Zivilcourage

Furchtlos auf einem Pulverfass

Von Franziska Rattei · 02.12.2013
Daniel D. wurde getötet - von einem jungen Deutschen mit Migrationshintergrund. Einige Gruppen nutzen den gewaltsamen Tod des 25-Jährigen dazu, Hass gegen Migranten zu säen. Die Bürger und der Bürgermeister des niedersächsischen Ortes Weyhe haben sich gegen die Hasstiraden gewehrt.
Bis zur Nacht vom neunten auf den zehnten März war der Bahnhofsvorplatz von Weyhe ein ganz normaler Ort. Nun ist er das nicht mehr. Rote Grablichter, Laternen und ein paar Topfpflanzen erinnern daran, was vor neun Monaten geschah. Der 25-jährige Daniel S. war auf dem Heimweg von einer Diskothek. Er und ein paar Freunde hatten einen Bus gemietet. Und weil noch ein paar Plätze frei waren, hatten sie fremde Jugendliche mitgenommen. Mit dieser Gruppe kam es dann zu einem Streit, Daniel wollte schlichten und wurde angegriffen. Vier Tage später verstarb er. Selma Soubra kommt jeden Tag an dem Gedenkort vorbei, wenn sie von Weyhe aus mit dem Zug nach Bremen fährt. Oft fragt sie sich, ob sie genauso viel Mut wie Daniel gehabt hätte.
Selma Soubra, Passantin: "Also um ganz ehrlich zu sein, hätte ich das vielleicht gemacht, einfach um den Menschen zu unterstützen, der sich gerade streitet. Auf der anderen Seite würde ich mich auch fragen: Was würde jetzt mit mir passieren, weil das waren ja bestimmt auch so viele Leute … Aber ich glaube, ich hätte geholfen. Es gehört einfach dazu, dass man einen Menschen unterstützt, wenn man sieht, dass er Hilfe braucht. Dann hätte ich das ehrlich gesagt getan, ja."
Selma Soubra lebt in Weyhe und fühlt sich hier zu Hause, auch wenn sie ausländische Wurzeln hat. Nach Daniels Tod allerdings wurde dieses Heimatgefühl auf eine Probe gestellt. Der mutmaßliche Täter, ein 20-Jähriger mit Migrationshintergrund, sitzt wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft.
Die Staatsanwaltschaft hat bisher keine Hinweise darauf gefunden, dass Fremdenfeindlichkeit bei dem Konflikt irgendeine Rolle gespielt hat. Aber Rechtsextreme nutzten den Vorfall schon bald für ihre Zwecke. Die Bürger von Weyhe wehrten sich. Zur Trauerfeier erschienen 1.500 Menschen, danach fanden Mahnwachen statt; Frank Seidel, Fraktionsvorsitzender der SPD im Gemeinderat, unterstützte diese Aktionen federführend.
Frank Seidel, SPD-Fraktionsvorsitzender Gemeinderat Weyhe, 1. stellvertr. Bürgermeister: "Der Grund war eigentlich, dass wir was machen wollten; dass man der Sache gedenkt und Daniel gedenkt und der brutalen Gewalt gedenkt an der Stelle, dass so was nicht vorkommen darf und soll - einerseits. Und andererseits ein Zeichen dagegensetzen, dass einige Leute das für sich instrumentalisieren."

Weyhe: Gedenken an den getöteten Daniel D.
Weyhe: Gedenken an den getöteten Daniel D.© Franziska Rattei
Das Aufstehen der Weyher Bürger und Politiker allerdings hatte Konsequenzen. Mitarbeiter der Gemeinde und der Bürgermeister, Frank Lemmermann, wurden massiv mit Emails, Briefen und Telefonanrufen belästigt. Zitat:
"Dieser Bürgermeister gehört zusammen mit der Türkenbande aufgeknöpft!"
"Hoffentlich bringen türkische Schlägertrupps auch bald ihre Kinder und Verwandten um!"
Trotzdem hielt man nicht still. Der Weyher Bürgermeister beauftragte einen Anwalt, der in 115 Fällen Strafanzeige und Strafantrag stellte; wegen Beleidigungen und Bedrohungen vom Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Gemeindeverwaltung durch Rechtsextreme und Neonazis. Kein bequemer Weg - nach den rechtlichen Schritten gab es eine neue Welle von Bedrohungen. Trotzdem würde er es wieder so machen, sagt Frank Lemmermann.
Frank Lemmermann, Bürgermeister Weyhe: "Ich möchte nicht, dass Menschen, die so etwas in die Welt setzen, ungestraft davon kommen. Wenn man andere mit dem Tod bedroht und die Familie verflucht bis ins was weiß ich wievielte Glied - dann muss ich sagen bin ich nicht bereit das zu akzeptieren."
Vielleicht ging es bei dem sogenannten Shitstorm vor allem um Einschüchterung. Vielleicht war das Leben von Frank Lemmermann und seinen Mitarbeitern tatsächlich in Gefahr. Der Großteil der Weyher Bürger jedenfalls hat Respekt vor der Zivilcourage ihres Bürgermeisters. Selma Soubra jedenfalls ist stolz auf ihn und findet: Lemmermann hat Rückgrat bewiesen. Wenn sie an Daniels Gedenkort am Bahnhof vorbeikommt, erinnert sie sich auch daran.
Selma Soubra, Passantin: "Ich fands richtig, was er gemacht hat. Es war sehr gut von ihm, ehrlich gesagt."