Zoo Neuwied

Wie Erdmännchen und Atlaslöwen durch die Krise kommen

10:52 Minuten
Eine Frau kniet im Erdmännchengehege des Zoos Neuwied, neben ausgewachsenen Erdmännchen sind auch Jungtiere zu sehen.
Im Zoo Neuwied werden Erdmännchen gefüttert. Der Zoo in Rheinland-Pfalz ist in normalen Zeiten auch außerschulischer Lernort und bietet Umweltbildung an. © Anke Petermann
Von Anke Petermann · 08.04.2021
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Der Zoo Neuwied hat in der Corona-Krise viel Unterstützung erfahren. Über 3000 Geldspenden gingen ein, auch Sachspenden gab es. Der kaufmännische Leiter sagt, ohne die gäbe es den Zoo wohl nicht mehr. Viele würden ihn und seine Bewohner vermissen.
Posieren vorm Flamingo-Gehege: Fürs Foto nimmt Hans Dieter Neuer, kaufmännischer Leiter des Zoos Neuwied, ein symbolisches Fläschchen Desinfektionsmittel von einer Firmenvertreterin aus der Region Koblenz entgegen.
Dann greift er zum Handy, um mit einem Mitarbeiter den Weitertransport der Großspende zu regeln: "Ich hab‘ hier vorne ne Palette Desinfektionsmittel stehen. Kannst du mit dem Radlader kommen – oder wie machen wir das?"
Auch Pflanzenspenden für die Wildgehege helfen dem Zoo Neuwied nach monatelanger coronabedingter Schließung weiter. Der private Zoo bekommt 185.000 Euro pro Jahr von der Stadt und dem Kreis Neuwied. Nicht genug, um Rücklagen zu bilden.

3000 Spenden aus der Bevölkerung

Deshalb sei in der akuten Notlage Anfang des Jahres die private Finanzspritze der Zoo-Anhänger überlebenswichtig gewesen, sagt Hans Dieter Neuer: "Hätten wir die Geldspenden nicht bekommen, dann wäre der Zoo wahrscheinlich jetzt nicht mehr existent. Wir hatten hier aus der Bevölkerung sehr viele und sehr hohe Spenden. Wir haben Einzelspenden bekommen von fünf Euro bis 10.000 Euro. Es waren 3000 Einzelspenden, die haben es ermöglicht, dass wir den Zoo weiterführen können."
Wenn Zoobesuche mit Negativ-Test, Online-Buchung und Besucherlimit möglich sind, heißt das, der private Zoo kann die Personal- und Unterhaltungskosten aus den Eintrittsgeldern bestreiten. Derzeit funktioniert das.
"Aber wenn jetzt noch mal ein längerer Lockdown kommt, wo wir keine Besucher begrüßen dürfen, dann sieht die Welt natürlich wieder anders aus", fürchtet Neuer. Im Hintergrund scheinen die Flamingos vorsorglich Alarm zu schlagen.

Zoologische Gärten in Not

Jörg Junhold, Präsident des Verbandes Zoologischer Gärten, also der wissenschaftlich geführten Zoos, weiß von einigen Mitgliedern, denen das Wasser bis zum Hals steht. Er selbst leitet in Leipzig einen der größten deutschen Zoos, 100 Jahre alt. Die Stadt gleicht die finanziellen Ausfälle des coronabedingt geschlossenen Tierparks komplett aus. Damit ist Leipzig eine rühmliche Ausnahme, weiß Junhold.
Am Telefon fordert der Verbandspräsident, den Zugang zu Fördermitteln bundesweit zu erleichtern und zu vereinheitlichen. "Zoos sind eine massenwirksame Einrichtung. Wir erreichen jährlich bis zu 40 Millionen Besucher, und das kann man noch viel stärker nutzen auch für Bildung und Umweltbildung."
Das Gelände des Neuwieder Zoos erstreckt sich im Naturpark Rhein-Westerwald hangaufwärts bis zum Waldrand. Wer ihn durchquert, muss einige Höhenmeter bewältigen.

Neuwieder Zoo lockt mit viel Natur

Über dem Fiepen der Erdmännchen und dem Brüllen der Atlaslöwen liegt frühlingshaftes Vogelzwitschern. Für die beiden Mütter aus dem Ballungsraum Köln-Bonn ist genau das der Grund, mit ihren fünf Kindern hier er zufahren: "Weil hier viel Natur ist, weil hier kein Ballungszentrum ist."
Zwei Berberlöwe sonnen sich im Zoo Neuwied.
Zwei Berberlöwen sonnen sich im Zoo Neuwied. © imago/ Thomas Frey
"Zuerst möchte ich einen Bären sehen", melden sich die Kinder im Kita-Alter zu Wort.
"Ich will gern mal einen Affen sehen."
Das große Schimpansen-Gehege lässt da keine Wünsche offen, und mit den Roten Pandas hat der Neuwieder Zoo immerhin sogenannte Katzenbären zu bieten, in ihrer asiatischen Heimat vom Aussterben bedroht. Dass die kleinen, knopfäugigen Bambusfresser keine echten Bären sind, sondern genetisch zwischen Marder und Stinktier liegen, stört weder Kinder noch Erwachsene.

Patenschaften für die Tiere

Eine Familie aus Bad Neuenahr hat einen Katzenbären sogar in den Familienkreis aufgenommen, und noch andere Tiere dazu. "Mein Patenkind ist ein Europäischer Uhu."
Der Familienvater deutet nacheinander auf seine 24-jährige Tochter und seine Frau. "Das Patenkind von ihr ist ein Waschbär – und sie hat einen Katzenbären als Patenkind."
Mit den finanziellen Patenschaften unterstützen die drei aus Bad Neuenahr den Neuwieder Tierpark. "Vor ein paar Monaten war der Zoo ja auch in der Presse wegen Schulden und eventueller Zahlungsunfähigkeit, deshalb muss man ja auch mal was tun in dieser Krise. Und wenn man hört, dass dieser Zoo pro Tag 8500 Euro Kosten hat, dann denk‘ ich, man kann auch mal was für Tiere tun."
Die Tiere brauchen nämlich ihre Pfleger und Veterinäre – unabhängig davon, ob der Zoo öffnen darf oder nicht.

Jungtiere im Erdmännchen-Gehege

Vorm Erdmännchen-Gehege schauen Besucher zu, wie Kuratorin Alexandra Japes die kleinen südafrikanischen Raubtiere mit Mehlwürmern füttert. Etwas Besonderes, denn erstmals in diesem Jahr haben die Erdmännchen ihre Jungen dabei. "Die Jungtiere sind jetzt gerade – die ersten drei Wochen sind die nur im Bau, da kriegt man die gar nicht zu sehen. Jetzt mit fünf Wochen kommen die raus, sind aber immer noch richtig klein und niedlich", erklärt Alexandra Japes.
"Sie fangen jetzt langsam an, sich die Verhaltensweisen der Großen abzuschauen, werden ein bisschen frech, zanken sich mit den älteren Geschwistern ums Futter und nehmen mit der Muttermilch, die sie noch eine ganze Weile bekommen, auch feste Nahrung wie hier diese Mehlwürmer an, die sowieso ein bevorzugtes Futter der Erdmännchen sind. Die gibt’s auch nicht jeden Tag. Das ist immer eher so ein Snack."
Wie sich die Erdmännchen um den begehrten, energiereichen Mehlwurm-Snack balgen – das ist ein Hingucker für Julia Marquardt und ihre drei Kinder im Grundschulalter. Die Familie aus dem Raum Koblenz besucht den Neuwieder Zoo oft.
Von dessen Notlage hatten die Marquardts Anfang des Jahres gehört. "Ja, das haben wir mitbekommen und haben auch mitgemacht bei diesem Spendenaufruf. Beziehungsweise wir haben jetzt auch gesagt, wir fahren jetzt wieder, holen eine Jahreskarte und unterstützen – unterstützen gerne."

Umweltbildung im Zoo

Bis zur Pandemie besuchten 13.000 Kinder jährlich die Zooschule, doch derzeit ist dieser außerschulische Lernort geschlossen. In der Umweltbildung sind auch kleine Zoos groß, sagt Jörg Junhold, Präsident des Verbandes der Zoologischen Gärten. "Der gesellschaftliche Wert eines Zoos im 21. Jahrhundert liegt ja darin, dass wir zum einen Bildungseinrichtung sind, also das Thema Tier- und Naturschutz an den Menschen bringen wollen, dass wir für den Artenschutz arbeiten und dass wir Forschungseinrichtung sind."
Alle Mitglieder im Verband der Zoologischen Gärten, ob klein oder groß, seien nach ihren Möglichkeiten, mehr oder weniger stark, auf diesen Gebieten engagiert.
Julia Marquardt lobt den vergleichsweise kleinen Zoo Neuwied. "Ich finde die Anlage auch schön. und sie haben in den letzten Jahren auch viel gemacht."
2006 eröffnete der Neuwieder Zoo ein großes Menschenaffenhaus, 2011 ein Exotarium für wärmeliebende Reptilien, 2018 ein neues Haus für südamerikanische Tiere.
All das verbesserte die Haltungsbedingungen, bilanziert Kuratorin Alexandra Japes: "Wir sind momentan dabei, eine neue Kranichanlage zu bauen, die übernetzt ist, sodass die Kraniche da ihre Flugbalz ausführen können, was bisher noch nicht möglich ist."

Forschungsprojekte werden unterstützt

Wie die besucherstärksten Zoos in Berlin, Hamburg, München und Leipzig sind auch die kleineren rheinland-pfälzischen in Neuwied und Landau wissenschaftlich geleitet und vernetzt im Verband der Zoologischen Gärten. Auch ohne eigenen Forschungsetat, so die Neuwieder Kuratorin. "Wir haben jetzt keine Stelle, um selbst Forschungsprojekte durchzuführen. Aber wir nehmen an sämtlichen Forschungsprojekten teil, die von den Universitäten oder vom Zooverband an uns herangetragen werden, machen bei diversen Studien mit, hängen Kameras auf, schicken Kotproben ein und so weiter."
Regelmäßig wildert der Zoo Neuwied Schleiereulen und Wildkatzen aus. Der weit größere Zoo in Leipzig unterhält Artenschutzprogramme in Asien, Westafrika und Südamerika. "Zum Beispiel in Chile, wo wir ein Frosch-Projekt unterstützen", erläutert Direktor Jörg Junhold.

"Die Amphibien gehören ja zu den am stärksten bedrohten Wirbeltier-Klassen. Das nehmen wir sehr, sehr ernst. Und wir haben ein Konzept, wo unsere Artenschutzprojekte direkt immer auch mit dem verbunden sind, was wir im Zoo zeigen – sodass wir beim Zoorundgang auch immer darauf aufmerksam machen, wie die Zusammenhänge sind: Die Tiere, die wir zeigen, die Landschaftsausschnitte, welchen Bedrohungsstatus haben sie – und was kann jeder einzelne tun, damit diese Tierarten auch für künftige Generationen erhalten werden."

Eine Ziege zum Fraß

In Marokko sind die Atlaslöwen längst ausgestorben. In Neuwied bewegt sich ein Berberlöwen-Paar hinter Gittern zwischen rötlichen Felsen. Das Männchen, der sogenannte Pascha, hat eine Ziege im Maul. Er zerlegt sie langsam und genüsslich, während das Weibchen geduldig wartet.
Eine Besucherin staunt: "Ganze Zicklein – dass die verfüttert werden, das habe ich auch noch nicht erlebt. Normal gibt es Fleisch, und wenn du das ganze Tier siehst, bist du doch ganz anders betroffen. Und es ist erstaunlich zu sehen, wie viel Arbeit es ihm doch macht, dieses Zicklein auseinanderzukriegen. In Einzelteile zu zerlegen und alles runterzuschlucken."
Der Zoo füttert ganze Tiere unter anderem, damit die Löwen mit Knorpel und Knochen auch die Ballaststoffe bekommen, die sie brauchen. So wird es auf einer Informationstafel erklärt.

Leipziger Zoo forscht "auf höchstem Niveau"

Neben kleinen Lektionen ermöglichen die Zoologischen Gärten auch große Erkenntnisse. Der Leipziger Zoo arbeitet unter Leitung von Jörg Junhold zusammen mit dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, die Wissenschaft vom Menschen also. "Hier findet Grundlagenforschung auf höchstem Niveau statt, was das Lernverhalten, was die Intelligenz von Primaten angeht: auch ein Vergleich zwischen Menschenaffen, den verschiedenen Arten und dem Menschen."
Die Schimpansen im Neuwieder Zoogehege beeindruckt das wenig. Der eine hat sich eine knallrote Decke um den Körper gewickelt und sitzt da lange Zeit wie eine Statue. Irgendwann zuckt er. Dass die vermeintliche Skulptur ein lebendiger Affe ist, löst bei Besuchern große Heiterkeit aus. Corona mal gründlich zu vergessen – der Zoo macht‘s möglich.
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