Zu akribisch und ohne roten Faden

Max Kommerell ist eine der farbigsten Figuren der jüngeren deutschen Geistesgeschichte. Von ihm stammen die noch heute mitreißenden Bücher über Jean Paul, Calderón de la Barca sowie über die Tragödientheorien von Lessing und Aristoteles. Die erste Biografie über den Literaturwissenschaftler ist hingegen reichlich trocken geraten.
Kann man sich ein Mitglied des Dichterweihekreises von Stefan George vorstellen, das Stücke für Kasperletheater schrieb? Einen Nationalkonservativen, der als Mitglied der NSDAP über einen zum Tode verurteilten kommunistischen Kollegen das Gerücht in die Welt setzt, jener sei ein völlig unzurechnungsfähiger Kauz, damit er freikommt? Einen Germanisten, der acht Sprachen beherrscht, Dramen, Erzählungen und Gedichte schreibt, drei große Bücher und drei kleine, und das alles bis zum Alter von 42 Jahren, als er nämlich schon verstarb?

Max Kommerell, auf den all das zutrifft, ist eine der farbigsten Figuren der jüngeren deutschen Geistesgeschichte. 1902 im Schwäbischen geboren, fand der jugendbewegte Heidelberger Student schon mit neunzehn Jahren Aufnahme in den Kreis des Lyrikers Stefan George. Der vermittelte seinem zeitweiligen Lieblingsjünger eine geradezu religiöse Verehrung für Dichtung. Ein Titel wie Kommerells "Der Dichter als Führer in der deutschen Klassik" (1928) belegt sie. Doch je mehr Kommerell in die Literaturwissenschaft hineinfand, desto mehr geriet er in Distanz zu George, der ihn zu einem seiner Nachlassverwalter machen wollte. Kommerell lehnte ab.

In Frankfurt und Marburg, den Stationen seiner akademischen Laufbahn, entstehen die noch heute mitreißenden Bücher über Jean Paul, Calderón de la Barca sowie über die Tragödientheorien von Lessing und Aristoteles. Daneben schreibt Kommerell unter anderem seine "Kasperle-Spiele für große Leute".

Von 1930 bis Mitte 1933 sympathisiert er mit dem Nationalsozialismus, 1939 tritt er, obwohl längst angewidert, aus taktischen Gründen in die NSDAP ein. 1942 schreibt er für den Romanisten Werner Krauss, der als Mitglied der kommunistischen Widerstandsgruppe "Rote Kapelle" zum Tode verurteilt worden war, einen Bericht, der dazu dient, ihn für unzurechnungsfähig zu erklären und so zu retten - was gelingt.

Der Berliner Germanist Christian Weber legt jetzt die erste Biografie Max Kommerells vor. Sie geht auf eine Dissertation zurück, und das merkt man leider. Das Buch ist kenntnisreich, aber umständlich und ohne Linie. Von wem Kommerell wie rezensiert wurde, mit wem er sich über Buchumschläge unterhielt, wer seine Freunde waren und welche Kapitel seine Bücher haben, das erfährt man erfreulich genau. Doch von Kommerells Leidenschaft für die Orientierungskraft von Dichtung, die ihn seinem Fach Literaturwissenschaft entfremdete, hat sich Weber nichts mitgeteilt. Was war an Jean Paul so wichtig, was an Lessing oder an George? Wir erfahren es nicht.

Weber arbeitet akribisch trocken die Schriften Kommerells und seine intellektuellen Kontakte ab, etwa zu Walter F. Otto, Ernst Robert Curtius oder Martin Heidegger. Sowohl der George-Kreis wie der Nationalsozialismus und Kommerells Aufenthalt bei beiden interessieren ihn wenig. So richtig zu verstehen, was seinen Helden umtrieb, scheint er nicht. Max Kommerell litt an einer Wissenschaft, die keinen Enthusiasmus kannte. Über diese Biografie hätte er vermutlich gestaunt.

Besprochen von Wiebke Hüster

Christian Weber: Max Kommerell - Eine intellektuelle Biographie
Verlag de Gruyter, Berlin 2011
598 Seiten, 99,95 Euro