Zotteln, tapern und rabantern

21.12.2012
In seinen neu herausgegebenen Erzählungen aus drei Jahrzehnten zeigt sich Hans Fallada als Chronist seiner selbst. Nichts ist dabei ziseliert, fein oder mehrfach abgewogen: Falladas Sprache ist zupackend, zuweilen hemdsärmelig und oft kurios.
Hans Fallada ist ein Außenseiter in der deutschen Literaturgeschichte. Er war es damals und er ist es heute noch. Er gehörte nie zu den feinsinnigen Großstadtliteraten der Weimarer Republik, er war nie Teil einer ästhetischen oder gesellschaftlichen Bewegung, er hatte wenige Freunde und Gefährten, er hat sich nie mit der Politik angelegt und den Verlag hat er auch nie gewechselt. Er war immer nur: Fallada. Oder besser Rudolf Ditzen, mit Künstlernamen Fallada.

Ein schlechter Schüler, ständig die Schulen und Orte wechselnd, schon früh mit Drogen- und Knasterfahrung konfrontiert, einige Suizidversuche. Nicht einmal für den Ersten Weltkrieg durfte er fürs Vaterland ins Feld ziehen – er wurde als untauglich abgewiesen. Was dann kam, war ein Schreiben ganz an der eigenen Biografie entlang: der Zu-kurz-Gekommene, das Opfer der Verhältnisse. Wenn wir Falladas Geschichten lesen, dann sind es Geschichten über ihn.

Er taucht sogar zuweilen selbst in den insgesamt 33 Erzählungen auf, die für diesen vorzüglichen Band zusammengestellt worden sind. Es ist ihm dabei völlig wurscht, ob dies nun dramaturgisch oder literarisch oder sonstwie angebracht ist, er schreibt sich einfach mit rein. Etwa in der Geschichte "Wie Herr Tiedemann einem das Mausen abgewöhnte". Ein Gutsbesitzer will einen Angestellten zur Räson bringen, denn er hat mal wieder Gänseeier geklaut. "Sagen Sie mal, Fallada. Sie können ja wohl Englisch?" fragt der ihn und Fallada, erschienen wie Deus Ex Machina, muss dem armen Eierdieb altenglische Verse vorlesen, damit der glaubt, das seien Zauberformeln, die ihn demnächst vom Stehlen abhalten werden. In der Zwischenzeit setzt der Gutsbesitzer ein Teleskop auf die Schläfe des Delinquenten, um die Diebesgedanken besser zu sehen. Der ist so beeindruckt, das er verspricht: "Ich stehle nie wieder!". Fallada inszeniert als Akteur und Autor eine ländliche Teufelsaustreibung mit Messingteleskop und altenglischen Versen. Und er hat seine diebische Freude daran! Man spürt es in jeder Zeile.

Dabei wirkt vieles in den frühen Erzählungen unfertig, holprig, zum Teil durcheinander. Dieser Band zeigt Entwicklungen auf – immer mehr findet Fallada zu seiner Form, zu seiner Haltung. Waren es zu Beginn noch offenbar spontane Aufzeichnungen, Skizzen, Notizen, ohne besonderes Formung, so sind es später schon die kraftvollen und gleichzeitig bodenständigen und wahrhaftigen Texte, die am Ende seines Schriftstellerlebens in sein bestes Werk münden: "Jeder stirbt für sich allein", ein letztes Aufbegehren. Dafür wird in den hier versammelten Geschichten der Grundstein gelegt.

Man spürt, Fallada kennt sie alle: die kaputten Typen, die Desperados, die harten Jungs und die verzweifelten Frauen. Liebe, Zuneigung, Lebensperspektiven? Weit entfernt. Bei Fallada hat das Leben nur einen Sinn: einigermaßen durchkommen. Seine Helden bangen um ihren Job oder haben ihn schon verloren, sie sind verzweifelt ob ihrer sozialen Lage und landen in einer Abwärtsspirale. Ob nun städtische Angestellte oder Kleinbauern in Pommern.

Und seine Sprache! Da ist nichts ziseliert, da ist nichts fein, nichts mehrfach abgewogen. Falladas Sprache ist zupackend, zuweilen hemdsärmelig und oft einfach kurios und speziell, wenn etwa gezottelt, gelauscht, getapert, gepüttjert, rabantert und angeprobst wird. Dann sind wir in Falladas literarischer Welt. Man ist gern zu Gast ist bei ihm, auch wenn man schon mehrfach da war.

Besprochen von Vladimir Balzer

Hans Fallada: Der Bettler, der Glück bringt. Die schönsten Geschichten
Aufbau Verlag, Berlin 2012
333 Seiten, 18,99 Euro
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