weeß: "Aber grundsätzlich tun sich die meisten Patienten sehr rasch an diese ‚Messaufnehmer' gewöhnen. Sie sehen, die sind nicht so groß, die sind klein, das sind feine Kabel."

Das Schlaflabor ist wie ein kleines Hotel

Der bisweilen verwendete Name Schlaflabor passt nicht zur Stimmung auf der Station. Im Schlafzentrum geht es zu wie in einem kleinen Hotel. Jeder Patient bekommt ein Einzelzimmer, das durch jeweils zwei Türen schallgedämpft ist. Insgesamt 14 Betten stehen zur Verfügung.
Ein Frau liegt im Bett und schaut mit müden Augen auf ihren Wecker.
Der nächtliche Blick auf den Wecker: Schon wieder nicht zeitig eingeschlafen.© imago
Schnarchende Patienten werden hier untersucht. Bei einigen Patienten wird eine Schlafapnoe entdeckt, kurze Atempausen also in der Nacht. Auch Schichtarbeiter finden hier Beratung. Doch vor allem sind es Menschen mit Ein-und Durschlafstörungen, die Hilfe bei Schlafforschern wie Hans-Günter Weeß suchen:
"Da gibt es heute viele gute, neue Behandlungsansätze gerade für die Ein-und Durchschlafstörungen."

Ständige Erreichbarkeit als Gesundheitsrisiko

Die Welt dreht sich schneller, für manche so schnell, dass sie aus dem Takt kommen. Tagsüber sind sie müde, nachts können sie nicht mehr schlafen. 24- Stunden Kitas, 24-Stunden Supermärkte, nächtliche Konferenzen mit Geschäftspartnern in anderen Zeitzonen. Die ständige Erreichbarkeit macht uns krank, schreibt Schlafforscher Weeß in seinem Buch "Die schlaflose Gesellschaft":

"Wir sehen diese Menschen, das sind häufig Führungskräfte darunter, die rund um die Uhr aktiv sind, die nicht mehr abschalten können, die im Dauerstress leben. Führungskräfte in Politik und Wirtschaft. Und das sehe ich ein Stück weit mit Besorgnis, gerade weil es wider unsere Natur läuft."
Ein junger Mann steht am 24.01.2015, mit dem Blick auf sein Smartphone gerichtet, an einer Straße in Berlin.
Der ständige Blick aufs Handy: Wer dauernd erreichbar ist, schläft schlechter ein© picture alliance / dpa / Thalia Engel

50 Formen der Schlafstörung

Kurz vor 22 Uhr. Dr. Weeß schaut noch kurz bei einer Patientin vorbei. Wie viele Patienten mit Schlafstörungen, hat die Dame mittleren Alters einige Monate auf den Platz im Schlafzentrum gewartet. Heute geht sie mit großer Hoffnung ins Bett.
"Sie hat auch einen unerholsamen Schlaf und da sind wir uns noch gar nicht so schlüssig, an was das liegt. Sie hat eine hohe Tagesschläfrigkeit, Müdigkeit."
Im Unterschied zu anderen Schlafzentren ist das Pfalzklinikum nicht auf eine bestimmte Schlafstörung festgelegt, sondern geht mit einem interdisziplinären Ansatz vor, das heißt, viele Ärzte aus verschiedenen Fachrichtungen sind beteiligt:
"Wir können ganzheitlich auf den Patienten schauen und ich meine, dass wir ihm so auch am ehesten gerecht werden, wenn wir den neurologischen Blick haben, den psychiatrischen Blick, den psychologischen Blick, den internistischen Blick und dann auch im Team ein Stück weit darum konkurrieren, was denn die Ursachen tatsächlich sind."
50 Schlafstörungsformen seien bekannt, und nahezu alle könne man gut behandeln, macht Experte Weeß Hoffnung.

Konzentrierter Blick auf den Monitor

Zwei Uhr nachts. Zwei medizinische Fachkräfte sitzen in einem großen Stationszimmer, Technikraum genannt, und schauen konzentriert auf ein Dutzend Monitore. Auf den Bildschirmen laufen die Messergebnisse aus den einzelnen Patientenzimmern ein:
"Wir sehen jetzt auf allen Monitoren, wie die einzelnen Patienten schlafen. Wir sehen bei einem, dass er noch wach ist, beim anderen sehen wir, dass er vielleicht wieder wach ist, beim anderen können wir erkennen, dass er sich im Tiefschlaf befindet."
Für einige Patienten gehen die Untersuchungen am Tag weiter:
"Das heißt, wir müssen wissen, wie wirkt sie sich aus die Schlafstörung, auf die Aufmerksamkeit, auf die Konzentration, auf die Gedächtnisleistung, auf die Monotonie-Intoleranz? Wie gut kann sich jemand wachhalten?"

Verhaltenstherapie ist oft die beste Lösung

Die Frühschicht wertet die nächtlichen Aufzeichnungen aller Patienten aus. Die Ergebnisse werden auf der Visite mit jedem Patienten einzeln besprochen. Bei stressbedingten Ein- und Durschlafstörungen steht am Ende der Diagnostik häufig die Empfehlung, eine Verhaltenstherapie zu machen:
"Das wissen wir heute, dass diese Methoden sehr effektiv sind, dass sie der klassischen Therapie mit Schlafmitteln überlegen sind. Akut nicht gleich, wir brauchen die Schlafmittel für schwere, akute Fälle sicherlich noch weiterhin, da sind sie gut und sinnvoll eingesetzt. Aber diese Langzeiteinnahmen, diese Gewöhnung, Abhängigkeit auf Rezept, der gilt es zu begegnen."
Studien haben gezeigt, dass die sogenannte kognitive Verhaltenstherapie gerade bei stressbedingten Schlafstörungen sehr gut wirkt. Bereits wenige Sitzungsstunden zeigten selbst in hartnäckigen Fällen schnell Erfolg:
"Einen wunderschönen guten Morgen. Wie war denn ihre Nacht für Sie subjektiv?"
"Schlechter wie normalerweise", sagt die Dame mittleren Alters, die mit so viel Hoffnung ins Bett gegangen ist. Doch Weeß beruhigt:
"Dass man hier schlechter schläft ist ein stückweit normal. Wir nennen das first-night effect: veränderte Umgebung, Messaufnehmer, anderes Bett, jeder Mensch schläft schlechter, wenn er sich an einem anderen Ort befindet."

Archaische Schlafmuster

Früher mussten die Menschen nachts hellhörig sein, um drohende Gefahren zu registrieren, erklärt Weeß ein bis heute erkennbares archaisches Schlafmuster. Dazu gehöre auch, dass erwachsene und ältere Menschen sowieso nicht durchschlafen:
"Weil wir müssen es ja hören, wenn sich der Tiger anschleicht, damit wir noch rechtzeitig auf den nächsten Baum flüchten können. Und es ist gut, dass wir wach werden, das hat der Spezies Mensch das Überleben gesichert, und das erzählen wir auch all unseren schlafgestörten Patienten, dass sie da wieder eine andere Haltung entwickeln. Viele meinen ja, sie müssten durschlafen, bis der Wecker klingelt, aber das ist nicht notwendig."

Schlafvorsatz führt zu Einschlafstörungen

Bei stressbedingten Schlafstörungen rät Weeß vor allem: Keine Handys oder andere elektronische Medien mit ins Schlafzimmer nehmen. Und ganz wichtig:
"Man darf nicht ins Bett gehen und schlafen wollen. Wer schlafen will, bleibt wach. Das hört sich paradox an, aber es ist tatsächlich so, je mehr wir uns darauf fokussieren, dass wir schlafen müssen und ob wir denn eigentlich müde sind oder nicht? Und uns solche Fragen stellen, wenn wir ins Bett gehen, umso mehr spannen wir uns an, umso verunsichern wir uns: Klappt es jetzt, klappt es nicht? Warum liege ich schon so lange wach? Und das wiederum führt zu Anspannung und Anspannung ist der Feind des Schlafes."

Wie war die letzte Nacht?

Nach und nach kommen einige Patienten an diesem Morgen aus ihren Zimmern. In einem Frühstücksraum nahe dem Stationszimmer treffen Menschen aufeinander, die ihr Leiden eint: Sie können alle nicht oder nur schlecht schlafen. Das beherrschende Thema in dieser Runde ist natürlich, wie die zurückliegende Nacht war.
Fast alle haben sie schlecht geschlafen, das geht aus den Gesprächen hervor. Aus Datenschutzgründen gibt es aus diesem geschützten Bereich keine Interviews. Einer der Patienten sagt, er könne überhaupt nur neben seiner Frau einigermaßen zur Ruhe kommen. Energisch schüttelt eine Mitpatientin den Kopf und erklärt, sobald ihr Mann neben ihr schliefe, könne sie die Nacht ganz vergessen. Getrennt oder allein?
"Es ist tatsächlich so, wenn wir objektiv messen, dann ist es so, dass die Frau eher alleine schlafen sollte, für den Mann ist es besser, wenn er zu zweit, mit seiner Frau schläft."

Streitfrage: Einzeln oder zu zweit schlafen?

Und wieder sind wir in der grauen Vorzeit. Damals, so Weeß, sei entscheidend gewesen, wie die Gruppe überlebt. Und dieses Verhalten ist uns bis heute geblieben, das gilt vor allem für die Nächte:
"Das war früher so, da war der Mann für das Jagen zuständig, weil er hatte den kräftigen Körperbau, und wenn man den hat schlafen lassen, dann hat er am nächsten Tag mehr von der Jagd heimgebracht. Und deswegen war dann die Frau zuständig für die Gruppe, für die Familie, für die Kinder nachts zu sorgen, wenn da jemand krank war, den zu pflegen und mal zu schauen, brennt das Feuer noch, sind alle zugedeckt? Das heißt, wenn die Frau eine Kleingruppe mit ihrem Mann bildet, dann schläft die sozusagen an ihrem Arbeitsplatz. Die ist angespannt und Anspannung lässt uns nicht so tief und fest schlafen."
Frauen schlafen in Gesellschaft schlechter, Männer dagegen umso besser:
"Der Mann allerdings, der hat in der Gruppe gejagt, da war er erfolgreich, da war er sicherer in der Gruppe als alleine. Also wenn der jetzt die Kleingruppe mit seiner Frau bildet, dann fühlt er sich sicher und geborgen und das ist wiederum die Entspannung, also er schläft dann tiefer und fester. Aber trotzdem ist es so, dass beide Geschlechter, glaube ich, aus Gründen der Intimität heraus, und aus Gründen der Partnerschaftlichkeit, das Geborgenheitsgefühl, das man sich wechselseitig gibt, das möchte eigentlich keiner missen. Die wenigsten wollen getrennte Schlafzimmer haben."
Die Aufzeichnungen der Patienten sind mittlerweile ausgewertet, gleich beginnt die Visite. Einige Patienten können gleich danach wieder nach Hause gehen, für andere läuft die Diagnostik weiter. "Es gibt für fast alle Schlafprobleme Hilfe": Alle Patienten wird dieser Satz durch die nächsten Tage und Nächte tragen.
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