Zivilehe

Ein Ja-Wort, das ein Nein war

Von Simon Kremer |
Im Libanon gibt es keine zivile Ehe. Trauungen zwischen den Konfessionen sind eigentlich nicht vorgesehen. Die Sunnitin Kholoud und der Schiit Nidal wollten das in der quirligen Metropole Beirut nicht einsehen – und dennoch heiraten.
Es war nur eine kleine Hochzeitsfeier, die Kholoud und Nidal in Libanons Hauptstadt Beirut gefeiert haben. Nur 500 Gäste. Vor vier Jahren lernten sich die beiden kennen: Sie, die Nachhilfelehrerin für Englisch, er der Empfangsangestellte in einem Fitnessstudio, der sein Englisch verbessern wollte. Die Feier in einem schicken Beiruter Hotelsaal war der vorläufige Höhepunkt einer nicht vorgesehenen Liebe zwischen den Konfessionen. Unter den Gästen waren zahlreiche Fernsehteams, Fotografen und Journalisten. Das Ja-Wort der beiden beschäftigte die arabische Welt wie eine royale Hochzeit Europa. Denn im streng religiös organisierten Libanon war die Hochzeit von Nidal und Kholoud ein Novum: Die erste Ehe des Landes, die nicht von einem Scheich oder Priester geschlossen wurde.
"Wir glauben beide an ein säkulares Land, das allen Einwohnern die gleichen Rechte gibt. Und das die Menschen einfach als Bürger ansieht, nicht als Mitglied einer Konfession."
Sagt Braut Kholoud Sukkariyeh. Ein religiöses Proporz-System im libanesischen Parlament soll für Stabilität sorgen. Alles ist streng geregelt, denn das kleine Land am Mittelmeer ist konfessionell zersplittert: 18 offiziell registrierte Konfessionen gibt es – bei gerade mal vier Millionen Einwohnern. Religiöse Spannungen zwischen christlichen Katholiken, Orthodoxen und Maroniten, muslimischen Schiiten, Sunniten oder Alawiten – und zwischen allen untereinander - haben in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu Konflikten und Kriegen geführt. Also ist vieles im Alltag konfessionell geregelt – bis zur Hochzeit.
Kein Scheich oder Priester - keine Ehe
Das bedeutet: Kein Scheich oder Priester - keine Ehe. Nicht so wie in anderen arabischen Ländern, wie Tunesien oder der Türkei, wo die Ehe – wie in Deutschland – erst einmal vor den Behörden geschlossen wird. Kholoud Sakkariyeh sieht sich daher auch ein bisschen als politische Aktivistin.
"Die zivile Ehe ist der zweite Schritt wenn es darum geht, den Libanon von der Religion zu befreien. Der erste war, die konfessionelle Zugehörigkeit aus allen Akten streichen zu lassen. Erst danach konnten wir überhaupt heiraten. An dem dritten Schritt arbeiten wir noch."
Das Eherecht im Libanon geht bis in die französische Mandatszeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurück. Es sprach damals den religiösen Autoritäten das Recht zu, die Ehe zu schließen – nicht dem Staat. Ehen zwischen den verschiedenen Konfessionen sind deshalb nicht vorgesehen. Doch mit Hilfe eines Anwalts und eines Tricks klappte die Ehe doch noch: Ex-Sunnitin Kholoud und Ex-Schiit Nidal ließen ihre Religion aus dem Ausweis streichen, um unter keine religiöse Gesetzgebung zu fallen. Dann gingen Sie zu einem Anwalt, um ihre Ehe – ohne große Feier – registrieren zu lassen. Erst als sie sich diese Ehe auch von staatlicher Seite, durch den Innenminister persönlich, haben bestätigen lassen, feierten sie. In Beirut – und nicht, wie so viele andere, die eine Zivil-Ehe wollen, im Ausland.
"Ich war total überrascht wie viele Paare in dem Vorraum gewartet haben. Die meisten waren schwanger. Und es war so schnell. Zehn Minuten, dann waren wir wieder draußen. Wir sind dann raus an den Strand und haben noch drei Tage Urlaub gemacht. Das war toll. "
Die im Ausland geschlossene Ehe wird anerkannt
Im Herbst vor eineinhalb Jahren ist Jennifer Harfoush zusammen mit ihrem Mann Roman nach Zypern geflogen. Eine Stunde Flugzeit, zehn Minuten Zeremonie. Es ist der übliche Weg, wie Paare im Libanon bislang zwischen verschiedenen Religionen geheiratet haben. Denn ironischerweise wird die in einem anderen Land geschlossene Zivilehe später im Libanon anerkannt.
"Ich wollte nie eine große Hochzeit, die hier so typisch sind. Mit Kirche und hunderten Gästen und allem. Ich hab die Bräute immer etwas bemitleidet, wie sie da standen mit ihren dummen weißen Kleidern. Außerdem wollte ich nicht in einer Kirche heiraten. Ich würde mich eher als Atheisten bezeichnen. "
Also heirateten Jennifer und Roman ganz einfach auf Zypern. Sie mit kurzem, weißen Kleidchen, er in kurzer Hose. Im Libanon gibt es mittlerweile zahlreiche Anbieter, die Kurztrips nach Zypern oder in die Türkei anbieten. Man fliegt morgens als Junggeselle hin und kommt abends als Ehepaar zurück. Zwischen 1000 und 4000 Euro kostet die erschlichene Zivilehe in den Nachbarländern für die Libanesen. Doch wenn es um die Ehe geht, lässt die Kirche nicht locker:
"Die Kirche hat versucht, mich noch zu einer kirchlichen Hochzeit zu überreden. Ich brauchte noch ein Papier von der maronitischen Kirche zur Bestätigung der Zivilehe und da sagte der Priester: Du kannst hier immer noch heiraten. Naja, ich hab dann mein Dokument bekommen, aber ich musste ihn mit Geld bestechen. "
Der Streit um die Zivilehe im Libanon schwelt seit langem. Doch die Vorzeichen haben sich geändert – und die Reiseagenturen bangen zusammen mit den Kirchenvertretern. Anfang des Jahres stellten Juristen auf einer Tagung fest: "Die Zivil-Ehe ist mit dem libanesischen eigentlich konform." Eine hohe muslimische Verwaltungsrichterin schrieb vor einiger Zeit eine Stellungnahme aus juristischer Sicht – hielt den Entwurf jedoch lange zurück. Sie schrieb, dass ein entsprechendes Gesetz nötig sei, auch wenn dadurch traditionelle, religiöse Konzepte verletzt würden. Es sollte jedem Menschen selbst überlassen sein, wie er seine Beziehung zu Gott und der Kirche gestalten möchte. Das Justizministerium veröffentlichte jetzt – kurz nach der Tagung der Rechtsexperten - einen Gesetzesentwurf, der den alten Artikel 25, vom März 1936 ersetzen soll: Ein Paragraph zum Recht auf Zivil-Ehe.
"Nach Zypern zu gehen war für uns keine Option. Wir wollten den logischen Schritt gehen: Da heiraten wo wir wohnen: Im Libanon."
Ein "Nein" zum religiösen System
Die Ehe von Nidal Darwishe und Kholoud Sakkariyeh mag Außenstehenden als simples Ja-Wort erscheinen. Für die beiden ist es aber vor allem ein „Nein“ zum religiösen System des Landes. Ein politisches Statement, das für Aufsehen sorgte.
Für die einen wurden Nidal und Kholoud zu Vorreitern einer kleinen Revolution. Weg von religiösen Autoritäten, hin zu einem weltlicheren Libanon. Immerhin: Zehn zivile Ehen wurden im vergangenen Jahr im Libanon registriert. Für die anderen stellen das Paar und ihre Entscheidung eine Gefahr für die nationale Sicherheit dar – sie befürchten ein auseinanderbrechen des fragilen Systems. Der Großmufti des Libanon, Scheich Mohammed Rashid Qabbani, erklärte in einer Fatwa alle Muslime zu Abtrünnigen, die die "Bakterie der Zivilehe" befürworten sollten. Also auch den Innenminister des Libanon Marwan Charbal, der nach langem Zögern die Ehe schließlich offiziell anerkannt hat.
Doch durch ist das Thema noch nicht. Auch nicht für Nidal und Kohloud. Sie wollen weiter kämpfen für die offizielle Anerkennung einer libanesischen Ehe abseits der Kirchen. Kurz vor Weihnachten haben die beiden Aktivisten dabei den nächsten Schritt getan: Ihr Sohn Ghadi wurde geboren. Weil die beiden ihre Religion ja aus dem Pass hatten streichen lassen, das offiziell erste Kind ohne Religionszugehörigkeit im Libanon. Selbst Präsident Süleiman gratulierte via Twitter euphorisch. Doch die geistlichen Führer sträuben sich weiter. Denn für sie geht es beim Thema Zivilehe um nichts weniger als politischen Einfluss und ein Ende des Jahrzehnte lang gefestigten Konfessionalismus im Libanon.