Zollitsch: Alte Menschen brauchen Hilfe und Zuwendung

Moderation: Hanns Ostermann |
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, hat sich für eine Diskussion über die Themen Altwerden und Sterben ausgesprochen. Dies sei in der Gesellschaft „weitgehend verdrängt“, sagte Zollitsch. Dass viele Menschen eine aktive Sterbehilfe befürworteten, habe ihn erschrocken.
Hanns Ostermann: Was war es eigentlich, was viele so aufgewühlt hat, damals, als der ehemalige Hamburger Justizsenator Roger Kusch einer älteren Dame half, sich das Leben zu nehmen? War es ein selbstgefälliger Umgang mit der Sterbehilfe? Oder war es das Suizidmotiv der Frau? Die fürchtete nicht Schmerzen, sondern ein qualvolles Leben in sozialer Hinsicht. Immerhin 35 Prozent der Deutschen, so eine Umfrage des Forsa-Institutes im Auftrag der deutschen Hospizstiftung befürworten eine aktive Sterbehilfe, mehr als jeder Dritte. Nicht zuletzt bei den Kirchen dürften da die Alarmglocken läuten. Am Telefon ist jetzt der Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz Erzbischof Robert Zollitsch. Guten Morgen, Herr Bischof!

Robert Zollitsch: Guten Morgen!

Ostermann: Kusch argumentiert, sein Angebot zur Sterbehilfe sei Respekt vor den Maßstäben seiner Mitmenschen und er wirft den großen Kirchen vor, sie stellen die Autonomie des Einzelnen infrage. Was würden Sie ihm entgegnen?

Zollitsch: Ich bin natürlich erschrocken über diese Tatsache und über die Versuche von Herrn Kusch. Ich bin allerdings auch sehr nachdenklich geworden, dass so viele Menschen eine aktive Sterbehilfe befürworten. Und ich sehe dahinter eine große Gefahr nämlich, dass tatsächlich wir Menschen, die wir immer älter werden, irgendwann einmal zu dem Punkt kommen, es lohnt sich nicht mehr zu leben, mache ich meinem Leben selbst ein Ende. Und damit werden auch viele, glaube ich, überfordert werden. Denn Entscheidungen, die wir treffen, treffen wir immer in einem bestimmten Kontext, abhängig von der Umgebung, mitbeeinflusst von den Menschen, die um uns herum sind. Und wenn wir Menschen in unserer Gesellschaft das Gefühl haben, im Alter überflüssig zu sein, ist das schlimm. Wenn wir Angst haben müssen, dass eventuell das Alter schmerzvoll sein kann, dass das Sterben etwas Furchtbares ist, dann haben wir vielleicht auch vergessen, dass Altwerden und Sterben zum Leben gehört, und wir haben vergessen, dass es tatsächlich eine Aufgabe der Menschen ist, Sterben auch menschlich möglich zu machen. Etwa denken Sie daran, dass es auch für alte Menschen eine Seelsorge gibt, dass wir uns auf das Alter vorbereiten müssen, dass es viele Hilfen gibt, etwa im Blick auf die Altenheime. Ich habe auch natürlich nachdenklich zur Kenntnis genommen, dass viele Angst haben vor den Altenheimen. Vielleicht sind durch einzelne Fälle, die nicht gut waren, dann auch unsere Altenheime in Verruf geraten. Ich erlebe großartige Alten- und Pflegeheime, erlebe auch in vielen Alten- und Pflegeheimen sehr zufriedene Menschen, die dankbar sind für die Begleitung, dankbar sind für die Betreuung. Und wir haben auch bei uns in der Palliativmedizin großartige Fortschritte gemacht. Wir können kranken, alten Menschen noch die Schmerzen weitgehend wegnehmen. Und wir haben etwa in den Hospizen Einrichtungen geschaffen, wo ein menschenwürdiges Sterben tatsächlich möglich ist und wir als Menschen auch menschenwürdig Abschied nehmen können in dieser Welt. Für mich ist das, was um die Diskussion, die ausgelöst worden ist durch die Initiative von Herrn Kusch, ist für mich ein Anlass, noch mal viel tiefer darüber nachzudenken, wie wir mit alten Menschen umgehen, zumal wir alle ja eine längere Lebenserfahrung haben und davon ausgehen müssen, dass das auf unsere Gesellschaft neu hinzukommt und vielleicht haben wir tatsächlich das ein bisschen zu sehr verdrängt, dass alte Menschen Begleitung brauchen, Hilfe brauchen. Und ich darf hier den Bundespräsidenten zitieren. Wir sollten nicht durch die Hand eines anderen Menschen sterben, sondern an der Hand eines liebenden Menschen. Und wir sollten uns diese Zuwendung auch viel stärker gegenseitig möglich machen.

Ostermann: Herr Bischof, Sie haben darauf hingewiesen, dass in verschiedenen Punkten viele Menschen auch Angst vor Altenheimen, vor Pflegeheimen haben. Haben möglicherweise die Kirchen, ich denke da an die katholische, aber auch an die evangelische Kirche, haben Sie möglicherweise auch Angst vor dem Thema Sterbehilfe? Auch dies wirft Ihnen Roger Kusch vor.

Zollitsch: Bei Sterbehilfe geht es mir jetzt nicht darum, dass nicht das, wenn ein Mensch selber etwas sagt, ich will jetzt keine lebensverlängernde Medikamente mehr, wenn es nur darum geht. Da geht es mir durchaus in solchen Situationen darum, Menschen zu beraten, ärztlich und auch seesorglich zu beraten und dann zu schauen, wie man zu einer entscheidenden Hilfe kommt. Es geht jetzt nicht um Lebensverlängerung um jeden Preis. Natürlich wissen wir alle, dass Menschen in solchen schwierigen Situationen dann natürlich auch immer ein Stück weit abhängig sind von den Menschen, die sie beraten, von den Menschen, die den Weg mitgehen. Wir müssen sehr differenziert über solche Fragen miteinander sprechen, aber das in aller Ruhe und vor allem unabhängig von der Angst, in dieser Welt überflüssig zu sein, nicht mehr geliebt zu sein, nicht mehr angenommen zu sein oder nur in endlos vielen Schmerzen noch leben zu können, weil wir da viele, viele Hilfen haben.

Ostermann: Aber warum wird so wenig über würdevolles Sterben bei uns geredet? Da haben doch offensichtlich auch die beiden großen Kirchen versagt?

Zollitsch: Ich glaube auch, wir haben dieses Thema zu wenig angesprochen. Etwa, wir haben einen Jugendlichkeitswahn und sind vielleicht dem auch ein bisschen verfallen. Aber etwa die Bischöfe am Oberrhein, der Erzbischof von Straßburg, der Bischof von Basel und auch ich, haben gemeinsam hier etwa ein Hirtenschreiben vor drei Jahren verfasst, in dem es darum ging, das Sterben in Würde anzunehmen, wo es um diese Hilfe geht. Ich habe damals viele, viele Echos bekommen. Oder ich war im April dieses Jahres zu einem Sondergottesdienst in einem Altenpflegeheim hier in der Nähe und habe mit den Gottesdienst gefeiert, der auch im Fernsehen übertragen wurde. Ich habe nachher viele, viele Echos, weil mir viele alte Menschen sagen, ja, wir merken, die Kirche ist an uns interessiert, sie will uns helfen. Aber weil in unserer Gesellschaft dieses Thema des Altwerdens, Älterwerdens, des Sterbens weitgehend verdrängt ist, kommen wir vielleicht auch mit unserer Botschaft nicht an, aber wir werden uns auch selbstkritisch fragen, haben wir sie zu wenig mitten unter die Menschen gebracht.

Ostermann: Nun sind Alten- und Pflegeheime nicht selten auch in der Obhut von Kirchen selbst, also auch kirchliche Einrichtungen sind gefragt. Sind die ökonomisch überfordert?

Zollitsch: Wir haben zahlreiche kirchliche Altenheime, auch kirchliche Pflegeheime. Natürlich stehen wir alle unter dem Konkurrenzdruck, auch der Privaten. Aber wir haben, und bei den Einrichtungen, die wir haben, immer etwas mehr investiert als andere. Und wir sorgen vor allem, dass auch dort Seelsorge geschieht bis hin zu ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ich habe es gerade etwa in einem Altenheim dieser Tage erlebt, wo eine ganze Reihe von Männern und Frauen von außen noch mal kommen, um zum Gespräch mit den alten Menschen da zu sein. Vielleicht müssen wir noch mehr bewusst machen, welche Chance auch in einem Alten- und einem Pflegeheim liegt, und dass wir nicht nur das sehen, jetzt bin ich nicht mehr in der Familie, jetzt bin ich einsam. Denn die Einsamkeit, ja, das ist eine große Angst der Menschen. Und die können wir gerade in Alten- und Pflegeheimen vielen nehmen.

Ostermann: Sind Sie eigentlich in dieser Frage oder in diesen Fragen, die wir in diesem Gespräch nur streifen können, in engem Schulterschluss mit dem Ratsvorsitzenden der EKD, mit Bischof Huber?

Zollitsch: In der Frage, was den Schutz des Lebens angeht, die Frage auch nun, was die aktive Sterbehilfe angeht, da sind wir in unserer Ablehnung beide völlig einig, weil wir sagen, wir müssen helfen, dass wir menschenwürdig sterben und nicht dazu mithelfen, dass die Leute immer mehr Angst vor dem Sterben haben und dann aus Angst vor dem Tod in den Tod flüchten.

Ostermann: Der Vorsitzende der Katholischen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Zollitsch: Ich danke auch, einen schönen Tag!

Ostermann: Ihnen auch!

Das Gespräch mit Erzbischof Zollitsch können Sie bis zum 16. Dezember 2008 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio