Zu Beginn der 2000er

Der schnelle Crash der ersten Deutschrap-Welle

08:41 Minuten
Rapper Thomas D. (Die Fantastischen Vier) steht während eines Konzerts in Hannover 2007 auf einer Bühne
Rapper Thomas D. (Die Fantastischen Vier) bei einem Konzert in Hannover 2007 © imago/snapshot/Volkmer
Fabian Wolff im Gespräch mit Andreas Müller · 16.07.2020
Audio herunterladen
Die erste Deutschrap-Welle Ende der 90er brachte aufregende Musik hervor: politisch oder frech-albern. Doch das kommerzielle Interesse führt zum Zusammenbruch der Szene. Zehn Jahre später erlebt sie aber eine Neuauflage.
Andreas Müller: Thematisch gibt es für Rapper eigentlich keine Tabus. Nur bei einer Sache hört für viele der Spaß auf. Die Zahl der Rapper, die zugeben, dass es mit der eigenen Karriere nicht so läuft, ist überschaubar. Dabei hat in Deutschland die Raplegende Torch im Jahr 2000 vorgemacht, wie das gehen kann:
"Wir waren mal Stars" war 2000 eigentlich als Staffelstabübergabe an den Nachwuchs gedacht, aber auch denen ging es schnell ähnlich wie Torch. Die erste große Deutschrap-Welle, für die so unterschiedliche Künstler wie Eins Zwo, Freundeskreis und Konkret Finn stehen, brach kurze Zeit später zusammen.
Über den Zusammenbruch und was von dieser Ära des Deutschraps noch heute zu spüren ist, will ich Musikkritiker Fabian Wolff befragen. Wir haben die große Schwermut gehört, mit der sich Torch damals vom "Pop-Bi-se-ness" verabschiedet. Wie fing seine Karriere an?
Fabian Wolff: Deutscher Hip-Hop hat keinen klar definierten Beginn, aber die Urszene ist vielleicht "Fremd im eigenen Land", bei der Advanced Chemistry ihre Pässe in die Kamera halten als explizit migrantische Stimmen. Das war vor dem Hintergrund rechter Gewalt in Rostock, Hoyerswerda und Mölln Anfang der 90er. Die Hip-Hop-Szene in Heidelberg, aus der AC stammen, klingt technisch heute sehr altbacken, aber hat gerade in Sachen Haltung und Bewusstsein Maßstäbe gesetzt.

Quatschrap erfolgreicher als politischer Hip-Hop

Die andere Urszene sind vielleicht die betont frechen, albernen deutschen Jungs von den Fantastischen Vier aus Stuttgart, bei denen die Produktion durchaus legitim ist, die aber irgendwelchen Quatsch erzählen. Das sind zwei Strömungen.
Der Quatschrap war damals schnell kommerziell erfolgreicher. Torch hingegen war zu dieser Zeit eher der strafende Geist, dessen Texte gleichzeitig persönlich, lyrisch und kritisch waren. Er musste aber, das ist das Los vieler Pioniere, immer zusehen, wie die nach ihm größeren Erfolg haben.
Müller: Sie haben die Welle rechter Gewalt Anfang der 90er als Kontext erwähnt. Aber wie war das Verhältnis von Deutschrap zu Deutschland ansonsten? Wie gut eignete sich überhaupt die deutsche Sprache für Rapstücke?
Wolff: Es gehört zur Rapbiografie von vielen, dass sie lange Zeit nur auf Englisch rappten. Deutsch war ungelenk, speckig und eckig und musste erst mühsam an Rap angepasst werden. Deutschrap hat die Sprache verändert. Egal, was dabei gesagt wurde. Auch, wenn der Tonfall natürlich ein anderer war als in jeder anderen deutschsprachigen Musik.

Zu viel Stress und zu viel Geld

Das konnte im Dienste einer Gegenöffentlichkeit stehen, vielleicht sogar eines politischen Anliegens oder auch Entertainment. Wobei interessanterweise der Song "Ahmet Gündüz" von der Fresh Familee 1989, der meist als erster deutschsprachiger Hip-Hop-Song genannt wird, eine klar sozialkritische Geschichte erzählt und dabei Deutsch und Türkisch mixt. Inzwischen wird Rap für seine Bi- und Trilingualität gefeiert, das war in den 90ern höchstens in Frankfurt am Main zu hören, ansonsten blieb es die Ausnahme.
Müller: Das Jahrzehnt endet mit dem erwähnten Crash. Aber wie sah der aus und warum ging es so schnell zu Ende?
Wolff: Die Geschichte lässt sich gut in der Oral History "Könnt ihr uns hören?" von Davide Bortot und Jan Wehn nachlesen. Es war kein kreativer Crash, das macht es immer noch deprimierend. Die Qualität der großen Alben dieser Jahre ist sehr hoch, auch beim heutigen Hören können sie durchaus mit amerikanischen Sachen mithalten. Es war eher eine unglückliche Kombination vieler Faktoren: zu viel Stress, zu wenig Geld oder gerade auch zu viel Geld.

Berliner Rapszene unbeliebt

Denn als Deutschrap eine Marke mit kommerziellem Potenzial wird, fangen die Major-Labels an, viele Leute zu signen und zu viel Material auf den Markt zu werfen, bis der zusammenbricht. Verträge werden aufgelöst, Alben erscheinen nicht oder nur mit minimaler Bewerbung. Gleichzeitig, so haben es mir Veteranen der Szene immer mal wieder erzählt, wurde versäumt, eigene Strukturen aufzubauen. Dann hat sich die Szene einfach ein bisschen vergiftet.
Müller: Eins Zwo haben das auf ihrem letzten Album mit dem Song "Ey Du" eingefangen:
Es ist nur Zufall, dass Dendemann in diesem Song Rapper angreift, die "aggro" seien. Denn das Label Aggro Berlin prägt für viele Jahre die Deutschrap-Szene nach dem Zusammenbruch. Warum blieb Berlin verschont?
Wolff: Die Berliner Rapszene war damals im Rest des Landes eher unbeliebt. Einzelne Rapper wie Kool Savas haben Respekt bekommen. Aber ansonsten galt, dass es ein schlechtes Zeichen war, wenn "Leute aus Berlin" auf einer Jam oder auf einer Party auftauchten.
Die Szene hatte auch kein Interesse an ausgefeilter Produktion oder tiefen Texten, sondern wollte auf grelle Art provozieren. Da war es auch egal, ob es billig klingt. Schon deswegen gab es kaum Nähe zu Major-Labels oder dem Traum, davon leben zu können. Die Welle spülte also über die Szene hinweg.
Die Erzählung lautet im Nachhinein, dass Studentenrap von Straßenrap der Nullerjahre abgelöst wurde. So einfach ist es nicht: Die harten Sachen aus Frankfurt hatten immer eine gewisse Nähe zur Straße. Selbst im wortspieligen Hamburg wurden reale Dinge verhandelt.
Aber es stimmt schon, dass das, was in Berlin passierte, näher dran war am Image von Rap als Soundtrack von sozialen Brennpunkten. Das hat dann zusammen mit der Frage der Jugendgefährdung die Berichterstattung dieser Jahre geprägt.

Heute überflügelt Deutschrap alles

Müller: Vor fast zehn Jahren erlebte das Genre eine Renaissance und ist heute größer denn je. Vermutlich ist Deutschrap das populärste Musikgenre im Land. Ist der Einfluss aus den 90ern denn noch zu spüren?
Wolff: Deutschrap hat heute alles überflügelt, was es in den 90ern gab. Das gilt sowohl kommerziell als auch von der Reichweite. Die Raphörer von damals hören es wieder, weil viele der alten Größen erneut Musik machen. Über deren Wert kann man sich zwar streiten, aber es ist trotzdem selten eine reine Nostalgieveranstaltung.
Mehrere Generationen sind mit Deutschrap aufgewachsen. Das Genre ist längst nicht nur bürgerlich oder nur Straße, es ist diverser geworden. Auch weibliche MCs haben mehr Chancen.
Gleichzeitig fehlt die große kreative Ambition, der Blick nach vorn oder auch die Selbstkritik. Zwar können viele Stile nebeneinander existieren, aber das heißt auch, dass der Ankerpunkt fehlt.
Haftbefehl hätte dieser sein können. Doch dessen aktuelles Album ist zwar sehr gut, aber zeugt auch von einer gewissen Müdigkeit – trotz mehrjähriger Pause. Und auf Platz eins der Charts ist es auch nicht gegangen.
Einen zweiten Crash werden wir wohl nicht erleben. Aber ich halte eine Rezession nicht für unvorstellbar. Ich höre dabei, dass es langsam wieder angesagt ist, nur noch US-Rap zu hören, denn der ist gerade fresher denn je.

"The revolution will not be televised", wusste schon der Musiker Gil Scott-Heron. Aber was, wenn sie schon angekündigt war – und dann nicht stattfindet? In unserer Serie "Musik und Revolution" beschäftigt sich Fabian Wolff mit gescheiterten Aufständen und abgesagten Umstürzen, mit persönlichen Krisen und sterbenden Genres.

Die fünf Folgen decken 50 Jahre Pop-Geschichte ab und kehren jeweils zum Beginn eines Jahrzehnts zurück: vom Ende der Bürgerrechtsbewegung und "There's A Riot Goin‘ On" von Sly & the Family Stone Anfang der 1970er bis zu Drake und Kanye West und dem Aufstieg Donald Trumps zu Beginn der 2010er-Jahre.

Mehr zum Thema